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Aus: Ausgabe vom 25.06.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Angriffskrieg

Von Jörg Kronauer
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Das militärisch durchgesetzte Recht des Stärkeren wird rhetorisch oft bemäntelt, wie 1999 von Joseph Fischer

Angriffskriege sind verboten: Diese Auffassung hat sich im internationalen Recht seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Prozess der Briand-Kellogg-Pakt, benannt nach den damaligen Außenministern Frankreichs, Aristide Briand, sowie der Vereinigten Staaten, Frank B. Kellogg. Der Pakt wurde am 27. August 1928 in Paris von elf Nationen unterzeichnet, unter anderem vom Deutschen Reich; er erklärte zum ersten Mal verbindlich, es sei nicht gestattet, andere Staaten zu überfallen. Ihm schlossen sich rasch weitere Staaten an – bis 1939 so gut wie alle Mitglieder des Völkerbunds. Der Briand-Kellogg-Pakt bildete die Grundlage dafür, dass die Weltkriegsalliierten im Jahr 1946 im Statut des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg das »Planen, Vorbereiten, Einleiten oder Durchführen eines Angriffskrieges« als »Verbrechen gegen den Frieden« einstufen und entsprechend bestrafen konnten.

Heute relevant ist auf globaler Ebene vor allem die Charta der Vereinten Nationen. Sie nennt gleich in Artikel 1 das zentrale Ziel, »den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren«. Alle UN-Mitglieder verpflichten sich daher in Artikel 2, »ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel« beizulegen sowie »jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete (…) Androhung oder Anwendung von Gewalt« zu unterlassen. Der Einsatz kriegerischer Gewalt ist demnach bloß auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats oder aber zur eigenen Verteidigung gegen fremde – völkerrechtswidrige – Angriffe zulässig. Ab wann man sich präventiv verteidigen darf, wenn man einen solchen Angriff auf sich zurollen sieht, wird heftig debattiert. Klar ist allerdings, dass es sich um einen unmittelbar bevorstehenden, politisch-diplomatisch nicht mehr abzuwendenden Angriff handeln muss.

Soweit die Theorie. In der Praxis der globalen Staatenwelt gilt freilich, wenn es ernst wird, das Recht vor allem in Form des Rechts des Stärkeren. Man kann beobachten, dass Politiker, die Angriffskriege beschließen, sich genötigt fühlen, dies irgendwie zu rechtfertigen – etwa mit Massenverbrechen der eigenen Vorfahren, wie der damalige Außenminister Joseph Fischer im Jahr 1999, der den Überfall auf Jugoslawien mit Auschwitz begründete. Oder mit der frei erlogenen Behauptung, man müsse einem anderen Staat dringend Chemiewaffen abnehmen, so die US-Regierung im Jahr 2003 zur Legitimation des Irak-Kriegs. Dabei zeigt sich: Diejenigen, die Angriffskriege starten, sind zumeist – wenn auch nicht immer – imperialistische Staaten. Forderungen, endlich die UN-Charta zu beachten, kommen vor allem aus dem globalen Süden, insbesondere aus China. Diskutieren ließe sich, ob das tatsächlich an einem unbedingten Friedenswillen liegt oder nicht einfach daran, dass imperialistischen Staaten ein Mittel genommen werden soll, mit dem sie andere am Aufstieg hindern. Bereits letzteres wäre freilich ein sehr unterstützenswertes Motiv.

Was den Spezialfall Deutschland betrifft: Da gilt das Grundgesetz, das in Artikel 26 erklärt, »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskriegs vorzubereiten«, seien »verfassungswidrig« und »unter Strafe zu stellen«. Es gilt aber auch, dass man das nicht allzu ernst nehmen muss. Exbundeskanzler Gerhard Schröder hat 2014 öffentlich eingeräumt, seine Regierung habe 1999 ihren Überfall auf Jugoslawien völkerrechtswidrig beschlossen. Folgen hatte dies für ihn freilich nicht. Inzwischen ist die Bundesregierung ohnehin dabei, zur »Drecksarbeit«-Doktrin überzugehen: Wenn man findet, ein Angriffskrieg gehe in Ordnung, dann erklärt man ihn zu »Arbeit« und das Land sowie die Bevölkerung, die überfallen werden, zu »Dreck«. Lästige Einwände, die eventuell aus dem Völkerrecht kommen könnten, spielen dann keine Rolle mehr.

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