Wirtschaft im Sommerloch
Von Klaus Fischer
Deutschlands Wirtschaft ist nach der Winterdepression und dem verregneten Frühjahr direkt ins Sommerloch gefallen. So jedenfalls lesen sich die aktuellen Zahlen wichtiger Branchen. Die Industrie ist weiter im Sinkflug – die Produktion fiel nach einem schwachen Mai im Juni um fast zwei Prozent (1,9), teilte das Statistische Bundesamt (Destatis) am Donnerstag mit. Und die seit langem anhaltende Pleitewelle hat nichts von ihrer Dynamik verloren. Lediglich die Exportwirtschaft konnte ein leichtes Plus verzeichnen.
Für die Industrie sind die Aussichten weiterhin besorgniserregend. Nicht nur die Junizahlen im verarbeitenden Gewerbe belegen, dass die Kapitalverwertungskrise anhält – die nach und zu einer gesellschaftlichen Krise (Kriegswirtschaft, wachsendes Staatsdefizit, Sozialabbau etc.) aufwächst. Das wird besonders an einer statistischen Korrektur deutlich, zu der sich das Bundesamt bei den Zahlen für den Monat Mai verpflichtet fühlte: Nachdem Destatis für den Mai ein Wachstum der Industrieproduktion um 1,2 Prozent gemeldet hatte, musste dieser Wert zuletzt auf minus 0,1 Prozent geerdet werden.
Nicht nur die Industrie schwächelt – der gesamte wirtschaftliche Reproduktionsprozess ist betroffen. Ein Indikator dafür ist die anhaltende Pleitewelle. Die Zahl der Insolvenzen ist laut dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) im Juli erneut gestiegen, wie die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag meldete. Die Pleiten von Personen- und Kapitalgesellschaften nahmen demnach im Juli zum Vormonat um zwölf Prozent auf 1.588 zu. Das sind 13 Prozent mehr als im Juli 2024 und 64 Prozent mehr als in einem durchschnittlichen Juli der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Coronakrise. »Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen erreichte damit im Juli einen Wert, der – abgesehen vom Rekordmonat April 2025 – so hoch war wie seit 20 Jahren nicht mehr«, verlautbarten die IWH-Forscher.
Diese Gesamtentwicklung lässt nicht nur Profite schmelzen – wie etwa die Automobilbranche im ersten Halbjahr erfahren musste. Sie treibt Unternehmen dazu, Arbeitsplätze zu vernichten oder zu verlagern – mit allen gesellschaftlichen Konsequenzen. Das drückt auch aufs Gemüt der Kapitaleigner und -manager – was als »Stimmung« vom Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo-Institut) seit Jahrzehnten gemessen wird. Und die ist schlecht.
Neben den Autobauern und Zulieferern sowie der Stahlbranche sind vor allem Manager der Pharma- und Chemieunternehmen in Sorge. In der chemischen Industrie habe sich zu Beginn der zweiten Jahreshälfte auch wegen des niedrigsten Auftragspolsters seit 2009 die Stimmung deutlich verschlechtert, so die Münchner Wirtschaftsforscher laut Reuters. »Die vorübergehende Hoffnung der Chemie auf eine konjunkturelle Erholung ist verflogen«, zitierte die Nachrichtenagentur Ifo-Branchenexpertin Anna Wolf.
Insofern überrascht der leichte Aufwind in der Exportbranche zunächst. Die Ausfuhren waren im Juni »trotz eines zollbedingt erneut schrumpfenden US-Geschäfts gestiegen«, schrieb Reuters in einem weiteren Bericht. Sie wuchsen laut Destatis vom Donnerstag um (bescheidene) 0,8 Prozent im Vergleich zum Vormonat auf 130,5 Milliarden Euro. Die steigende Nachfrage aus der EU und China habe dabei den Rückgang bei den US-Ausfuhren mehr als wettgemacht, hieß es weiter. Ob das ein positives Zeichen ist oder nur eine Korrekturbewegung bleibt abzuwarten. Denn der Anstieg folgt nach zwei Rückgängen in Folge.
Die ökonomische Lage bleibt hierzulande also ernst und deutet auf weitere Stagnation oder Rezession hin. Vor allem die nicht konkurrenzfähigen hohen Energiepreise belasten Industrie und Dienstleistungsgewerbe weiter. Der Versuch, alle Probleme mit der US-Zollpolitik zu begründen, greift deshalb zu kurz. Hauptproblem bleibt die subjektivistische, grundlegende Gesetze der kapitalistischen Ökonomie negierende staatliche Wirtschaftspolitik – gerne als »Bürokratieproblem« abgetan. Und hierbei ist seit 2022 keine Änderung in Sicht.
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Leserbrief von Andreas Bartholomäus (8. August 2025 um 20:01 Uhr)Man sollte erstmal die Nationalökonomische »Ursache und Wirkung« Ebene verstehen, sowie dass die »aktuelle Wirtschaftskrise« bereits 2017 begonnen hat. Siehe: https://www.exploring-economics.org/de/entdecken/am-wendepunkt-die-krise-des-deutschen-exportsmodells/ Daran ist die selbe Wirtschafts- und Finanzpolitik wie seitdem Frühkapitalismus aka Merkantilismus als deu. Version des Kameralismus (Schatzkämmerei: hohe Steuereinnahmen bei niedrigen Staatsausgaben, die seitdem »aktuelle staatliche Buchführungsmethode« ist die Kameralistik) schuld. Das Problem hat Adam Smith 1776 in »Wealth of Nations« als »Beggar-thy-Neighbour-Politik« (den Nachbarn zum Bettler machen) kritisiert: Gemeint sind wirtschaftspolitische Maßnahmen die durch Steigerung der Exporte unter gleichzeitiger Hemmung von Importsteigerungen im Inland das Einkommen und/oder die Beschäftigung erhöhen sollen. Steigende Exporte bewirken zusätzliche Arbeit und mehr Einkommen bei privaten Haushalten, ein Teil dieses zusätzlichen Einkommens wird wieder für den Kauf von Gütern oder für Dienstleistungen ausgeben, was neues Einkommen entstehen lässt (Exportmultiplikator). Da solche Exportsteigerungen eines Landes für andere Länder eine Steigerung der Importe bedingt, wird sich damit in den anderen Ländern kontraktive Wirkung ergeben (z.B. weniger heimische Produktnachfrage =höhere Arbeitslosigkeit). Diese »reale innere Abwertung zur Exportförderung« wurde mittels Restriktiver Fiskalpolitik (Senkung von Sozialausgaben Hartz4, Erhöhung von direkten/indirekten Steuern z.b. MwSt. 16% zu 19%, Staatsausgabenzurückhaltung durch Schuldenbremse) und Indifferenter Fiskalpolitik (Senkung der Lohnstückkosten führt zu erhöhter Auslandsnachfrage, bei gleichzeitigem Absinken des Volkseinkommen und somit der Massenkonsumkaufkraft aka Niedriglohnsektor) umgesetzt. Dasmaktive abwerten der Massenkonsumkaufkraft bedingt geringere Konsumimporte und wirkt so als »unsichtbarer Protektionismus«. Ohne deficit spending keine Erholung! lg
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