Recht im Unrecht
Von Niki Uhlmann
Der Fall entpuppt sich als kleines Lehrstück über das Handwerk journalistischer Kritik. Am Freitag wurde am Landgericht Berlin II die Anzeige der proisraelischen Aktivistin Karoline Preisler (FDP) gegen den jW-Autor Jakob Reimann verhandelt. Ihr Vorwurf: Reimann habe sie im September 2024 auf X falsch zitiert. Zugegen war sie nicht. Bislang deutet alles darauf hin, dass Reimann vor Gericht unterliegen wird. Die finale Entscheidung wird indes erst am Dienstag, dem 22. Juli, verkündet.
Richterin Kloska eröffnete die Verhandlung mit der Klarstellung, dass der politische Kontext für das Verfahren unerheblich sei. Klägerin und Angeklagter würden »mit Blick auf den Nahostkonflikt sehr konträre Positionen« vertreten, mit denen sie sich als Richterin aber nicht beschäftigen müsse oder dürfe. Das Gericht wäge ausschließlich die Rechtsgrundsätze Meinungsfreiheit und Schutz der persönlichen Ehre ab.
Fraglich war also nur, ob Preisler sich tatsächlich so geäußert hat, wie Reimann behauptet. Maßstab dafür sei, erklärte Kloska, ob einem »unbefangenen Leser« durch das strittige Zitat ein falscher Eindruck vermittelt würde. Und dies sei nach »vorläufiger Einschätzung« des Gerichts der Fall. Zwar decke sich der zitierte Satz (»selbst da ist Israel noch der menschlichere Akteur«) mit dem Videoausschnitt, den Reimann als Quelle angegeben hatte. Der Ausschnitt entstelle aber Preislers getätigte Aussage. So habe Preisler zuvor gelobt, »sexuelle Gewalt überall« zu ächten, ihr Urteil, Israel sei menschlicher, folglich auf dessen Umgang mit Vergewaltigungen und nicht die Vergewaltigungen selbst bezogen.
Diese Behauptung, dass Israel Vergewaltigungen tatsächlich rechtsstaatlich ahnde, entkräftete Reimann, der zuerst das Wort bekam. In einer Erklärung, die jW vorliegt, lieferte er dafür eine erdrückende Beweislast: Dass einer der mutmaßlichen Vergewaltiger »zum Nationalhelden« stilisiert worden sei, dass die Verfahren »mit Minimalstrafen« endeten und dass sich der israelische Staat »auf sämtlichen Ebenen, vom kleinen Soldaten bis zu Regierungsvertretern, schützend vor die Vergewaltiger stellt«, beweise genau wie all die Berichte Betroffener, dass von einem menschlichen Akteur keine Rede sein könne. All das müsste Preisler bekannt sein, lege mit Blick auf ihre öffentlichen Äußerungen nahe, dass sie »entweder keine Ahnung« habe oder bewusst manipuliere.
Obwohl Richterin Kloska bemerkte, dass das Gericht »keine Bühne für politische Auseinandersetzungen« und diese Ausführungen »rechtlich gesehen ohne Bedeutung« seien, hob auch Reimanns Anwalt Ahmed Abed darauf ab, dass Preisler als Juristin um die Völkerrechtsbrüche Israels wissen müsste. »Wir klären im Gerichtssaal nicht den Nahostkonflikt«, unterbrach Kloska ihn jedoch. Die Verteidigungsstrategie, die auf die Entkräftung von Preislers Prämissen abzielte, schien den Sachverhalt in den Augen des Gerichts zu verfehlen. Preislers Rechtsbeistand, die berüchtigte Kanzlei Höcker, beließ es schließlich bei der siegessicheren Aussage, dass er die Einschätzung des Gerichts in jeder Hinsicht teile.
Nach der Verhandlung teilten Reimann und Abed mit, dass sie das absehbare Urteil anfechten werden. Letzterer sprach von »Pressefeindlichkeit«, ersterer davon, dass der Kampf gegen Völkermord und Apartheid in der BRD zusehends »unter Beschuss« gerate.
Nun zur Lehre: Wer einen politischen Widersacher inhaltlich stellen möchte, tut dies bestenfalls nicht durch Überspitzungen oder möglicherweise strafbare Auslassungen, sondern mittels Entkräftung der vorgetragenen Argumente. Das hat Reimann vor dem Landgericht exemplarisch bewerkstelligt. Recht bekommen wird von dessen Richterin, die an den politischen Realitäten des Nahostkonflikts schlicht nicht interessiert ist, voraussichtlich aber Karoline Preisler. Diese plane bereits die nächsten Klagen gegen ihre Kritiker, wie ein Prozessbeobachter gegenüber jW schilderte. Dabei kann sie sich darauf verlassen, dass Recht und Gerechtigkeit in der BRD auseinanderklaffen wie Kapital und Arbeit.
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