»Unsere Regierung bereitet Krieg vor, statt Frieden«
Interview: Gitta Düperthal
Die IPPNW hat die ehemalige Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen, schriftlich aufgefordert, sich als baldige Präsidentin der Generalversammlung der Vereinten Nationen für die Rücknahme der im Haushaltsentwurf der CDU/SPD-Bundesregierung vorgesehenen Kürzungen bei humanitärer Hilfe einzusetzen. Welchen Einfluss kann Baerbock nehmen?
Sie könnte energisch dafür plädieren, dass das nicht zurückgefahren werden darf. In Afrika toben Bürgerkriege im Ostkongo, in Äthiopien und im Sudan. Russland führt Krieg in der Ukraine, Israel in Gaza. Auslöser des Hungerns der Zivilbevölkerung in vielen Ländern ist der von US-Präsident Donald Trump verfügte Rückzug aus verschiedenen UN-Organisationen. Beiträge sind gestrichen, der Ausstieg aus der Weltgesundheitsorganisation ist vollzogen worden. Die Welthungerhilfe, zuvor wesentlich über die US-Behörde für internationale Entwicklung, USAID, finanziert, oder das Kinderhilfswerk UNICEF sind ihm egal: somit auch, ob Menschen weltweit genug Essen, Gesundheit und Bildung haben, was in der UN-Charta verbrieft ist.
Was folgt daraus?
Wir müssen davon ausgehen, dass Trump das humanitäre Unterstützungssystem der UNO zerschlagen will. Beispiel Gaza: Dort soll nun nicht mehr das unabhängige UN-Hilfswerk die Hilfe verteilen, sondern die Gaza Humanitarian Foundation, eine 2025 gegründete private Organisation unter Führung von Exsoldaten und Geheimdienstlern, politisch unterstützt von Israel und den USA. Bei Verteilstationen kommt es durch das israelische Militär ständig zu Beschuss. Die UNO beklagt, dass seit Ende Mai mehr als 800 Menschen getötet wurden, die für Nahrung anstanden. All das spricht für eine fortgesetzte Zerstörung der Autorität der UNO.
Wieso appellieren Sie an Baerbock?
Als führende UN-Diplomatin ist es ihre Aufgabe, die Staaten auf Probleme aufmerksam zu machen und zur Hilfe zu rufen. Ständig ansteigende nukleare, aber auch konventionelle Aufrüstung zeigt, wie brandgefährlich die Weltlage aktuell ist. Nach dem SIPRI-Bericht gab es im letzten Jahr 2,72 Billionen US-Dollar weltweite Militärausgaben.
Als Außenministerin sagte sie »Unsere Waffenlieferungen schützen Leben«. Weshalb sollte sie nun humanitäre Politik aufwerten?
Das ist ihre neue Rolle. Sie hatte Helga Schmid, bis 2024 Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, verdrängt. Schmid war für diese Aufgabe vorgesehen. Jetzt muss Baerbock an der Seite des UN-Generalsekretärs António Guterres beweisen, dass es zu schlechten Entscheidungen Alternativen gibt.
Gesetzt den Fall, sie würde aktiv: Weshalb sollte die Bundesregierung darauf hören?
International gibt es große Finanzlücken, um Folgen der Klimakrise aufzufangen. Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für unseren Planeten. Investiert die Bundesregierung nur in Kriegsvorbereitungen und Aufrüstung, statt in Soziales und wirtschaftliche Strukturen, zerstört sie mittelfristig die Grundlagen für unser Leben. Mit sich ausweitenden Kriegen gibt es weder Sicherheit noch Frieden. Wir haben unseren Brief auch an Bundeskanzler Friedrich Merz, CDU, und Finanzminister Lars Klingbeil, SPD, geschickt. Sie müssen ihre Politik ändern.
Sie kritisieren, dass die Bundesregierung »für das Welternährungsprogramm finanzielle Mittel im Wert eines einzigen ›Leopard‹-Panzers aufwendet«; zugleich aber plant, 1.000 Stück davon zu beschaffen.
Das ist skandalös. Auf internationaler Ebene wird bei der UNO fatal gekürzt, die weltweit Sozialpolitik im Sinn von »Frieden schaffen« ausübt. Auf nationaler Ebene nimmt auch unsere Regierung soziale Kürzungen vor, bereitet Krieg vor, statt Frieden. Die Bundesregierung will Führung in der EU übernehmen. Dann soll sie es tun: indem sie den politischen Willen entwickelt, die Perspektive auf Friedenspolitik zu eröffnen! Sie muss einen Paradigmenwechsel einleiten. Wir als IPPNW mahnen Rüstungskontrolle und Atomwaffenabrüstung an.
Angelika Claußen ist Kovorsitzende der Deutschen Sektion und der Europäischen Sektionen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW)
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