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Aus: Ausgabe vom 23.09.2025, Seite 7 / Ausland
USA

Trump ruft nach Rache

USA: Präsident und Kabinettsmitglieder nutzen Trauerfeier für getöteten rechten Aktivisten Kirk, um gegen politische Gegner zu hetzen
Von Lars Pieck
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Die US-Ultrarechte hat keine Probleme damit, Religion für ihre Zwecke zu instrumentalisieren (Glendale, 21.9.2025)

Mit ihrer Größe, Intensität und patriotischem Spektakel übertraf sie viele von Trumps Wahlkampfauftritten des vergangenen Jahres: Am Sonntag hat im State Farm Stadium nahe Phoenix die Trauerfeier für den bei einem Attentat getöteten christlich-fundamentalistischen Aktivisten Charlie Kirk stattgefunden. Bei der Veranstaltung versammelten sich einige der einflussreichsten politischen und religiösen Stimmen der USA, darunter Präsident Donald Trump, Vizepräsident J. D. Vance, Kirks Witwe Erika und viele weitere. Mehr als 63.000 Trauergäste, gekleidet in Rot, Weiß und Blau, kamen, um Kirk zu ehren. Statt der üblichen, eher nüchternen Atmosphäre einer Beerdigung präsentierte sich die als Gedenkfeier angekündigte Veranstaltung in einer neonfarbenen Rockkonzertstimmung im Americana-Stil, eine Mischung aus Trumps Wahlkampfveranstaltungen, den Events der von Kirk mitgegründeten rechten Stiftung Turning Point und einem evangelikalen Megachurch-Gottesdienst.

Schon mehrere Stunden bevor die Politiker die Bühne betraten, schunkelte die Menge zu den Klängen von Bands, die christliche Glaubensbotschaften verkündeten, und betete für Kirk und für »Amerika«. Trump und mehrere Regierungsbeamte verfolgten das Programm in einer Suite hinter kugelsicherem Glas, während fast das gesamte Kabinett in der ersten Reihe Platz nahm; auch Elon Musk wurde dort neben Trump gesehen. Der Multimilliardär und reichste Mensch der Welt, der Trump im Wahlkampf mit Millionen und nach Amtsantritt als »Berater für Bürokratieabbau« unterstützt, sich im Juli aber im Streit über ein Haushalts- und Steuergesetz jedoch mit ihm überworfen hatte, veröffentlichte später ein gemeinsames Foto.

In seiner Rede bezeichnete der US-Präsident den Getöteten als »Märtyrer für die amerikanische Freiheit« und schwor, dessen Vermächtnis fortzuführen. Anders als Kirks Witwe, die die Vereinigten Staaten zur Versöhnung aufgerufen hatte und sagte, sie vergebe dem Mörder ihres Mannes, wetterte Trump gegen seine politischen Gegner. Während Kirk ein »Missionar mit edlem Geist« gewesen sei, der seine Gegner nicht hasste, sei er anders. »In diesem Punkt war ich mit Charlie nicht einer Meinung. Ich hasse meine Gegner.« Ebenso wie Vance machte er »radikale Linke« für Kirks Tod verantwortlich und forderte eine gründliche Untersuchung linker Gruppen. Schließlich gehe Gewalt »größtenteils von Linken aus«. Während seiner Rede wich Trump mehrfach vom eigentlichen Thema ab. So kündigte er etwa an, demnächst eine Lösung für steigende Fallzahlen von diagnostiziertem Autismus vorzulegen. Erwartet wurde, dass er die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft dafür verantwortlich machen wird.

Auch Stephen Miller, stellvertretender Stabschef für Politik im Weißen Haus, wetterte in seiner Rede gegen einen namenlosen Feind und rief der Menge zu: »Sie können sich nicht vorstellen, was sie geweckt haben. Sie können sich nicht vorstellen, welche Armee sie in uns allen geweckt haben, denn wir stehen für das Gute, das Tugendhafte, das Edle.« Vizepräsident J. D. Vance, ein enger Freund Kirks, der dessen Sarg mit der Air Force Two nach Arizona begleitet hatte, betonte: »Wir müssen uns daran erinnern, dass er ein Held der Vereinigten Staaten von Amerika ist. Und er ist ein Märtyrer für den christlichen Glauben.«

