Jubel vor dem Sturm
Von Bertold du Ryon, Rabat
Auf Marokkos Straßen herrschte am Wochenende quasi Ausnahmezustand. Fast ganz Afrika bejubelte das Land, denn am Samstag abend hatte das marokkanische Fußballteam der Herren die Afrikanische Nationenmeisterschaft im Finale gegen Madagaskar für sich entschieden und als erstes Land den Pokal zum dritten Mal geholt. Trotz einer gewaltigen Charmeoffensive der marokkanischen Monarchie in Richtung subsaharisches Afrika in den vergangenen Jahren – besonders seit dem Wiederbeitritt zur Afrikanischen Union 2017, nachdem das Land die Vorläuferstruktur OAU 1984 aufgrund des Streits um die besetzte Westsahara verlassen hatte – ging es beim Jubel aber nicht um Politik. Jedenfalls nicht direkt, da sich Sport und politische Angelegenheiten selten sauber trennen lassen.
Auch in naher Zukunft wird Marokko den Fußball als Visitenkarte für politische Sympathiewerbung nutzen. Im Jahr 2030 steht die übernächste Fußballweltmeisterschaft an, die dann in drei Ländern zugleich ausgetragen werden wird: in Spanien, Portugal und in Marokko. Wie überdimensionierte Wespennester wirken die beiden Stadien, die derzeit am Südrand der Hauptstadt Rabat fertiggestellt werden. Rund um die Uhr müssen die Bauarbeiter dort schuften. Zwecks schnelleren Baus des Stadions »Prinz Moulay Abdellah« seien die Arbeiten am Universitätskrankenhaus »Ibn Sina«, das über 1.000 Betten verfügen soll, um mehrere Monate hinausgeschoben und dort dutzende Arbeiter abgezogen worden, berichtete die Onlinezeitung Bladi am 24. August. Das empört viele – selbst im allgemein fußballbegeisterten Marokko.
Dieses Vorgehen ist unterdessen nicht untypisch für eine Monarchie, deren König Mohammed VI. zwar jährlich mittelalterliche Rituale wie den »Treueschwur« von Tausenden Staatsbediensteten zum Jahrestag seiner Thronbesteigung abhalten lässt, aber zugleich auf kapitalistisches Geschäftsgebaren große Stücke hält. Die Pariser Abendzeitung Le Monde, die vom Montag bis zum Sonntag voriger Woche zahlreiche, teilweise neue Hintergrundinformationen zum Königshaus publizierte, bezifferte den Zuwachs des persönlichen Vermögens von 500.000 US-Dollar bei seinem Antritt auf 5,7 Milliarden im Jahr 2015; seitdem bestünden keine zuverlässigen Statistiken mehr. In allen modernen Wirtschaftssektoren wie Telekommunikation und Agrarindustrie sind Konzerne in der Form königlicher Stiftungen aktiv, die – auch auf Kosten anderer Kapitalfraktionen, die ihnen eine Beteiligung gewähren müssen – allerhand Mehrwert abschöpfen.
Aber in den vergangenen Monaten hat ein interner Krieg begonnen, bei dem auch Wirtschaftsinteressen in Mitleidenschaft gezogen werden, wie Le Monde darlegte. So begann in von Fraktionen der marokkanischen Oligarchie kontrollierten Medien eine heftige Kampagne gegen die Direktion des für Phosphatgewinnung und -export zuständigen Unternehmens OCP.
Hintergrund dafür ist, dass der 22jährige Kronprinz Moulay Al-Hassan auf einer von OCP finanzierten Eliteuniversität studierte. Da derzeit die Nachfolgefrage für den erst 58jährigen, doch relativ schwer kranken Mohammed VI. – er leidet an einer Immunschwächekrankheit, die mit chronischen Lungenentzündungen einhergeht – aufgeworfen wird, fürchten rivalisierende Teile der Oligarchie, gegenüber dem bei OCP dominierenden Flügel ins Hintertreffen zu geraten.
Seit dem Frühjahr kommt es zu großangelegten Hackerangriffen auf marokkanische Institutionen wie die Sozialversicherungskassen und das Grundbuchamt. Bislang wurden diese Attacken dem Nachbarn und geopolitischen Rivalen Algerien zugeschrieben. Falsch, behaupten hingegen die beiden Nordafrikaspezialisten von Le Monde, Christophe Ayad und Frédéric Bodin. Sie führen die Angriffe, bei denen umfassend Daten abgegriffen wurden, auf interne Rivalitäten in der herrschenden Klasse zurück: Auf diesem Wege seien Einkommen und Einkommenstitel, die zum Teil auf dem Wege illegaler Korruption zusammengerafft wurden, offengelegt worden.
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