»Wir arbeiten alle am Limit, haben bereits Personalnot«
Interview: Gitta Düperthal
Rund 3.500 Menschen haben gegen die geplanten Kürzungen an hessischen Hochschulen demonstriert. Wie kam es, dass sich so viele Studenten und Gewerkschafter an den Protesten beteiligt haben?
Um die Debatte zu den Kürzungsplänen am Köcheln zu halten, hatten wir zuvor mit Foto- oder Postkartenaktionen aufmerksam gemacht. Unser Aktionstag war mit den betroffenen Hochschulen koordiniert, um so die Proteste von Beschäftigten, Studierenden und gewerkschaftlichen Aktiven zu bündeln. In Marburg diskutierten wir in einer Vollversammlung über die Kürzungspläne und demonstrierten dagegen.
Worüber empören sich die Studierenden und Beschäftigten?
Es ist ja nicht so, dass hessische Hochschulen etwa seit Jahren aus dem Vollen hätten schöpfen können und jetzt ein wenig sparen müssten. Sie sind seit Jahren unterfinanziert, wir bräuchten mehr Geld. Beschäftigte in Lehre und Forschung mit befristeten Verträgen könnten plötzlich gekündigt werden. Damit ist ihre Berufs- und Karriereplanung oft hinfällig. Für Studierende bedeutet das: Sie werden schlechter betreut, es wird weniger Seminare und Veranstaltungen geben, die zudem teilweise überfüllt sind. Im administrativen Bereich gibt es ebenso Probleme. Um bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen zu erhalten, werden Beschäftigte möglicherweise woanders hingehen. Dabei arbeiten jetzt schon alle am Limit. Wir haben bereits Personalnot.
Ende Mai protestierten studentische Hilfskräfte in Frankfurt am Main gegen Ausbeutung.
Diese Hilfskräfte werden aus dem Sachmittelbudget bezahlt. Sie kämpfen schon lange für einen Tarifvertrag, anders als in Berlin gibt es an hessischen Hochschulen noch keinen. Meist sind sie angewiesen auf die Hilfstätigkeit, um ihren Lebensunterhalt und ihr Studium zu finanzieren. Jetzt müssen sie Kürzungen befürchten.
Das Wissenschaftsministerium in Wiesbaden erklärte jüngst, man sei zuversichtlich, bis Mitte Juli den neuen Hochschulpakt für die Jahre 2026 bis 2031 mit den 14 staatlichen Hochschulen in Hessen unterzeichnen zu können. Teilen Sie die Zuversicht?
Wieso sollten wir zuversichtlich sein? Die Universitäten warnen vor dauerhaftem Abbau von zehn Prozent des Personals. Jede zehnte Stelle wird wegfallen. Ich habe noch nicht gehört, dass Hochschulleitungen sich geweigert hätten, zu unterzeichnen. Gibt es öffentlichen Druck durch unsere Proteste, kann es sein, dass geplante Kürzungen zurückgenommen werden. So hatten wir 2024 bei Kürzungen des laufenden Haushalts die schlimmsten Folgen noch abwenden können.
Wissenschaftsminister Timon Gremmels, SPD, teilte der Presseagentur dpa mit: »Wir sehen Studierende und Beschäftigte nicht als Gegner«. Sein Ministerium versuche, das Beste für sie herauszuholen.
Interessant, dass er das sagt: Denn Hessens Finanzminister Ralph Alexander Lorz, CDU, hat einen Konsolidierungskurs angekündigt, der für die Hochschulen zum Defizit von rund einer Milliarde Euro in den nächsten sechs Jahren führen könnte.
Die vor etwa einem Jahr begonnenen Verhandlungen seien »fair und verständnisvoll hinter verschlossenen Türen« verlaufen, behauptete die Landesregierung gegenüber dpa. Sie erfreut das weniger?
Es ist ein fatales Signal, dass die Gewerkschaften und Beschäftigtenvertreter nicht beteiligt werden! Man befürchtet offenbar, dass mit öffentlichen Verhandlungen die Proteste noch zunehmen könnten. Unsere Antwort auf die Geheimverhandlungen ist, dass wir die Beschäftigten und Studierenden zum Protestieren auf der Straße mobilisieren.
Sind die Proteste als Gegenwind für die reaktionäre Politik der Landesregierung unter Ministerpräsident Boris Rhein von der CDU zu verstehen?
Dass man ausgerechnet im hochindustrialisierten Bundesland Hessen akademisches Personal einsparen will, könnte dem Land in Zukunft schaden. Insgesamt plant die Landesregierung, den öffentlichen Dienst um 30 Prozent zu schrumpfen. Jede dritte Stelle soll nicht mehr nachbesetzt werden, wenn jemand in den Ruhestand geht.
Johannes Scholten ist freigestellter Personalrat an der Uni Marburg und aktiv bei Verdi
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