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Aus: Ausgabe vom 20.09.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Malen kann man es nicht

Nach langer Abwesenheit wieder im großen Kino: Edgar Reitz und sein neuer Film »Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes«
Von Norman Philippen
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Ein barocker Garten ist geronnene Philosophie

Nanu, macht der alte Hunsrücker am End nun gehobenes Histotainment, oder wie? So scheint es, wenn zur ersten Szene Antonia Bills als Königin Sophie Charlotte von Preußen in dreiviertel Ansicht inszeniertes Antlitz so anmutig vom windmaschinenverwehten rotlockigen Haar umspielt wird, dass loyale Leute der sich sehnenden Tränenden unwillkürlich ein royaleres, weniger zugiges Schlösschen wünschen. Über fehlende fabelhafte, wo nicht meisterliche Ausleuchtung kann Charlotte jedoch nicht klagen. Den Brief an die Mutter, Kurfürstin Sophie von Hannover, vorlesend, den zu schreiben die Königin zeitgleich sich anschickt, den Grund ihrer Seelenschwere zu notieren, wird Majestät doch erleuchtet, als stünde ein niederländischer Meister des Barocks hinter den Lichtern. Und feuchten die königlichen Augen nicht gar zu bühnenfest präzise, als dass oben erhobener Anwurf beständig sein könnte? Da schließlich nach fünf Minuten immer noch kein Hannes Jaenicke aus dem Off schnurrt, wird spätestens aber mit Auftritt Lars Eidinger zu Szene zwei klar, dass hier wohl hochkarätiger aufgespielt wird.

Eidinger gibt den Hofmaler Pierre-Albert Delalandre, der ebenso fiktiv ist wie das Verlangen Königin Charlottes nach einem Porträt ihres schmerzlich vermissten, ehemaligen Lehrmeisters Leibniz historisch unverbürgt. Nicht des Universalgenies belegte biographische Stationen und Entwicklungen werden im Film gezeigt, von seinem ursprünglichen Plan eines klassischen Biopics kam Regisseur Edgar Reitz nach zehn Jahren der Beschäftigung mit Leibniz schließlich ab. Was auch an der nicht zu stemmenden Finanzierung des Projekts lag – 25 Millionen Euro Budget sind für deutsche Autorenfilmer auch mit massig Filmförderung nicht drin. Für einen wie Reitz aber immerhin genug, um ein trotz Fehlens authentischer Objekte nicht zu billig wirkendes Set fast vollständig im Studio entstehen zu lassen. Bis auf zwei kürzere Szenen wurde der gesamte Film in einem Zimmer gedreht, das Leibniz einst Arbeitszimmer gewesen sein, zur Zeit der Handlung (1704) aber der Gärtnerei des Leineschlosses als Lager dienen soll.

Der Kammerspielfilm also erzählt »die Chronik eines verschollenen Bildes« weiter, die vom Schriftsteller Gert Heidenreich als eigentlich erste Szene des geplanten Biographiefilms geschrieben und in einjähriger Überarbeitung gemeinsam mit Reiz und Leibniz-Darsteller Edgar Selge weiterentwickelt wurde. Zu einem visuell wie sprachlich versiert raffiniert inszenierten Gespräch über Kunst, Wissenschaft und Wahrheit, das vor allem von Selges exzellentem Sprachgefühl über die 104 Minuten getragen wird. Auch Eidinger macht seine Sache gewohnt gut, geht aber bereits in Minute 26 ab. Des Malers Anschauungen über Kunst sind denen des Denkers doch zu ungleich, als dass der Dialog über die Porträtsitzungen andauern könnte. »Ihr malt ein äußeres Ich, das sich für euch verstellt, mit den Fiktionen – dito Lüge«, urteilt Leibniz. »Ich bitte euch, Ich ist Ich«, deklariert Delelandre. Höflich, doch bestimmt, aber beharrt der alte Hofrat: »Nein nein, das Selbst ist das Ich, wie es war, wie es ist, wie es sein wird. Und das nenn’ ich Porträt.« – »Ich ziehe mich zurück und überlasse Euch Euren Denkfalten. Das Porträt, ich werde ihrer Auftraggeberin ausrichten: Zu malen, war bei dem Sujet nicht möglich«, gibt der gekränkte Künstler auf.

Von den Schablonen, mit denen der Hofmaler vorstellig wird, halten schon Kurfürstin und ihre Zofe nicht viel, zur dritten immerhin meinen sie: »Er ist es nicht, doch es gebührt ihm.« Das Malen nach Schablonen entspricht auch dem Kunstverständnis des vor allem wegen seiner sechzigstündigen Filmreihe »Heimat« (1981–2013) geschätzten Lichtspielkünstlers Reitz nicht. Als solchem ist ihm mehr an ingeniöser, empathiegeleiteter Intuition und der Kraft intelligenter Schaffensprozesse gelegen, wie sie im Kino selten vorgespielt werden. So auch die frei erfundene Malerin Aaltje Van De Meer (Aenne Schwarz), die sich ganz instinktiv ans Porträt macht und dabei dem Motto »immer von Dunklem ins Licht« folgt. »Oh, das ist schön«, freut sich Leibniz. »Vom Dunkel ins Licht, so sollten wir leben. Und möglichst entlang der Wahrheit«, sagt er vielleicht etwas zu plakativ zur Malerin mit der kunstgeschichtlich vielleicht etwas zu verfrühten Auffassung »l’art pour l’art« und dem leider auch nur zu Anfang überzeugenden niederländischen Akzent. Etwas gewollt könnte man auch das im Dialog untergebrachte Begriffsdropping aus Leibniz’ Philosophie nennen, mit denen Konzepte (Monadenlehre, Theodizee-Theorie etc.) wohl wenigstens angesprochen werden sollten.

Dies aber sind lediglich nicht so gute Nuancen eines sonst sehr sehens- und bedenkenswerten Films, dessen Konzeption am Ende mit der Einsicht des fiktiven Leibniz ganz gut erklärt sein dürfte: »Bitte vergebt Eurem alten Lehrer die Vorboten eines Zweifels: Ob denn die Malkunst selbst und überhaupt in der Lage sein kann, die eigentliche Wahrheit einer Person, also die Einmaligkeit, die uns auszeichnet, zu erfassen. Es ist leichter, über die Sprache der Engel zu philosophieren, als zu verstehen, was das ist: eine Person und ihr Bild.«

Dies nämlich muss letztlich auch ein Meisterregisseur wie Edgar Reitz auch mit 93 Jahren nicht wissen. Da er aber bereits an einem neuen Filmprojekt sitzt, über das er nichts verraten mag, darf gespannt bleiben, wer mehr in der Sache erfahren will.

»Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes«, Regie: Edgar Reitz, Deutschland 2025, 104 Min., bereits angelaufen

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