»Von solchen kollektiven Orten braucht es mehr«
Interview: Gitta Düperthal
Seit einer Woche halten Sie das bis dahin leerstehende Haus in der Lahnstraße 1 im Frankfurter Arbeiterviertel Gallus besetzt. Dort haben Sie ein »Internationalistisches Zentrum« eröffnet. Wie lief das ab?
Alles ging schnell: Einige Leute waren drin, öffneten die Türen. Unser Musikprogramm begann mit einer Trommlergruppe und den kurdischen Rappern Erzin und Dahabflex. Zu den Nachbarn hatten wir guten Kontakt. Niemand rief die Polizei; bis sie anrückte, dauerte es.
Wem gehört der mehrstöckige Bau?
Das Haus ist im Eigentum der Stadt. Wir nahmen deshalb Kontakt zur Bildungs- und Baudezernentin Sylvia Weber auf, die keine Strafanzeige stellte, sondern noch am Sonnabend eine Duldung aussprach. Mitarbeitende von der kommunalen Konversions-Grundstücksentwicklungsgesellschaft, die sich auch mit der Umnutzung von Objekten für soziale und kulturelle Zwecke beschäftigt, waren ebenso da wie Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Wohnungs- und Immobilienverbände in Hessen. Wegen Brandschutz oder Sicherheit gab es keine Bedenken. Unser Bildungsprogramm lief auch nach dem Wochenende weiter: Wieland Hoban, Vorsitzender des Vereins »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost«, referierte zur deutschen Rolle beim Genozid in Palästina.
Ist der Zeitpunkt für Sie günstig, da die politische Sommerpause beginnt und Debatten nicht sofort losgetreten werden?
Darauf hatten wir es nicht angelegt. In Frankfurt hatten wir es immer schwer, Räume für linke internationale Solidarität gegen den Genozid in Gaza oder gegen Unterdrückung und Krieg in Kurdistan zu organisieren. Hier wollen wir langfristig bleiben.
Wie setzt sich Ihre Gruppe zusammen?
Wir sind Studierende und Berufstätige, auch Elektriker und Maurerinnen: ein Zusammenschluss aus meist jungen migrantischen, antiimperialistischen, antirassistischen Gruppen und Einzelpersonen. Viele haben Erfahrungen mit antideutschen (die proisraelische Staatsideologie der BRD mittragenden, jW) Linken und mussten Anfeindungen erleben. Jetzt ist diese Bewegung geschrumpft und eher im akademischen Milieu unterwegs.
Ihr Projekt soll auch Stadtteilarbeit beinhalten. Was verstehen Sie darunter?
Wir kommen nicht mit fertigen Konzepten, wollen aber grundsätzlich das Zentrum mit der Nachbarschaft und anderen linken Gruppen gemeinsam gestalten. Jeder kann Ideen einbringen. Vorstellbar sind Hausaufgabenbetreuung, ein Nachbarschaftscafé, Beratungsangebote zu Asyl oder Bewerbungshilfe zur Jobsuche.
In einer Mitteilung heißt es, der deutsche Staat versuche immer brutaler, linke Bewegungen aus der Öffentlichkeit zu drängen. Woran denken Sie dabei?
Wir sehen die Unterdrückung der Palästina-Solidaritätsbewegung, ähnlich wie Repressionen gegen die kurdische Bewegung. Menschen, die sich gegen Krieg, Genozid und Rechtsextremismus engagieren, werden staatlich verfolgt – wie etwa die inhaftierte antifaschistische Person Maja T. ( in ungarischer Haft wegen mutmaßlicher Beteiligung an Angriffen auf Neonazis, jW).
Sind das »Symptome des kolonialen, kapitalistischen Systems«, wie es in der Mitteilung heißt?
Krieg in der Ukraine, im Sudan, in Palästina, in Kurdistan. Das weltweite Wirtschafts- und Finanzsystem wird volatiler. Wenn wir uns gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete oder Ausbeutung von Mensch und Natur organisieren, wird jeglicher Widerstand mit harter Repression beantwortet. Das erleben wir gerade.
Steigende Mieten, Gentrifizierung, Abriss ganzer Straßenzüge, Verdrängung aus dem Gallus: Wie kann das »Internationalistische Zentrum« dem entgegenwirken?
Unsere Besetzung ist ein Baustein. Wir nehmen dieses Haus aus der Kapitallogik. Hier können sich Menschen ohne Konsumzwang aufhalten und in der Stadtgesellschaft organisieren. Von solchen kollektiven Orten braucht es mehr, um der Vertreibungspolitik entgegenzuwirken.
Timon Boll (Name geändert) spricht für die Gruppe der Hausbesetzer, die im Frankfurter Arbeiterviertel Gallus ein »Internationalistisches Zentrum« eingerichtet haben
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