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Aus: Ausgabe vom 08.08.2025, Seite 8 / Inland
Abschiebung eines Aktivisten

»Was es jetzt braucht, ist Druck der Öffentlichkeit«

Niedersachsen: Kurdischer Aktivist soll vor Haftende in Türkei abgeschoben werden. Ein Gespräch mit Elmar Millich
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Ihr Verein setzt sich für den politischen Gefangenen Mehmet Çakas ein. Was wird ihm vorgeworfen?

Mehmet Çakas war im Dezember 2022 in Italien – auf Betreiben deutscher Behörden – in Auslieferungshaft genommen und im März 2023 nach Deutschland überstellt worden. Im April 2024 wurde er vom Oberlandesgericht Celle wegen Mitgliedschaft in der kürzlich aufgelösten Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, nach Paragraf 129 a und b des Strafgesetzbuchs (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, jW) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Derzeit sitzt er in der JVA Uelzen in Niedersachsen in Strafhaft. Seine reguläre Entlassung wäre Anfang Oktober 2025.

Er soll am 28. August aus der BRD an die Türkei ausgeliefert werden. Wie kam es dazu?

Bislang wurden noch nie kurdische Aktivisten, die nach 129 a/b verurteilt wurden, an die Türkei ausgeliefert. In der Regel kam es nach Verbüßung der Strafhaft zu aufenthaltseinschränkenden Maßnahmen und Asylaberkennungen, aber nicht zu Abschiebungen in die Türkei. Dass Çakas jetzt abgeschoben werden soll, hängt sicher mit den verschärften Maßnahmen der neuen Bundesregierung gegen Flüchtlinge und Asylsuchende zusammen. Ermöglicht wurde die nun geplante Vorgehensweise durch den Verzicht auf weitere Vollstreckung der Haftstrafe durch die Generalstaatsanwaltschaft Celle Anfang Juli. Somit konnten die entsprechenden Formalitäten durch die Ausländerbehörde eingeleitet werden.

In den zurückliegenden Wochen gab es ein juristisches Hin und Her. Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Lüneburg eine Abschiebung untersagt. Was sind die Hintergründe?

Auf Antrag des Anwaltsteams von Çakas hatte das zuständige Verwaltungsgericht Lüneburg am 18. Juli entgegen seinem ersten Beschluss eine Abschiebung vorläufig untersagt. Hintergrund der Entscheidung war, dass Çakas 2022 auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls aus Italien ausgeliefert wurde. In dem Auslieferungsbeschluss des Oberlandesgerichts Mailand wird festgehalten, dass eine Auslieferung von Çakas aus der BRD in die Türkei nur mit Zustimmung eben dieses Gerichts erfolgen darf. Vor kurzem kam die Ankündigung der Abschiebung für den 28. August. Wie und ob sich diese Rechtslage in den letzten Tagen geändert hat oder ob diese Zustimmung erfolgt ist, finden seine Anwälte gerade heraus.

Wäre eine Auslieferung mit geltendem Recht vereinbar gewesen?

Verschiedene europäische Institutionen haben festgestellt, dass in der Türkei keine Rechtsstaatlichkeit herrscht. Besonders wenn es um Terrorismusvorwürfe geht, kommt es zu ausufernden Anklagen und Verurteilungen. In der Türkei laufen schon Strafverfahren gegen Mehmet Çakas und da er bereits in der BRD wegen PKK-Mitgliedschaft verurteilt wurde, droht ihm im Falle einer Abschiebung eine jahrzehntelange Haftstrafe.

Weshalb formiert sich dagegen Widerstand?

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, kurz RAV, warf den deutschen Behörden in einer Solidaritätsstellungnahme vom 7. Juli vor, einen Präzedenzfall schaffen zu wollen. Mit der Abschiebung politisch aktiver Kurden durch die BRD würden sowohl das Folterverbot als auch internationale Schutzstandards verletzt.

Wie kann die Auslieferung von Mehmet Çakas verhindert werden?

Anhängig ist ein Eilverfahren beim Bundesverfassungsgericht, auf dessen Ausgang wir uns aber nicht verlassen sollten. Zumal die Ausländerbehörde nicht verpflichtet ist, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten. Im schlimmsten Fall würde – wie bei der Auslieferung von Maja T. nach Ungarn – dem Antrag erst stattgegeben, wenn die Abschiebung in die Türkei schon gelaufen ist.

Was es jetzt braucht, ist Druck der Öffentlichkeit auf die verantwortlichen Behörden. Schon in den vergangenen Wochen gab es viele Demonstrationen gegen die drohende Abschiebung etwa in Uelzen, Hannover, Celle und Hamburg. Auch mehrere Verbände und politische Einzelpersonen protestieren gegen das Behördenvorgehen. Darunter auch der niedersächsische Flüchtlingsrat, der bereits erwähnte RAV und die Rote Hilfe e. V.

Elmar Millich ist Vorstandsmitglied des Rechtshilfefonds Azadi e. V.

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