»Sie betrachten Frauen und Kinder als Kriegsbeute«
Interview: Gitta Düperthal
In der Provinz Suweida im Südwesten Syriens kommt es seit Mitte Juli zu Angriffen von Dschihadisten. Zudem bombardiert Israel Gebiete im Süden und in Damaskus mit dem erklärten Ziel, die drusische Bevölkerung schützen zu wollen. Wie ist die aktuelle Lage dort?
Die Dschihadisten haben dort mehr als 33 Dörfer komplett zerstört, Menschen vertrieben und getötet sowie Frauen und Kinder entführt. Ein Massaker gegen die drusische Bevölkerung findet statt. Viele haben nicht genug zu essen, kaum Wasser oder Elektrizität. Immer wieder werden Leichen und Verletzte aufgefunden, Hunderte Menschen oder mehr sind vermisst. Die Dschihadisten morden oder bedrohen die Zivilbevölkerung weiterhin, gehen mit Gewehren, Bomben und Raketen gegen sie vor. 150.000 Menschen sind auf der Flucht. Schulen werden als Unterkünfte genutzt, Unterricht für Kinder kann nicht mehr stattfinden. Handys werden den Menschen oft entwendet, damit sie keine Aufnahmen der Zerstörung machen können.
Wie erfahren Sie davon, was vor sich geht?
Zwar gibt es wenige Informationen, weil die Milizen der Regierung es unterbinden, dass Nachrichten nach draußen gelangen. Trotz allem gelingt es aber der Zivilbevölkerung oder Journalistinnen und Journalisten, Aufnahmen zu schicken. Und: Terrormilizen inszenieren sich selbst mit ihren Verbrechen in den sozialen Medien.
Welche Rolle spielen die Übergangsregierung von Ahmed Al-Scharaa und die ihm nahestehende Dschihadistenmiliz »Hayat Tahrir al-Sham«, HTS, in dem Konflikt?
Medien stellen es oft dar, als wäre es ein Konflikt. Zu Beginn war es auch eine kleine Auseinandersetzung zwischen der religiösen Minderheit der Drusen, deren Zentrum die Stadt Suweida ist, und benachbarten beduinischen Stämmen. Die hätte leicht beigelegt werden können. Unter dem Vorwand, die Stadt befreien zu wollen, attackierten Milizen des Regimes die Zivilbevölkerung, darunter auch Dschihadisten aus dem Ausland. Sie trugen Uniformen syrischer Sicherheitskräfte. Dass sie religiöse Minderheiten überfallen, ist nicht neu. Im März waren sie gegen Alawiten in der Region Latakia an der syrischen Mittelmeerküste vorgerückt und hatten Hunderte von ihnen getötet. Neuerlich wurden die Drusen als Feinde stigmatisiert.
Wie ist die Lage von Frauen und Kindern in Suweida?
Die »Sicherheitskräfte« betrachten Frauen und Kinder als Kriegsbeute. Sie verschleppen Frauen und verkaufen sie als Sklavinnen auf Märkten wie eine Ware. Dschihadisten vergewaltigen sie. Entführte Kinder konditionieren sie zu Kämpfern gegen ihre eigene drusische Herkunft.
Was bewirken Angriffe des Staates Israel, der sich als Schutzmacht der Drusen in Szene setzt?
Ob Menschen entführt, ihnen Gewalt angetan, sie getötet oder ihre Häuser in Brand gesetzt werden: Die israelische Regierung interessiert es nicht, sie ignoriert es, nutzt es nur für eigene Machtpolitik. Israels Armee heizt den Konflikt mit Bomben weiter an.
Kommt humanitäre Hilfe aus anderen Teilen Syriens, etwa aus der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, auch DAANES genannt?
Wenn »DAANES« Hilfskonvois schickt, macht es die Selbstverwaltung zuvor nicht öffentlich. Sonst können ihre Konvois es nicht bis nach Suweida schaffen. Die Regierung blockiert Wege, so dass kaum humanitäre Hilfe ankommen kann. Internationale Hilfsorganisationen sammeln Spenden, schicken etwa Mehl, um Brot zu backen. Da es aber keinen Strom gibt, ist das schwierig. Andere gelieferte Lebensmittel verderben schnell, weil sie nicht in Kühlschränken gekühlt werden können.
Erwarten Sie politische Unterstützung von der Bundesregierung?
Die deutsche Regierung sollte die syrische Übergangsregierung zumindest nicht zum Verhandlungspartner erheben. Sie besteht aus Dschihadisten, die Minderheiten unterdrücken und Menschenrechte missachten. Sie führen Gewaltkampagnen durch, lassen Menschen umbringen, versuchen aber durch ihre Propaganda im guten Licht zu erscheinen. Die Frau in ihrer Regierung dient als Ausrede.
Maya Azzam ist drusische Friedensaktivistin und lebt in Deutschland
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