Verfassungsschutz als Wahlhelfer
Von Niki Uhlmann
Demokratie ist ein geflügeltes Wort. Viele, oft Benachteiligte, meinen es ernst mit ihr, fordern sie ein in der Hoffnung, endlich mitzubestimmen über Dinge, die sie betreffen. Andere, meist Herrschende, berufen sich auf sie, um Schweinereien zu legitimieren. Konjunktur hat hierzulande der Zweifel an der Verfassungstreue, am Kleben auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Gesät wird er, wenn die politische Konkurrenz in Form der AfD in Ämter drängt, die für Parteifreunde, altgediente Politkader oder schlicht sich selbst vorgesehen sind. Dieses eigennützige Demokratieverständnis steht freilich im Widerspruch zu den realen Mehrheitsverhältnissen der BRD – ist also undemokratisch.
Der jüngste Fall spielt sich in Rheinland-Pfalz ab, wo bereits im Juni ein nach Ankündigung schleunigst wieder revidierter, pauschaler Ausschluss von AfD-Mitgliedern aus dem öffentlichen Dienst Aufsehen erregt hatte. In Ludwigshafen hat SPD-Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck den Antritt ihres AfD-Herausforderers Joachim Paul zur Kommunalwahl am 21. September vereiteln lassen. »Anhaltspunkte für ein Nichtvorliegen der Verfassungstreue des Bewerbers Paul« soll Steinruck dem rheinland-pfälzischen Innenministerium am 18. Juli mitgeteilt und dessen Antwort am vergangenen Dienstag im örtlichen Wahlausschuss, dem sie selbst vorsteht, für den Ausschluss des Widersachers herangezogen haben, berichtete Welt am Donnerstag. In aktuellen Umfragen käme die AfD demnach auf 23,4 Prozent der Stimmen, wohingegen die SPD in ihrer einstigen Hochburg nur mit 19,4 Prozent rechnen könne.
Im Schreiben des Innenministeriums, das auf Recherchen des Inlandsgeheimdienstes beruht, werden Paul mehrere Artikel im österreichischen FPÖ-nahen Magazin Freilich zur Last gelegt. Dort habe er Migranten einen »grundsätzlich asozialen Gruppenegoismus« unterstellt, gemutmaßt, dass Deutsche »aktiv verdrängt« würden, und andere rassistische Ressentiments wiedergekäut. Ferner pflege er Kontakte zur neuen Rechten, etwa zu Martin Sellner, der bei seinem Wahlkreisbüro aufgetreten sei, oder zu schlagenden Burschenschaften, für deren Publikationen er ebenfalls schreibe. Selbst die AfD habe eine Ämtersperre gegen ihn verhängt, weil »Paul auf einer AfD-Veranstaltung den sogenannten White-Power-Gruß gezeigt haben soll«. Weitere Indizien legen abermals nahe, dass die AfD der parlamentarische Arm der faschistischen Bewegung in der BRD ist.
Paul wies sämtliche Vorwürfe am Mittwoch im Interview mit dem rechten Portal Nius von sich und kündigte an, gegen die Entscheidung Einspruch einzulegen. Es gäbe »keine einzige Äußerung«, bei der er »Wahlen in Frage stelle, das politische System in Frage stelle, die demokratischen Grundsätze in Frage stelle«. Dem Verfassungsschutz warf Paul vor, ihn missverständlich zitiert zu haben und »größenwahnsinnig geworden« zu sein. Nie will er »allen Ausländern« niedere Triebe angedichtet haben. Auch die Ämtersperre habe es nicht gegeben, da per Handzeichen lediglich ein Okay angedeutet worden sei. Die Arbeiter in Ludwigshafen interessierten sich ohnehin nicht für die »etablierten, zu Fake News neigenden Medien«. Längst sei man »lebensweltlich in die Milieus der SPD eingedrungen«, rundete er das Gespräch wie ein rechter Stratege ab.
Auf dem Kurznachrichtendienst X war am Donnerstag einerseits zu lesen, »die SPD in Rheinland-Pfalz ist gesichert linksextrem«. Andererseits wurde zu einem antifaschistischen Protest gegen einen Aufmarsch der AfD in Ludwigshafen am kommenden Sonntag mobilisiert. Die AfD sei »nicht die Angegriffene«, sondern »der Angriff«, nämlich auf »demokratische Strukturen, auf solidarisches Zusammenleben«, letztlich »auf alle, die nicht in ihr völkisches Weltbild passen«. Diese Sorgen sind begründet, dieser Protest notwendig. Wer aber die Demokratie retten oder sogar den Aufstieg der Rechten umkehren will, ist gut beraten, sich dabei weder auf Verfassungsschützer oder Innenministerien zu verlassen, noch auf jene, die der AfD den Boden bereitet haben und ihre Fehler aufgrund von Hilflosigkeit mit technokratischen Taschenspielertricks ausbügeln wollen.
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