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Aus: Ausgabe vom 08.05.2025, Seite 8 / Ausland
Kolonialismus in der Westsahara

»Zusammenarbeit mit Marokko muss beendet werden«

Westsahara: Frente Polisario warnt vor Destabilisierung der Region und erwartet von EU Einhaltung des Völkerrechts. Ein Gespräch mit Sidi Omar
Interview: Ben Francke
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Sahrauische Frauen demonstrieren in der spanischen Hauptstadt gegen die Übertragung der Westsahara an Marokko durch die Regierung in Madrid im Jahr 1975 (16.11.2024)

Die US-Regierung hat ihre ersten 100 Tage im Amt hinter sich. Was bedeutet die zweite Amtszeit von Präsident Donald Trump für die Westsahara?

Donald Trump erkannte während seiner ersten Amtszeit die marokkanische Souveränität über die Westsahara an. Diese Entscheidung widersprach den Grundprinzipien des Völkerrechts, da die Westsahara nicht zu Marokko gehört und weiterhin als Dekolonisierungsfall auf der Agenda der UNO steht. Nach einem Treffen zwischen den Außenministern Marco Rubio und Nasser Bourita am 8. April in Washington wurde diese Haltung erneut bestätigt sowie eine entsprechende Erklärung veröffentlicht. Eine solche Position schwächt den UN-Friedensprozess und ermutigt Marokko, sein völkerrechtswidriges Vorgehen fortzusetzen. Das gefährdet die Stabilität der gesamten Region.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen des republikanischen Abgeordneten Joe Wilson, der eine Einstufung der Polisario als Terrororganisation prüfen lassen möchte?

Diese Anschuldigungen sind Teil einer gezielten Kampagne Marokkos, die mit Hilfe von Lobbyarbeit in den USA und anderen Ländern unseren Befreiungskampf delegitimieren soll. Nach einem Artikel in der Washington Post, der eine Beteiligung unserer Kämpfer in Syrien nahelegte, forderten die Demokratische Arabische Repu­blik Sahara, DARS, und die Frente Polisario bereits alle Beteiligten auf, stichhaltige Beweise vorzulegen. Bis heute wurde kein einziger Beleg erbracht. Unser Kampf folgt klaren Regeln und basiert auf dem Völkerrecht. Unsere Ideologie ist die nationale Befreiung und das Selbstbestimmungsrecht des saharauischen Volkes. Die Vorwürfe, eine internationale terroristische Organisation zu sein, sind haltlos.

Marokko behauptet, die Polisario werde von Russland und dem Iran unterstützt, um deren Einfluss in Afrika zu stärken. Stimmt das?

Die Frente Polisario pflegt diplomatische Beziehungen zu einer Vielzahl von Staaten. Die DARS ist souveränes Vollmitglied der Afrikanischen Union und unterhält Kontakte zu vielen Ländern, auch zu ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats wie den USA, Großbritannien, China und Russland. Die einzige Ausrichtung der Polisario ist das Völkerrecht und das Ziel, die Westsahara zu befreien. Die Behauptungen, die Polisario handle im Auftrag fremder Staaten, sind Teil der genannten Kampagne, um den Befreiungskampf des saharauischen Volkes zu delegitimieren.

Was erwarten Sie von der Europäischen Union und besonders von Deutschlands neuer Regierung?

Wir erwarten, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, die Prinzipien des Völkerrechts respektieren und die UN-Resolutionen zur Dekolonisierung der Westsahara umsetzen. Darüber hinaus müssen die Urteile des Europäischen Gerichtshofs vollständig beachtet werden. Diese stellen unmissverständlich klar, dass Marokko keine Souveränität über die Westsahara besitzt. Jede wirtschaftliche oder politische Zusammenarbeit mit Marokko, die das besetzte Gebiet betrifft, muss beendet werden.

In der Nähe der saharauischen Flüchtlingslager bei Tindouf entsteht eine neue Eisenbahnstrecke. Welche Auswirkungen haben infrastrukturelle Entwicklungen in Algerien auf die Situation in den Lagern?

Die Geflüchtetenlager befinden sich auf algerischem Staatsgebiet. Algerien investiert seit Jahrzehnten in dieser Region und kann dies selbstverständlich auch weiterhin tun. Diese Projekte stehen in keinem direkten Zusammenhang mit den Lagern. Algerien gewährt den saharauischen Geflüchteten seit fast 50 Jahren großzügigen Schutz und humanitäre Hilfe. Dennoch darf bei aller humanitärer Betrachtung der politische Kern des Problems nicht übersehen werden: Die einzige Lösung für die Geflüchtetensituation ist eine politische, die die Rückkehr des saharauischen Volkes in eine freie und souveräne Westsahara ermöglicht.

Sidi Omar ist der Vertreter der Partei Frente Polisario bei den Vereinten Nationen und offizieller Koordinator gegenüber der UN-Mission für das Referendum in der Westsahara (MINURSO)

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