Gegründet 1947 Dienstag, 4. November 2025, Nr. 256
Die junge Welt wird von 3054 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 20.09.2025, Seite 11 / Feuilleton
Zeitgeschichte

Weltkrieg verhindert

Zum 80. Geburtstag von Rainer Rupp
Von Arnold Schölzel
13.10.2002
Deckname ­»Topas«: Rainer Rupp

Im November 1983 beginnt routinemäßig das NATO-Manöver »Able Archer«. Geübt wird ein Atomkrieg gegen die Sowjetunion. Deren Führung ist diesmal besonders alarmiert. Sie fürchtet nach der Stationierung von neuen atomar bestückten US-Marschflugkörpern und »Pershing II«-Raketen in Westeuropa einen Angriff aus der Übung heraus. Davon erfährt die Öffentlichkeit – anders als in der Kuba-Krise 1962 – nichts. Erst nach 1990 wird bekannt: Mehr als 100 sowjetische Atombomber in der DDR und in Polen sind in Gefechtsbereitschaft. Von Rainer Rupp, der als Kundschafter der DDR-Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) unter dem Decknamen ­»Topas« im NATO-Hauptquartier arbeitet, kommt laufend die Information nach Moskau: kein Angriff geplant.

Später bescheinigen ihm der frühere CIA-Abteilungsleiter für die Sowjetunion und Osteuropa, Milton Bearden, Wladimir Krjutschkow, von 1988 bis 1991 Chef des sowjetischen Geheimdienstes KGB, und andere Experten: Er hat wahrscheinlich die Welt vor einem dritten Weltkrieg bewahrt. Rupp ist eine historische Person. Am Sonntag begeht er seinen 80. Geburtstag.

1967 hatte die HVA den Studenten der Volkswirtschaft in Mainz nach einer Demonstration gegen die Notstandsgesetze angesprochen, wenig später wird er für sie tätig – in Brüssel: in der Wissenschaft, in einer Bank, ab Januar 1977 im NATO-Hauptquartier. Zufall. Rupp steigt rasch auf, erhält die höchste Geheimhaltungsstufe, nimmt an Übungen teil, bei denen regelmäßig der Ersteinsatz von Atomwaffen gegen Osteuropa geprobt wird. Darauf geht das Oberlandesgericht Düsseldorf, das ihn ein Jahr nach seiner und der Verhaftung seiner Frau Ann-Christine 1994 verurteilt, wohlweislich nicht ein. Zwölf Jahre Haft für ihn, für seine Frau 22 Monate. Die Richter befinden: Seine Informationen hätten »verheerend und kriegsentscheidend« sein können. Besonders schwer wiege, dass er laut Gutachter »das gesamte Wissen der NATO über das militärische Potential des Warschauer Paktes« an diesen weitergeleitet habe. Das betreffende Dokument enthielt auch die Feststellung, Moskau plane keine Aggression. Das lassen die Richter im Urteil weg.

Aus der Gefangenschaft im saarländischen Knast heraus beginnt Rupp 1997 für jW über Wirtschaft und internationale Politik zu schreiben und setzt das nach seiner Freilassung im Jahr 2000 bis 2016 fort. Seit 2014 hatte es zwischen der Redaktion und ihm verschiedene politische Differenzen gegeben – »neue« Friedensbewegung, Migration, Trump etc. Bis heute sind die Gegensätze leider tiefer, aber auch allgemeiner geworden. Aus den Anfängen vor gut zehn Jahren ist eine Partei für Faschisten entstanden, die angeblich Frieden will, aber jede Hochrüstung überbieten möchte. Da tut Aufklärung not.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Verramscht: Mit einem Kredit über fünf Milliarden Mark erkaufte ...
    05.05.2015

    Wieder souverän

    Vor 25 Jahren begannen die Verhandlungen über den Zwei-plus-vier-Vertrag. An deren Ende stand ein wiedererstarktes, imperialistisches Deutschland
  • Ausgezeichnet: Rainer Rupp und jW-Chefredakteur Arnold Sch&o...
    28.06.2014

    Nuklearkrieg verhindert

    jW-Autor Rainer Rupp hat den diesjährigen Preis für Solidarität und Menschenwürde des »Bündnis für Soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde« erhalten. Ein Auszug aus der Laudatio

Mehr aus: Feuilleton