»Es geht darum, wer die Deutungshoheit hat«
Interview: Gitta Düperthal
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Decolonize Berlin und andere Organisationen feiern an diesem Sonnabend, dass die Berliner Mohrenstraße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt wird. Die neuen Schilder hängen schon, doch ein gegenläufiger Eilantrag beim Verwaltungsgericht Berlin hatte Erfolg. Wie ist der aktuelle Stand?
Das Bezirksamt Berlin-Mitte wollte die Straße an diesem Sonnabend offiziell umbenennen. Der Eilantrag dagegen hat aber eine aufschiebende Wirkung, was herausfordernd und ärgerlich ist. Seit mehr als 20 Jahren treten wir dafür ein, dass er geändert wird. Wir schildern, wie schwarze Menschen den Straßennamen wahrnehmen und was daran diskriminierend ist. Dass ein Gericht nun so kurz vor der Umbenennung dagegen entscheidet, obwohl noch anstehende Klagen wortgleich mit einer Musterklage sind, die bereits gerichtlich abgelehnt wurde, zeigt, wo wir in der Debatte zum Rassismus in Deutschland stehen. Das ist ein Versuch, den Prozess der Umbenennung aufzuhalten oder zu verzögern. Das Bezirksamt hatte politisch entschieden, dass die Klagen keine Aussicht auf Erfolg haben.
Unsere Feier wird stattfinden, da wir davon ausgehen, dass der erneute Versuch, eine Umbenennung in Anton-Wilhelm-Amo-Straße zu verhindern, keinen Bestand haben kann. Das M- Wort halten wir für historisch belastet, abwertend und rassistisch.
Wie ist es zu erklären, dass Menschen sich hartnäckig dafür einsetzen, dass alles so bleibt, wie es ist, selbst wenn das an koloniale Zeiten erinnert?
Ich muss den Anwohner der Straße, Götz Aly (deutscher Historiker, jW), zitieren, der eben das bestreitet. Eine kleine Minderheit wolle der Mehrheit diktieren, wie der öffentliche Raum auszusehen hat, behauptet er. Unterstellt wird, wir betrieben »Cancel Culture«, wollten Geschichte angeblich unsichtbar machen, was auch ein Teil der Medien so kolportiert. Wir fordern im Gegenteil: eine angemessene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Alys Kernargument ist, der M-Begriff für Schwarze sei ursprünglich historisch positiv gemeint gewesen. Dass der Straßenname derart umkämpft ist, macht klar: Es geht darum, wer die Deutungshoheit hat. Es handelt sich um eine Art Kulturkampf.
In einer Mitteilung bezeichnen Sie die Umbenennung als erinnerungspolitischen Schritt. Wie ist das gemeint?
Wir brauchen diese Auseinandersetzung in der Gesellschaft. Immer wird gesagt, es handele sich um ein historisch abgeschlossenes Kapitel, das heute keine Relevanz mehr habe. Das Gegenteil ist der Fall. Koloniale Vergangenheit wirkt in die Gegenwart hinein. Schauen wir uns die Klimaverhältnisse und Handelsungerechtigkeiten an, die Flucht- und Migrationsbewegungen nach sich ziehen: Da fällt uns eine ganze Palette von Themen vor die Füße. In der Debatte werden rassistische Verhältnisse sichtbar. Die Ablehnung verdeutlicht, wie schwer es weißen Menschen noch immer fällt, unsere Argumente nachzuvollziehen. Sie wollen definieren, wann sich schwarze Menschen diskriminiert fühlen können sollen.
Es geht also um die Anerkennung der Geschichte der Versklavung hinter dem Straßennamen?
Absolut. Deutschland hat, wie auch andere europäische Staaten, diesen geschichtlichen Hintergrund, lehnt aber die Verantwortungsübernahme dafür ab. Das Signal »Wir sind bereit, uns dieser Geschichte zu stellen« fehlt nahezu komplett.
In Regensburg gibt es ähnliche Kämpfe. 2016 kam es in der bayerischen Stadt zur Aktion, die Drei-Mohren-Straße in Drei-Möhren-Straße umzutaufen.
Es ist ein bundesweites Problem. Coburg hat etwa »den Mohr« als Stadtwappen. Die Idee des Umwandelns mit Tüpfelchen auf dem »o« ist charmant. Längerfristig braucht es aber das Signal, statt dessen widerständige Menschen zu ehren, wie Anton Wilhelm Amo, der von 1703 bis 1756 lebte. Als erster bekannter Philosoph afrikanischer Herkunft lehrte er an deutschen Universitäten. So kann ein Umdenken in den Köpfen entstehen.
Tahir Della ist im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD)
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