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Aus: Ausgabe vom 16.07.2025, Seite 8 / Inland
Fußmarsch zum Außenministerium

»Hier besteht eine moralische Verpflichtung«

Vater von in Budapest inhaftierter Maja T. ging aus Protest zu Fuß von Jena nach Berlin. Ein Gespräch mit Wolfram Jarosch
Interview: Hendrik Pachinger
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Maja T.s Vater und zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer fordern in Berlin die Freilassung von T. aus ungarischer Haft (7.7.2025)

Sie haben innerhalb von neun Tagen 300 Kilometer zu Fuß von Jena nach Berlin zurückgelegt. Was hat Sie zu dieser Protestform bewegt?

Mein Kind Maja wurde vor gut einem Jahr nach Ungarn ausgeliefert. Diese Auslieferung war bereits zwei Wochen vorher von vielen Behörden geplant worden. Nur die Anwälte wurden nicht informiert, erfuhren lediglich auf Umwegen davon und hatten dadurch keine Möglichkeit, rechtzeitig beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde einzureichen. Das Gericht bezeichnete die Auslieferung als rechtswidrig, weil Majas Rechte nach Artikel 4 (Antifolterparagraph, jW) der Grundrechtecharta der Europäischen Union verletzt wurden. Die Entscheidung kam aber 50 Minuten zu spät. Zu diesem Zeitpunkt war Maja schon in Ungarn.

Vermuten Sie demnach Kalkül hinter der damaligen Überstellung aus einer Dresdner Gefängniszelle in den frühen Morgenstunden des 28. Juni 2024?

Diese Vorgehensweise wirkt wie eine staatlich organisierte Entführung, um bewusst die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichtes zu umgehen. Seit über einem Jahr ist Maja nun in Ungarn in Isolationshaft, die nach den Nelson-Mandela-Rules der Vereinten Nationen verboten ist und als psychische Folter bezeichnet werden kann. Gleichzeitig sieht sich Maja offensichtlich einer Art politischem Schauprozess ausgesetzt, bei dem die Unschuldsvermutung offensichtlich keine Rolle spielt, sondern von vornherein eine völlig unverhältnismäßige Verurteilung von bis zu 24 Jahren Haft angestrebt wird. Seit dem 5. Juni ist Maja deshalb in den Hungerstreik getreten. All das war für mich so unerträglich, dass ich aufgebrochen bin, um persönlich zu Herrn Außenminister Wadephul zu laufen und ihn aufzufordern, mein Kind zurückzuholen.

Was haben Sie unterwegs erleben können?

Ich bin meist über 40 Kilometer am Tag gelaufen. Eine sehr lange und anstrengende Strecke. Zumal es sehr heiß war, wir hatten Temperaturen bis zu 38 Grad. Sehr froh waren wir über viele Unterstützer, die teilweise Strecken mitgelaufen sind oder zu spontanen Kundgebungen in Weißenfels, Naumburg, Leipzig, Bitterfeld, Wittenberg, Potsdam und Berlin gekommen sind. Viele Gespräche mit Menschen unterwegs haben Kraft gegeben in dieser schwierigen Situation. Es gab zwar auch einzelne negative Kommentare. Insgesamt waren die Resonanz, das Verständnis und die Unterstützung jedoch sehr gut.

Maja T. hat nach 40 Tagen den Hungerstreik am Montag beendet. Wie geht es Ihrem Kind aktuell?

Maja ist wegen des schlechten Gesundheitszustandes schon seit eineinhalb Wochen im Krankenhaus. Es drohen Organschäden. Die Implantation eines Herzschrittmachers steht im Raum. Dies ist von Maja abgelehnt worden, was hoffentlich akzeptiert wird. Ich mache mir sehr große Sorgen. Maja muss vorsichtig anfangen, Nahrung zu sich zu nehmen, um potentiell lebensbedrohliche Symptome zu vermeiden.

Weshalb haben Sie nach Abschluss Ihres Marsches weitere Stopps in Berlin eingelegt?

Die Zuständigkeit liegt beim Außenministerium. Hier besteht eine moralische Verpflichtung, dem durch den deutschen Staat verursachten und seit über einem Jahr andauernden Grundrechtsverstoß ein Ende zu bereiten und Maja endlich zurückzuholen. Letztlich zielen alle meine Gespräche darauf hin, dies zu erreichen. Herr Wadephul hat jetzt gegenüber der Presse verkündet, dass das Außenministerium sich für eine Verbesserung der Haftbedingungen einsetzen will.

Maja T. ist seit über einem Jahr in Ungarn inhaftiert, der Prozess gegen sie hat bereits begonnen. Wie geht es jetzt weiter?

Im September und Oktober sind weitere Prozesstermine angesetzt. Wir hoffen aber, dass es vorher eine Lösung gibt, die der Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde gerecht wird. Es wird aber auch weitere Aktionen für Maja geben. Wir werden nicht ruhen, bis Maja wieder in Deutschland ist und ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet ist.

Wolfram Jarosch ist Vater der wegen mutmaßlicher Beteiligung an Angriffen auf Faschisten in Budapest 2023 in Ungarn inhaftierten Maja T.

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