Gegründet 1947 Mittwoch, 23. Juli 2025, Nr. 168
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 23.07.2025, Seite 2 / Inland
Stahlkrise in NRW

»Der letzte Ausweg war der Sanierungsvertrag«

Thyssen-Krupp Steel Europe schließt in Bochum zwei Werke. IG Metall hofft auf Verständnis für Verhandlungsergebnis. Ein Gespräch mit Engin Karakurt
Interview: David Bieber
imago480224679.jpg
Mehrere tausend IG-Metall-Mitglieder und Thyssen-Krupp-Beschäftigte protestieren vor der Konzernzentrale in Essen gegen den Teilverkauf der Stahlsparte (23.5.2024)

Eins von zwei Werken des schwankenden Stahlriesen Thyssen-Krupp Steel Europe, TKSE, wird in Bochum geschlossen. Waren die Beschäftigten darauf schon eingestellt?

Das bekannte Werk für nichtkornorientierte Elektrobleche wird zum 30. September 2028 komplett geschlossen. Die Kolleginnen und Kollegen haben schon damit gerechnet, dennoch bestand Hoffnung, dass der Betrieb wenigstens noch bis September 2030 weiterläuft. Nach Jahren der Ungewissheit wissen die Kolleginnen und Kollegen jetzt, wie ihre Zukunft aussieht. Selbstverständlich schwingt Unmut mit, aber auch Erleichterung darüber, dass die Produktion noch drei Jahre weiterläuft.

Wie geht es jetzt mit den Beschäftigten, die von der Schließung des Werks betroffen sind, weiter? Betriebsbedingte Kündigungen sind ja vom Tisch.

Die Kolleginnen und Kollegen, die bleiben, sind hoch angespannt. Wer verzichtet schon gerne auf Lohn? Vorrangig werden sie auf neue Arbeitsplätze verteilt. Die, die über die Altersregelungen ausscheiden können, sind insgesamt sogar froh.

Ist der aktuelle Sanierungstarifvertrag, den TKSE mit der IG Metall aushandelte, der aber auch von der angeschlagenen Stahlbranche und Gewerkschaftsbasis befürwortet wird, nicht ein zu großes Zugeständnis an die Kapitalseite?

Nun, der angesprochene und sicher nicht optimale Sanierungsvertrag war wahrscheinlich der letzte Ausweg vor der drohenden Insolvenz. Diesbezüglich hoffe ich auf Verständnis der Kolleginnen und Kollegen, denn alles andere kann für uns nicht gut sein. Betriebsbedingte Kündigung und die Schließung des gesamten Standorts wären die brutalen Alternativen gewesen. Und: Ursprünglich wollte der Arbeitgeber bei den Kolleginnen und Kollegen 200 Millionen Euro einsparen. Wir als IG Metall haben mit dem Management aber rund 80 Millionen Euro weniger ausgehandelt. Wir haben erreicht, dass die Kolleginnen und Kollegen weiterhin ihre Jahressonderzahlungen bekommen.

Was sieht der Plan konkret vor?

Bei uns in Bochum am Standort Essener Straße werden drei Anlagen bis spätestens Anfang 2027 zugemacht. Das Warmbandwerk 3 in Bochum soll Anfang 2026 geschlossen werden, betroffen sind bis zu 520 Mitarbeitende. Die Anlage Beize 2, wo Materialien durch Säure gereinigt werden, wird zum 1. Januar 2027 dichtgemacht. Genauso wie die Tandemstraße, wo der Stahl dünngewalzt wird. Beide Anlage zählen 120 Mitarbeitende. Betroffene Kolleginnen und Kollegen sollen in andere Standorte versetzt werden bzw. in Ruhestand gehen.

In Bochum werden wir aber durch die neue Anlage für Elektromobilität für die Zukunft eher sicher sein. Schließlich sind in die rund 250 Millionen Euro investiert worden. Was die anderen Standorte anbelangt: In Duisburg soll der Hochofen 9 sogar Ende des Geschäftsjahres, also Ende September, geschlossen werden. Im Siegerland wird der Standort Kreuztal-Eichen, wo auch in diesem und im vergangenen Jahr erbittert gestreikt wurde, bis 2028 auf Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Dann entscheidet die Konzernführung, ob es weitergeht. Insgesamt sollen bis zu 4.000 Mitarbeiter an allen sieben Standorten ausgelagert werden. Für mich ist klar, dass somit alle Stahlkocher von dem Sanierungsplan betroffen sind.

Viele Beschäftigte beklagen, Verhandlungsführer Knut Giesler von der IG Metall akzeptiere in weiten Teilen den Vorstandsplan zur Sanierung. Sie sind enttäuscht darüber, dass ihre Streikbereitschaft vom Betriebsrat und von der IG-Metall-Führung nicht aufgegriffen wird. Teilen Sie das?

Nein. Man muss wissen: Wir haben mehr als ein Jahr mit dem Vorstand wegen dreier roter Linien nicht verhandelt: keine betriebsbedingten Kündigungen, keine Standortschließungen und eine ausreichende Mitgift für die Verselbständigung der Stahlsparte. Nachdem die ersten beiden Punkte rund waren und auch für die Sicherung der Sanierung und Verselbständigung Mittel zugesagt worden waren, haben wir als IG Metall erstmals konkret mit dem Arbeitgeber verhandelt! Wir haben viel herausgeholt.

Engin Karakurt ist Gewerkschafter bei IG Metall und Betriebsrat von Thyssen-Krupp Steel Europe in Bochum

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Geht die Werksdemontage der Bosse weiter, braucht bald auch kein...
    14.07.2025

    Sozialfall Thyssen-Krupp

    Acht Prozent weniger Lohn für Belegschaft: IG Metall und Stahlbosse einigen sich auf »Eckpunkte« eines Sanierungstarifvertrags

Regio:

                                                                             Beilage »Unser Amerika«