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Aus: Ausgabe vom 19.07.2025, Seite 5 / Inland
Unionbusting

Lieferando setzt auf prekär

Lieferdienst will 2.000 Fahrer rauswerfen und Fremdfirmen beauftragen. Standorte mit Betriebsräten besonders betroffen
Von Gudrun Giese
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Bald ausgelagert? Ein Lieferando-Rider in Düsseldorf (24.1.2025)

Aufmüpfige Beschäftigte sind in Chefetagen immer unbeliebt, besonders in denen der sogenannten New Economy. So will Lieferando bis zu 2.000 Essensausfahrer rauswerfen, vor allem in Städten, wo es in den Niederlassungen des Lieferdienstes Betriebsräte gibt.

Vordergründig argumentiert Lieferando mit einer anstehenden Umstrukturierung, bei der Lieferfahrten an Drittfirmen ausgelagert werden sollen. Die eigene Flotte, die vor allem aus E-Bikes besteht, solle um rund zwanzig Prozent reduziert werden, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit. Die Entlassenen würden »mit einem Sozialplan unterstützt«, hieß es. In »besonders nachfrageintensiven Gebieten« wolle Lieferando selbst ausliefern. Dort, wo es nötig sei, sollen Aufträge an »lokal agilere Lieferunternehmen« weitergegeben werden. Kunden erwarteten zuverlässigen Service und kurze Bestellzeiten, sagte Lennard Neubauer, Lieferando-Deutschlandchef, gegenüber dpa. Mit den derzeitigen Strukturen könne das nicht ausreichend sichergestellt werden. Spezialisierte Logistikunternehmen sollen vor allem in kleineren Märkten wie Lübeck oder Bochum, aber auch an einem großen Standort wie Hamburg, die Auslieferung mit eigenen Fahrern übernehmen. Ob »agiler« in erster Linie billiger bedeutet, führte das im Jahr 2000 in den Niederlanden als »Just Eat Takeaway« gegründete Unternehmen nicht aus. Mittlerweile in verschiedenen Ländern unter unterschiedlichen Namen präsent, wies die Firma 2023 einen Umsatz von über fünf Milliarden Euro aus.

Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) kritisierte die angekündigten Entlassungen. »Das sind schlimme Entwicklungen. Diese Aktion ist von langer Hand geplant. So etwas wird nicht von heute auf morgen entschieden«, sagte Mark Baumeister, Referatsleiter NGG Gastgewerbe. Inzwischen seien bereits die ersten Ankündigungsmails an Betroffene geschickt worden. Es sei auffällig, so Baumeister, dass Lieferando ausgerechnet in den Städten Leute entlasse, wo es im Unternehmen Betriebsräte gebe. Diese Gremien seien vorab nicht über den geplanten Beschäftigtenabbau informiert worden, wie es üblich sei, kritisierte die NGG weiter. Erst am Donnerstag nachmittag war der Gesamtbetriebsrat von Lieferando über die geplanten Personalkürzungen und die Sozialplanverhandlungen informiert worden. Das Gremium äußerte sich enttäuscht über die späte Information.

Da sich das Unternehmen über die betriebliche Mitbestimmung hinwegsetze, müsse die Politik intervenieren, sagte Baumeister. Sie sei aufgefordert, »das Festanstellungsgebot analog der Fleischindustrie für die Lieferdienste durchzusetzen«, denn mit der Methode, einen Teil der Essenslieferfahrten an billige Drittanbieter auszulagern, würden die Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten weiter verschlechtert, und das »ausgerechnet beim Marktführer«, so der NGG-Vertreter. Mit der Auslagerung gebe Lieferando auch die Verantwortung für die Arbeitssicherheit der Fahrer ab. Dem solle die Politik nicht tatenlos zusehen. Die Gewerkschaft forderte das Unternehmen zur Rücknahme der Entlassungen auf. Gerade erst hatten Lieferando-Beschäftigte für bessere Bezahlung und gegen weitere Auslagerungen gestreikt: In Hamburg hatte die NGG in der vergangenen Woche zu einem 36stündigen Ausstand aufgerufen. Am Donnerstag begann ein Warnstreik in der Rhein-Main-Region. Die Gewerkschaft fordert einen Tarifvertrag mit einem Grundlohn von mindestens 15 Euro und tariflichen Zuschlägen, um den wegfallenden Order-Bonus zu kompensieren.

Unterdessen hat der Kovorsitzende der Partei Die Linke, Jan van Aken, Lieferando für den bevorstehenden Stellenabbau scharf kritisiert und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) zum Einschreiten aufgefordert. »Die Beschäftigten sollen rausfliegen, damit Subunternehmen mit schlechteren Löhnen übernehmen können.« Das sei ein Angriff auf sichere Jobs und auf die betriebliche Mitbestimmung. Bei einem Großunternehmen, das bundesweit agiere, müsse sich die Ministerin einschalten und »den Ausbau einer Schattenflotte ohne Arbeitnehmerrechte verhindern«, sagte van Aken dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

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