Mehr Tempo! Mehr Glück! Mehr Macht!
Von Erwin Grave
Franz Jung zählt zu denjenigen deutschen Literaten, die sich nach dem Ersten Weltkrieg den Arbeiteraufständen anschlossen. Er nahm Fühlung mit der KPD auf, wurde sofort wegen linker Abweichung ausgeschlossen und beteiligte sich darauf, obwohl im Prinzip parteiuntauglich, an der Gründung der Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands, kurz KAPD. Für diese sollte er nach Moskau, um die Mitgliedschaft in der III. Internationale durchzusetzen. Eine abenteuerliche Reise, bei der der rote Matrose Knüfgen einen Fischdampfer kaperte und den Kapitän auf See zwang, Kurs Richtung Sowjetrussland zu nehmen. Die Verhandlungen in Moskau liefen harzig, daher zog sich die KAPD bald, einem Ausschluss zuvorkommend und gegen die Stimme von Franz Jung, aus der Internationalen zurück. »Mögen die ›Linken‹ versuchen«, so Lenins Abschiedsworte, »die Diktatur des Proletariats vorzubereiten (und auch zu verwirklichen), ohne eine streng zentralisierte Partei mit eiserner Disziplin. Die praktische Erfahrung wird sie schnell eines besseren belehren.«
Nach seiner Rückkehr kam Jung wegen Schiffsraub ins Gefängnis, wurde aber bald entlassen. 1921 nahm er am Märzaufstand teil und zog wieder Richtung Osten. Als sowjetischer Staatsbürger half er der jungen Republik zunächst beim Aufbau einer Zündholzfabrik und dann beim Wiederaufbau des metallverarbeitenden Werks »Ressora« in Petrograd. Dessen Arbeiter schrieben später ihrem »lieben Administrator Gen. Jung Franz Franzowitsch«: »Viele Male hast Du Tapferkeit bewiesen, als Du mit uns arbeitetest, wir alle haben Dich als Administrator geliebt, einen Genossen, der mit uns alle Nöte durchmachte.« – Dieser Bohemien, er war kein Bummler.
Wer all das bereits weiß, hat wahrscheinlich Jungs Autobiographie »Der Weg nach unten« bzw. »Der Torpedokäfer« gelesen. Für diese Leute ist der bei Nautilus erschienene Sammelband »Der Sprung aus der Zeit« eine praktische Ergänzung. Denn wenn Jung seinen Reiz auch aus seiner unmittelbar revolutionären Praxis zieht, schrieb er doch Theaterstücke für die Piscator-Bühne, Romane für den Malik-Verlag, Kurzgeschichten für die Rote Fahne sowie einige theoretische Schriften. Das ist zwar alles in der 14bändigen Werkausgabe bei Nautilus versammelt, aber die enthält mehr Text, als man vielleicht lesen kann oder will. Dank des Sammelbandes braucht man nun keine Theaterstücke zu lesen und keine Romane. Dafür bekommt man exemplarisch die Erzählung »Proletarier« über eine spontane Arbeiterunruhe und anschließende Verhaftungswelle. Ein gutes Stück Revolutionspsychologie.
Dazu gibt es Auszüge aus dem Essay »Technik des Glücks«, eine im Gefängnis geschriebene Mischung aus utopischem Marxismus und Lebensreform. Analog zu Friedrich Engels wird dort festgehalten, dass »es nicht die Höhe des Lohns ist, die dich im Grunde unbefriedigt lässt«, sondern schon die »Beziehung des Lohnzahlenden zum Lohnempfänger«, sprich die Form Lohn selbst, um danach das Ziel der Revolution im »gleichschwingenden seelischen Kontakt mit der Umwelt« oder im »Mitströmen im Strom des Lebendigen des Alls« zu finden. Passend dazu enthält das Buch einen gelungenen Abriss von Leben und Werk Wilhelm Reichs, inklusive der Orgontheorie (»Das tragische Schicksal des Dr. Wilhelm Reich«).
Bemerkenswert ist auch der Aufsatz »Asien als Träger der Weltrevolution«, ursprünglich 1919 in der Zeitschrift Gegner erschienen. Jung betont hier, dass die Umsturzbewegung ihren Geist aus der russischen Revolution bezieht, »die treibende Kraft für die Freilegung der revolutionären Sicht der übrigen Welt«. Ob sie sich das eingestehen oder nicht, »die revolutionären Führer der westlichen Völker hängen in der Luft, sobald sie den Kontakt mit Russland aufgeben oder verloren haben«. Mit der allgemeinen Krise der radikalen Arbeiterbewegung im Westen korrespondiere der Schwenk der Sowjetunion nach Asien, namentlich durch das in Moskau begründete »Orientalische Institut«. Die zahllosen Völkerschaften Asiens hatten dorthin ihre Vertreter entsandt und nahmen »dort den Gedanken der Weltrevolution in sich auf«.
Franz Jung war aus Erfahrung zum Gegner der Bolschewisten geworden, aber Lenin selbst hatte, bei aller Kritik an der KAPD, kurzzeitig durchaus zur KPD betont, dass deren »Theorie der revolutionären Offensive keineswegs falsch« ist. Falsch war vielmehr, dass »man eine wirkliche Offensive nicht vorbereitet hatte«. Man muss den Eifer der romantischen Linken dabei auch aus der sich abzeichnenden absoluten Niederlage verstehen. Die Revolution sollte im letzten Augenblick doch noch stattfinden. Deren Ausgrenzung aus der KPD führte vielleicht zu besserer Organisation, aber kaum zu besseren Offensiven. Jungs im Band enthaltene Verteidigung des Revolutionärs Max Hoelz deutet an, warum: »Tatsache ist, dass eine Aktivitätsparole, der Aufruf zum Bürgerkrieg begleitet sein muss, von Aktionen, die der Masse des revolutionären Proletariats zeigen, dass es bei dem aufgerufenen Angriff wirklich ernst ist.« Revolutionäre Ungeduld, Stoßtrupps radikaler Arbeiter und selbst die Initiative Einzelner mögen nicht alles sein, aber ohne geht es auch nicht.
Franz Jung: Der Sprung aus der Zeit. Avantgarde – Agitprop – Autobiographisches. Herausgegeben von Wolfgang Bortlik und Hanna Mittelstädt, Edition Nautilus, Hamburg 2024, 368 Seiten, 28 Euro
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