Minister in Zugspitzenlaune
Von Marc Bebenroth
Die Bundesregierung darf sich ermahnt fühlen. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk hat am Freitag in Genf »einen sofortigen Stopp der Zwangsrückführung aller afghanischen Flüchtlinge und Asylsuchenden« gefordert, »insbesondere derjenigen, denen Verfolgung droht«. Der Appell erfolgte, nachdem wenige Stunden zuvor eine katarische Chartermaschine am Freitag morgen von Leipzig aus mit 81 afghanischen Staatsbürgern an Bord gestartet war. Sie landete am Nachmittag deutscher Zeit in Kabul. Es ist seit Ende 2024 der erste direkte Abschiebeflug von Deutschland nach Afghanistan.
Das Land befinde sich »in einer akuten humanitären« Krise, teilte Türk mit. Vorrangig müsse dort sichergestellt werden, dass die unmittelbaren materiellen Bedürfnisse befriedigt werden, »einschließlich der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser, Unterkünften und Zugang zur Gesundheitsversorgung«. 70 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, erklärte Türks Sprecherin, Ravina Shamdasani, gegenüber Journalisten.
»Die Gespräche werden fortgesetzt, um transparente und standardisierte konsularische Dienstleistungen für alle in Deutschland lebenden Afghanen sicherzustellen«, teilte derweil ein Sprecher des von den islamistischen Taliban kontrollierten Außenministeriums am Freitag auf der Plattform X mit. »Eine diplomatische Anerkennung des Taliban-Regimes steht überhaupt nicht zur Entscheidung an«, erklärte dagegen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Freitag in Berlin. »So etwas kann es gar nicht geben.« Gegeben habe es statt dessen »technische« Kontakte unter Einbeziehung des Golfemirats Katar, um die Abschiebung vorzubereiten. Merz betonte, die BRD habe diplomatische Beziehungen zum Staat Afghanistan nie abgebrochen.
Bei den 81 Abgeschobenen, die in der Vergangenheit Asyl beantragt hatten, handele es sich um »schwere und schwerste Straftäter«, sagte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Freitag vor Beginn eines Treffens mit seinen Amtskollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Dänemark und Tschechien sowie dem EU-Innenkommissar Magnus Brunner auf der Zugspitze. Laut Shamdasani spielt die Straffälligkeit allerdings keine Rolle. Auch Straftäter zwangsweise nach Afghanistan zu verbringen, verletze den völkerrechtlichen Grundsatz der Nichtzurückweisung.
Vorab hatte der CSU-Politiker gegenüber der Augsburger Allgemeinen vom Freitag angeregt, bei Weigerung der Herkunftsstaaten Menschen einfach in Nachbarregionen abzuschieben. In Frage kämen dafür Staaten, »die als Transitländer etabliert oder als fluchtnahe Staaten erkennbar sind«, sagte er Focus. Daran werde auf EU-Ebene bereits gearbeitet. Gegen diese Politik haben am Freitag auf dem Berg rund ein Dutzend Aktivisten protestiert (Foto).
Neben Afghanistan haben die Minister auch das mittlerweile de facto von einem früheren islamistischen Warlord regierte Syrien im Blick. In beide Länder abgelehnte Asylsuchende künftig leichter abzuschieben, müsse »möglich sein«, halten die Minister in einer auf der Zugspitze beschlossenen Erklärung fest.
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