Abbruch aufgeschoben
Von Knut Mellenthin
Die drohende »diplomatische« Eskalation des Streits um das iranische Atomprogramm wurde zwar nicht abgewendet, aber vertagt: Nach einem vierstündigen Treffen in Istanbul trennten sich am Freitag die Vertreter der Islamischen Republik und der sogenannten E3-Staaten – Frankreich, Deutschland und Großbritannien – ohne Einigung, aber auch ohne offenen Bruch. Die Diskussion sei »ernsthaft, freimütig und detailliert« geführt worden, versicherte anschließend der stellvertretende iranische Außenminister Kasem Gharibabadi. »Die europäische Troika« habe »zugestimmt, die Diskussionen über die Aufhebung der Sanktionen und über das Atomthema fortzusetzen«. Für diese Aussage gibt es allerdings bisher keine nachprüfbare Bestätigung der Gegenseite.
Das Treffen in Istanbul war bereits das siebente seit der Aufnahme von Gesprächen in diesem Format zwischen der iranischen Regierung und den E3 im vorigen Jahr und die erste Begegnung nach den Angriffen Israels und der USA auf die Atomanlagen der Islamischen Republik im Juni. Anders als die Verhandlungen zwischen Washington und Teheran, die seit dieser militärischen Konfrontation unterbrochen sind, werden die europäisch-iranischen Gespräche direkt, ohne Einschaltung von Vermittlern geführt. Die Teilnehmer sind stellvertretende Außenminister oder ungefähr gleichrangige Diplomaten.
Zusammen mit den USA, Russland und China sind die drei europäischen Staaten Unterzeichner des internationalen Wiener Abkommens, englisch abgekürzt JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), das im Juli 2015 nach mehrjährigen Verhandlungen vereinbart wurde. Es sieht zeitlich abgestufte Beschränkungen des zivilen Atomprogramms der Islamischen Republik vor, von denen einige bis zum Jahr 2030 oder sogar noch darüber hinaus reichen. Im Gegenzug wurde dem Iran die Nichtanwendung vieler – aber keineswegs aller – schmerzhafter Wirtschaftssanktionen versprochen, die überwiegend von den Regierungen der USA im Laufe der Jahre seit dem Sturz des Schah-Regimes im Januar 1979 verfügt worden waren.
Aber US-Präsident Donald Trump ordnete im Mai 2018 während seiner ersten Amtszeit den Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem JCPOA und das Ende aller vertraglich versprochenen Sanktionserleichterungen an. Aufgrund der überragenden Tragweite der US-Strafmaßnahmen war Trumps Entscheidung der Todesstoß für das Wiener Abkommen. Trotzdem hielten der Iran und die übrigen Unterzeichner, zeitweise sogar die US-Regierungen, an der Illusion fest, man könne noch über die Wiederherstellung des JCPOA verhandeln.
Gleichzeitig entfernte sich die Islamische Republik aber immer weiter von der Erfüllung der Verpflichtungen, die sich für sie aus dem Abkommen ergeben, trieb den Grad ihrer Anreicherung von Uran auf 60 Prozent hoch und reduzierte die Kontrollmöglichkeiten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), einer Unterorganisation der UNO, obwohl diese ein zwingender Teil des Atomwaffensperrvertrages sind, dem der Iran 1968 beigetreten ist.
Zugunsten Irans könnte eingewandt werden, dass er auf diese Weise seine Verhandlungsposition für die Rückkehr der USA und ihrer europäischen Verbündeten auf den Boden der 2015 geschlossenen Vereinbarungen zu stärken versuche. Aber spätestens seit Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump im Januar dieses Jahres ist Teheran zunehmend eindeutig und immer schärfer mit der Forderung konfrontiert, die Anreicherung von Uran nicht nur für den Zeitraum bis 2030 auf maximal 3,67 Prozent zu beschränken, wie es das von den westlichen Partnern längst gebrochene und obsolet gemachte Wiener Abkommen vorschrieb, sondern vollständig, restlos und ohne Zeitgrenze darauf zu verzichten.
In diesem Punkt unterscheidet sich die gemeinsame »Verhandlungsposition« des europäischen Trios nicht relevant von der zentralen Forderung der Trump-Administration, die darüber hinaus auch den Einsatz militärischer Gewalt in den Mix ihrer Druckmittel einbezieht.
Ganz so weit sind die E3 bisher noch nicht gegangen, auch wenn ihre verbale Distanz zur direkten Kriegführung Israels und der USA im Juni allenfalls geringfügig blieb und mit der »Bekräftigung ihrer festen Verpflichtung auf Israels Sicherheit« verbunden wurde, wie es in einer gemeinsamen Erklärung der drei Regierungen hieß, die sie am 20. Juni, eine Woche nach Beginn der israelischen Angriffe, veröffentlichten.
Zugleich konfrontieren sie Iran in den Gesprächen mit der Drohung, vom »Snap-Back-Mechanismus«, einer Klausel im komplizierten Vertragswerk des JCPOA, Gebrauch zu machen. Theoretisch erlaubt es diese Bestimmung jedem Partner des Wiener Abkommens, im Alleingang alle Strafmaßnahmen gegen Iran wieder in Kraft zu setzen, die vom UN-Sicherheitsrat bis dahin beschlossen worden waren, ohne dass eines der ständigen Mitglieder dieses Gremiums das durch ein Veto verhindern könnte. Die Klausel gilt aber nur noch bis zum 18. Oktober. Iran bestreitet, dass die E3 sich überhaupt noch darauf berufen könnten, weil sie aufgrund ihres Verhaltens ebenso wie die USA schon längst kein Partner des Wiener Abkommens mehr seien.
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