Warme Worte, keine Taten
Von Niki Uhlmann
Wenn Friedrich »Israel macht für uns alle die Drecksarbeit« Merz (CDU) von sich behauptet, er sei in der BRD »einer der Ersten gewesen«, der »in aller Deutlichkeit« verlautbart habe, dass die Zustände im Gazastreifen »nicht länger hinnehmbar sind«, muss etwas faul sein. Tatsächlich bemühte der Bundeskanzler diese Legende am Dienstag abend bei einer Pressekonferenz, um die Kritik seines Juniorpartners SPD abzuwehren. Einige namhafte Sozialdemokraten hatten die Bundesregierung dafür gerügt, sich nicht an Forderungen nach einem zügigen Ende des Mordens in Gaza beteiligt zu haben. 29 Staaten haben sich der gemeinsamen Erklärung inzwischen angeschlossen. Schon »lange vorher« habe er »genau diese Position« im EU-Rat eingenommen, beschwichtigte Merz.
Die BRD sollte »hier nicht ausscheren«, sagte Matthias Miersch, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Dienstag. Die Verantwortung, die man für die Sicherheit Israels habe, trage man auch für den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung und die Einhaltung des Völkerrechts: »Doppelte Standards untergraben unsere internationale Glaubwürdigkeit«, wies Miersch auf die ausgehungerten oder bereits ermordeten Hilfesuchenden sowie auf die Zerstörung ziviler Infrastruktur im Gazastreifen hin. Es brauche »jetzt – nicht irgendwann – einen sofortigen und nachhaltigen Waffenstillstand«, solidarisierte sich gleichentags auch die SPD-Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali Radovan.
Adis Ahmetović, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, und Rolf Mützenich, der die Partei im Auswärtigen Ausschuss vertritt, gingen noch einen Schritt weiter. Mit der »rapide eskalierenden Hungersnot« sei der »Point of no Return« erreicht, schrieben sie auf der Plattform Instagram. Da auch das »EU-Abkommen zur Verbesserung des humanitären Zugangs wirkungslos« bleibe, müsse die BRD ihre »Waffenexporte, die völkerrechtswidrig eingesetzt werden«, sofort einstellen. Israels Plan – die »systematische Vertreibung« von Palästinensern – ließe keine andere Wahl. Frieden könne nur mittels Diplomatie erreicht werden. Vorausgesetzt sei dem ein »Ende der militärischen Operation in Gaza« und des »illegalen Siedlungsbaus in der Westbank«, also »politischer Wille zur Zweistaatenlösung«.
Wie die Koalition wirkt auch die Union uneins. Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) beschwor am Mittwoch morgen im ZDF eine große Einheit: »Über die Wege zum gemeinsamen Ziel darf man auch mal unterschiedlicher Meinung sein.« »Dieser einseitige Druck auf Israel, das ist doch genau das, was die Hamas will«, schoss hingegen CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann via dpa gegen die SPD. Das »freundschaftliche Verhältnis« zu Israel lasse für »Sanktionen keinen Raum«. Ein Stopp aller Waffenlieferungen hätte »dramatische Folgen«, warb er für eine weitere Verstrickung der BRD in Israels Genozid. Er sorge sich um die israelischen Geiseln, maß er letztlich mit zweierlei Maß.
Die BRD sei eben »parteiisch«, mischte sich zuletzt noch Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) gegenüber der Zeit ein, als wolle er am Doppelstandard der Bundesregierung keinen Zweifel übrig lassen: »Niemand kann von uns verlangen, dass wir Israel im Stich lassen.« Kein arabischer Staat habe die deutschen Waffenlieferungen gen Israel bislang kritisiert, rühmte Wadephul seine Komplizen. Deren Schweigen hatte der Sprecher der Kassam-Brigaden, Abu Obeida, jüngst kritisiert. Im Gazastreifen wollte Wadephul allen gegenläufigen Indizien zum Trotz eine »gewisse Entwicklung« erkennen, die allerdings »längst nicht ausreichend ist«, weshalb man weiter auf einen Waffenstillstand hinarbeite. Fragt sich, wie, wenn weiter munitioniert und gedeckt wird.
Noch schrillere Töne schlug der israelische Botschafter in der BRD, Ron Prosor, an. Er warf der SPD via dpa »Verrat an den Geiseln« vor. Auch er unterstellt, die Sozialdemokraten würden der Hamas in die Hände spielen. Letztere dürfe nicht den Eindruck gewinnen, »dass es sich lohnt, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen«. Herausgezögert hatte letztere zuletzt jedoch Israels Premier Benjamin Netanjahu, der nach wie vor an seinem Vertreibungsplan festhält und diesen den Palästinensern womöglich als Friedensbedingung diktieren möchte. Israel werde »weder bei der Freilassung der Geiseln noch bei der Sicherheit seiner Bürger Kompromisse eingehen«, rechtfertigte Prosor.
Auf Nachfrage von jW kommentierten am Mittwoch auch Die Linke und das BSW die Debatte. Für erstere hielt die Bundestagsabgeordnete Lea Reisner fest, dass Merz’ »Lippenbekenntnisse« offensichtlich »absoluter Blödsinn« seien. Andernfalls müsste er Palästina als Staat anerkennen und die Urteile des Internationalen Gerichtshofs endlich umsetzen. Das fordere auch eine Mehrheit in der BRD. Warme Worte ohne Handlungen kämen einer »Vernebelung der dramatischen Lage in Gaza gleich«, ergänzt der Fraktionsvorsitzende Sören Pellmann. Sahra Wagenknecht sprach im Namen ihrer Partei von einer »außenpolitischen Bankrotterklärung«, zumal die Erklärung »viele andere EU-Staaten« unterzeichnet haben. Übereinstimmend forderten alle drei ein Ende der Waffenexporte.
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