Erika Kirk, die in ihrer Rede unter anderem sagte: »Die Antwort auf Hass ist nicht Hass«, sondern laut Evangelium sei diese »Liebe«, versprach, das Werk ihres Mannes fortzusetzen. Dieser sei mit »unvollendeter Arbeit gestorben, aber nicht mit unerledigten Angelegenheiten«. Die 36jährige war am Donnerstag einstimmig zur CEO und Vorstandsvorsitzenden der Organisation Turning Point USA gewählt worden. Wie Charlie Kirk vertritt sie ähnliche erzkonservative Ansichten zu Geschlecht und Ehe. So hat sie in öffentlichen Reden und in ihrem Podcast dazu aufgerufen, »der Familie« Vorrang einzuräumen und die »biblische Weiblichkeit« wiederzubeleben.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy (24. September 2025 um 09:45 Uhr)
    Die Vereinigten Staaten sind ein großes Land. So groß, dass dort sogar die Demokratie Platz hatte – bis sie jetzt im Footballstadion beerdigt wurde. Fünf Stunden liturgisches Dauerfeuer, Kreuzschleppen, Märtyrerkitsch, Tränen im Weißkittel – und mittendrin der Präsident, der sich aufführte wie eine Mischung aus Kaiser Nero und Fernsehprediger auf Speed.

    Charlie Kirk, zu Lebzeiten Social-Media-Provokateur, wird posthum zu Jesus hochgejazzt. Die Witwe verzeiht christlich dem Mörder, da tritt Trump ans Mikro und brüllt, was sein Herz begehrt: „Ich hasse meine Gegner.“ Schön, wenn einer noch Gefühle zeigt.

    Während Kardinäle die Bibel durch die MAGA-Brille deuten und Minister den „spirituellen Krieg“ ausrufen, sitzt das Volk auf den Rängen, schwenkt Fähnchen und glaubt, es sei beim Super Bowl. In Wahrheit aber läuft eine Generalprobe für die Machtergreifung. Mit Nebelmaschinen, Pathos und der rhetorischen Eleganz eines Vorschlaghammers.

    Die Opposition? Wird zu Terroristen erklärt. Die Justiz? Eine Abrissbirne im Werkzeugkasten des Weißen Hauses. Die Wahrheit? Ein Relikt, so antiquiert wie die CD. Aber keine Sorge: Künstliche Intelligenz produziert Deepfakes von Bob Dylan beim Trauermarsch, und so bleibt das Volk bestens unterhalten.

    Man muss die Amerikaner bewundern: Wo andere Länder mühsam ihre Diktaturen verstecken, macht man hier eine Gala daraus. Demokratieabbau mit Feuerwerk, Demokratieverachtung mit Stadionchor. Orwell hat gewarnt, Hollywood liefert die Regie – und der Präsident gibt den Clown, der sein Publikum so sehr verachtet, dass es ihn dafür liebt.

    Wer wissen will, wie die Republik stirbt, muss nicht in Geschichtsbücher schauen. Er muss nur die amerikanischen Nachrichten einschalten. Dort gibt es Tote, Tränen, Trompeten – und die Versicherung, dass alles nur zu unserem Besten geschieht.

    Am Ende der Show steht dann ein Land, das seine Freiheit mit einem Kreuz aus Holz und einem Sargdeckel aus Sternen schmückt. Und wir Europäer? Wir starren gebannt hinüber, wie man auf einen Autounfall schaut: entsetzt, aber fasziniert. Und ein bisschen neidisch – denn so spektakulär schaffen wir unseren Untergang nie.
  • Leserbrief von Riggi Schwarz aus Büchenbach (23. September 2025 um 11:10 Uhr)
    In den Staaten wurde nun im ganz großen Stil um den ermordeten Charlie Kirk getrauert.
    Wie man nun jenseits des Atlantiks trauert, das dürfte doch deren Sache sein.

    Wie wäre wohl eine Trauerfeier ausgefallen, wenn ein prominenter Bürger der amerikanischen Demokraten, so brutal aus dem Leben geschossen worden wäre?

    Leiden wir bereits schon jetzt daran, dass wir einfach nicht mehr zu einer aufrichtigen Anteilnahme fähig sind?
    Anders gefragt, wo sind eigentlich Anstand und Rücksichtnahme abgeblieben?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (23. September 2025 um 15:56 Uhr)
      Wenn die Witwe des Getöteten darum bittet, dass die Antwort auf Hass nicht Hass sein darf, wird sie gute Gründe für diese Aussage gehabt haben. Alles in der Welt kann man instrumentalisieren, auch die Trauer. Wenn sie vor dieser Gefahr gewarnt hat, dann hat sie zweifellos recht. Und ein Artikel, der Anzeichen dieser Gefahr beschreibt, der sollte uns auch recht sein.

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