»Zeitenwende« macht’s möglich
Von Ralf Wurzbacher
Das würde passen: eine Bahnstrecke namens »Eiserner Rhein« und darüber brettern in Zukunft Panzer und Soldaten, Zielrichtung NATO-Ostflanke. Einem Pressebericht aus Flandern zufolge intensivieren Deutschland, Belgien und die Niederlande ihre Gespräche über die Reaktivierung einer Direktverbindung zwischen dem Hafen von Antwerpen und dem Ruhrgebiet. Hintergrund sei die Sorge, bestehende Linien könnten im Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Russland überlastet sein, insbesondere im Bereich Frachtverkehr. Das Projekt fügt sich in Pläne der Bundesregierung ein, das deutsche Schienennetz militärlogistisch auf die Höhe der »Zeitenwende« zu bringen.
Wie es heißt, hat Belgiens Premierminister Bart De Wever das Thema zur Chefsache erklärt. Anfang Juli spielte es auch bei einer Zusammenkunft von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mit Flanderns Regierungschef Matthias Diependaele in Antwerpen eine Rolle. Dieser bemühe sich seit Monaten, das Vorhaben politisch voranzubringen, schrieb damals die Neue Ruhr-Zeitung (NRZ). Dabei geht es speziell darum, die Holländer ins Boot zu holen. Ein kurzer Abschnitt der fraglichen Strecke quert bis zur deutschen Grenze niederländisches Staatsgebiet. Den Haag fürchtet wirtschaftliche Schäden, weil durch eine Wiederinbetriebnahme die inländische Betuweroute weniger frequentiert und insbesondere der Hafen Rotterdam gegenüber dem in Antwerpen entwertet werden könnte.
Wüst dagegen wünscht sich eine bessere Anbindung des Duisburger Binnenhafens an Antwerpen, wo der Essener Chemiekonzern Evonik den größten Produktionsstandort außerhalb Deutschlands betreibt. Bei besagtem Treffen sprach er sich für eine »Triple-win-Situation« im Sinne einer Vereinbarung aus, von der alle drei Staaten etwas hätten, und fügte hinzu: »Ich bin hoffnungsvoll, dass dies gelingen wird.« Eine Lösung ist offenbar in Sicht. Wie die Taz am Mittwoch schrieb, wollten die Befürworter die Niederlande mit Geldern aus einem EU-Topf für militärische Mobilität »überzeugen«. Der soll mit 17 Milliarden Euro gefüllt werden, wobei die Verhandlungen dazu noch laufen.
Der »Eiserne Rhein« war 1879 in Betrieb genommen worden und verband mit mehreren Unterbrechungen über ein Jahrhundert lang Antwerpen mit Rheydt, einem Stadtteil im Süden von Mönchengladbach. Anfang der 1990er Jahre wurde der Verkehr eingestellt, was insbesondere die lärmgeplagten Anwohner beiderseits der deutsch-niederländischen Grenze freute. Wiederholte politische Vorstöße, die Linie auf deutschem Boden wieder aufzufrischen, konnten auch dank der Proteste mehrerer Bürgerinitiativen erfolgreich abgewehrt werden. Aber der Wind hat sich plötzlich gedreht. Im Februar gab der Rat der Stadt Wegberg dem Zweckverband »Go.Rheinland« grünes Licht für den Ausbau und die Modernisierung der alten Trasse Mönchengladbach–Wegberg–Dalheim – ohne Bürgerbeteiligung, Planfeststellungsverfahren und Bedarfsprüfung. Im November 2024 hatte er sich gegen eine nahezu identische Unternehmung noch gesperrt.
Was ist passiert? »Wir verstehen die Beweggründe nicht«, äußerte sich in der Vorwoche Günter Arnolds, Mitbegründer der BI »Eiserner Rhein 2.0«, in der örtlichen Presse. Nach seiner Schilderung sind die zwischen Gladbach und Dalheim verkehrenden Personenzüge sehr schwach ausgelastet, und man munkele, sie führten »nicht wirtschaftlich«. Arnolds hat die Sorge, dass der Ausbau der »Toröffner ist, um doch noch Güterverkehr zuzulassen«. An Truppentransporte dachte er dabei nicht – noch nicht.
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