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Aus: Ausgabe vom 23.07.2025, Seite 8 / Inland
Regressive Asylpolitik

»Notwendig wäre, die Kommunen zu stärken«

Mehrere EU-Innenminister bekräftigen vehemente Abschiebepolitik. Hilfswerk widerspricht. Ein Gespräch mit Andreas Grünewald
Interview: Gitta Düperthal
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Sollen abschrecken: Bundespolizisten an einem deutsch-polnischen Grenzübergang (Frankfurt/Oder, 3.6.2025)

Innenminister Alexander Dobrindt, CSU, seine Amtskollegen aus Österreich, Dänemark, Frankreich, Polen und der Tschechischen Republik sowie der EU-Kommissar für Migration haben sich am Freitag auf der Zugspitze verständigt, »illegale Migration« reduzieren zu wollen. Sie kritisieren, das Treffen lasse politischen Weitblick vermissen. Warum?

Das Gipfeltreffen auf der Zugspitze war vor allem Symbolpolitik. Auch die damalige AfD-Chefin Frauke Petry und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hatten diesen Ort gewählt, um ihre politische Zusammenarbeit zu bekräftigen. Das aktuelle Gipfeltreffen passt zu Dobrindts Mantra, Migration wäre das größte Problem, das Deutschland zu bewältigen hat. Deswegen hatte er schon am ersten Tag seiner Amtszeit Grenzkontrollen an den Außengrenzen der BRD eingeführt, was Gerichte wenig später für nicht rechtens befanden.

»Erheblichen Druck auf unsere nationalen Asyl-, Aufnahme- und Integrationssysteme« konstatierten die Minister. Aus Ihrer Sicht ist das unzutreffend?

Dem empirischen Befund hält die Aussage nicht stand: Die Zahl der Asylsuchenden sank 2024 um ein Drittel, ist also nicht so groß, wie suggeriert wird. Die ganze Welt steht vor Herausforderungen. Vergegenwärtigt man sich die globale Lage mit 123 Millionen Menschen auf der Flucht: Die wenigsten kommen nach Europa! Mehr als 14 Millionen Menschen fliehen zum Beispiel vor dem Bürgerkrieg im Sudan innerhalb des Landes und in Nachbarstaaten. Deutschland sollte sich seiner Schutzverantwortung nicht entziehen.

Die Minister forderten einen Rechtsrahmen der EU, um »konsequenter« abschieben zu können – auch nach Afghanistan und Syrien. Außerdem geht es um neue Rückübernahmeabkommen.

Verhandelt man – wenn auch nur indirekt – über Rücknahme von geflüchteten Menschen mit den Taliban, legitimiert man deren Regime. Das ist außenpolitisch ein katastrophales Signal. Es widerspricht grundlegenden Menschenrechten, in Herkunftsländer mit autoritären Regimen abzuschieben. Oft ist von Hunderttausenden »ausreisepflichtigen Asylbewerbern« die Rede. Tatsächlich waren es laut dem Mediendienst Integration im April nur 42.000 Menschen. Alle anderen Betroffenen haben eine Duldung. Wir sehen auch sehr kritisch, wenn Staaten mit dem Entzug von Entwicklungsgeldern oder Handelserleichterungen gedroht wird, falls sie bei Rückführungen nicht kooperieren.

Wie werten Sie die Aussage in der Erklärung, Migration sei von organisierten kriminellen Schleusernetzwerken angetrieben?

Politische Entscheidungen, sämtliche legale Fluchtwege zu kappen, schaffen erst die Geschäftsgrundlage für kriminelle Schleuser. Tatsächlich ist es aber noch schlimmer: Die EU kriminalisiert Geflüchtete, die es nach Europa schaffen, sowie immer wieder auch deren Unterstützer, etwa die zivile Seenotrettung. Das ist eine Katastrophe.

Verurteilt wird die »Nutzung von Migranten als Waffe für politische Zwecke« – somit ist im Resümee des Zugspitzegipfels Russland adressiert. Wie denken Sie darüber?

Ebenso wie die EU ihre Entwicklungs- und Handelspolitik instrumentalisiert, um Länder zur Kooperation in Migrationsfragen zu zwingen, instrumentalisieren andere Staaten Schutzsuchende für eigene Zwecke. Beides ist abzulehnen. Den Geflüchteten darf aber nicht gewaltsam der Zutritt nach Europa verwehrt werden, wenn ein Verdacht auf Instrumentalisierung vorliegt.

Als Ziele postulieren die Minister unter anderem: »Belastungen reduzieren, unsere Gesellschaften schützen«. Was spricht dagegen?

Wenn man ständig verbreitet, die Migration sei angeblich eine so große Belastung, kreiert man eine Stimmung in der Bevölkerung, die man im Anschluss wiederum glaubt, mit Radikalmaßnahmen bekämpfen zu müssen. Notwendig wäre hingegen, die Kommunen mit Ressourcen zu stärken und zu erklären, dass Deutschland seiner Verantwortung für Schutzbedürftige gut nachkommen kann. Es gilt, die Bevölkerung und die Aufgenommenen gleichermaßen zu unterstützen, damit alle ein gutes Leben haben.

Andreas Grünewald ist Referent für Migration bei »Brot für die Welt«

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