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Aus: Ausgabe vom 24.07.2025, Seite 2 / Inland
Klassenkampf von oben in Berlin

»Für politische Aktionen sind Ferien ungünstig«

Berlin: Senat kürzt bei Beschäftigten in freier Jugendarbeit. Personal droht abzuwandern in andere Bereiche. Ein Gespräch mit Tilmann Weickmann
Interview: Max Ongsiek
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»Eure Kürzungen zerstören Leben!«: Protestkundgebung von Arbeiterinnen und Arbeitern der Jugend- und Sozialhilfeeinrichtung Pefferwerk in Berlin (8.7.2025)

In einem Schreiben hat die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie jüngst ihren zahlreichen freien Trägern in der Jugendhilfe mitgeteilt, dass die von der seit Februar geltenden 5,5prozentigen Tariferhöhung im Landesdienst nur rund zwei Prozent für ihre Beschäftigten erhalten werden. Was ist da los?

In den vergangenen 13 Jahren war es immer im Interesse des Landes Berlin, dass Zuwendungsempfänger in der freien Jugendarbeit ihr Personal – so wie im öffentlichen Dienst – nach Tarifvertrag bezahlen können. Jetzt gibt es zum ersten Mal die Situation, dass das Land Berlin ankündigt, diese Tariferhöhung nicht in voller Höhe an die Zuwendungsempfänger weiterzugeben.

Wie wird die Kürzung begründet?

Es sei nicht genug Geld vorhanden. Tatsächlich sind aber alle Senatsverwaltungen – bis auf Bildung, Jugend und Familie sowie Kultur und Gesellschaftlicher Zusammenhalt – in der Lage, ihren Zuwendungsempfängern diese 5,5 Prozent zu finanzieren.

Laut Jugendstaatssekretär Falko Liecke, CDU, erhält nur eine Handvoll Träger die 5,5prozentige Angleichung. Konkret handele es sich um solche, die »institutionell« gefördert werden. Was für Einrichtungen sind das?

In der Tat gibt es auch Einrichtungen, die gar keine Refinanzierung des Tarifaufwuchses erhalten. Aber 5,5 Prozent empfängt zum Beispiel das Freizeit- und Erholungszentrum Berlin-Wuhlheide, FEZ. Das ist eine hundertprozentige Tochter des Landes Berlin. Wenn das Land Zuwendungen vergibt, kann es das zum einen über eine institutionelle Förderung tun. Eine Organisation bekommt dann eine regelmäßige finanzielle Unterstützung. Einfach dafür, dass sie da ist, weil das Land sagt: »Es ist gut, dass es diese Institution gibt.«

Und wenn das nicht der Fall ist?

Der andere Weg ist die Projektförderung, die nur konkrete Projekte der Träger unterstützt. Die allermeisten Zuwendungen im Land Berlin im Jugendbereich werden so umgesetzt. Die Träger müssen also Jahr für Jahr einen neuen Antrag stellen. Allerdings sollen auch Jugendverbände laut Kinder- und Jugendhilfegesetz als Organisationen gefördert werden. Warum die aber in Berlin ausschließlich über Projekte finanziert werden, müssen Sie den Staatssekretär fragen.

Welche spürbaren Konsequenzen haben die Kürzungen im Angebot des Landesjugendrings?

Wir als Dachverband machen in der Regel keine Angebote, die sich direkt an Kinder und Jugendliche wenden, sondern wir unterstützen unsere Mitgliedsverbände und die Jugendbildungsstätten mit Fachberatung und Weiterbildungen. Wir stehen also vor der Situation, dass wir Personalstellen reduzieren müssen, um die verbleibenden Mitarbeiter tarifgerecht bezahlen zu können. Oder wir bezahlen alle untertariflich.

Gehen die Beschäftigten, wenn die tarifgerechte Bezahlung wegfällt?

Da ohne Tarifmittel in der freien Jugendhilfe schlechter bezahlt wird als in der öffentlichen Jugendhilfe, besteht diese Gefahr selbstverständlich. Gerade in der Jugendarbeit gibt es eine ganze Reihe von Einrichtungen in der Trägerschaft des Landes Berlin für Sozialarbeiter und Erzieher. Die Mitarbeiter stehen dann eben vor der Entscheidung: Arbeite ich weiter bei dem freien Träger und bekomme 5,5 Prozent weniger, oder wechsle ich in einen Arbeitsbereich, wo ich dann im öffentlichen Dienst angestellt bin und eben mehr Geld bekomme?

Ist vom Landesjugendring Protest geplant?

Zunächst einmal stehen wir ständig mit der Politik in Kontakt und führen viele Gespräche. Da jetzt aber die Sommerferien losgehen, können wir große Proteste gar nicht auf den Weg bringen. Denn jetzt ist für Jugendverbände die Zeit, wo diese vor allem mit Jugendlichen auf Ferienreisen gehen oder in Zeltlagern unterwegs sind. Für größere politische Aktionen sind die Ferien für uns also denkbar ungünstig.

Welche Möglichkeiten bleiben Ihnen damit noch?

Wir werden auf jeden Fall gemeinsam mit vielen anderen Organisationen, zum Beispiel Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften, am 11. September eine Demonstration vor dem Abgeordnetenhaus abhalten. Denn dann beschäftigt sich das Parlament – nicht zum ersten Mal – mit dem Haushaltsentwurf für 2026 und 2027.

Tilmann Weickmann ist Geschäftsführer des Landesjugendring Berlin e. V.

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