Saint-Exupéry, Marchwitza, Kramer
Von Jegor Jublimov
Ich will gern ein Wanderer sein, aber ich will kein Emigrant sein. Ich habe zu Haus so viele Dinge gelernt, die anderswo unnütz wären«, schrieb Antoine de Saint-Exupéry in einem seiner Briefe. In seinen letzten zwölf Lebensjahren produzierte die Welt um ihn herum zahllose Emigranten. Der leidenschaftliche Pilot und Schriftsteller kam am 29. Juni vor 125 Jahren in Lyon zur Welt, und nachdem er mit zwölf Jahren erstmalig in einem Flugzeug mitfliegen durfte, war sein Berufsweg vorgezeichnet. In den 20er Jahren flog er Fracht- und Kuriermaschinen, r war Flugplatzchef in Marokko, Versuchspilot für Wasserflugzeuge und Rekordjäger. Daneben fand er ab 1928 auch Zeit, seine Erlebnisse und Gedanken in Büchern zu veröffentlichen. Das berühmteste wurde das moralische Märchen »Der kleine Prinz« (1943), das in Hunderte Sprachen und Dialekte übersetzt und mehrfach verfilmt werden sollte (u. a. 1966 von Konrad Wolf ). Den überragenden Erfolg des Buches erlebte der Autor nicht mehr. Saint-Ex, wie er genannt wurde, stürzte als Aufklärungsflieger der anglo-amerikanischen Truppen bei Marseille ins Meer und blieb verschollen. Dass er nicht nur Autor war, ruft der Ende Mai auch in Deutschland angelaufene Film »Saint-Ex« in Erinnerung, in dem der Pilot in Argentinien einen verschollenen Freund sucht.
Die Schriftsteller Saint-Exupéry und Hans Marchwitza sind sich vielleicht – ohne sich zu erkennen – 1937 im Spanienkrieg begegnet. Saint-Ex war als Berichterstatter für einen Monat im Land, während Marchwitza fast zwei Jahre als Offizier in den Internationalen Brigaden kämpfte. Er wurde verhaftet und interniert, als er 1938 nach Frankreich zurückkehrte. Erst 1941 gelang es ihm, in die USA zu fliehen.
Am 25. Juni vor 125 Jahren war Marchwitza als Sohn einer oberschlesischen Bergarbeiterfamilie geboren worden. Er ging mit 20 als Bergmann ins Ruhrgebiet, wo er nach dem Ersten Weltkrieg Zugführer der Roten Ruhrarmee wurde und 1920 in die KPD eintrat. Von Alexander Abusch gefördert, veröffentlichte der junge Autor seine ersten schriftstellerischen Versuch u. a. in den Zeitungen Rote Fahne, Rote Front und Die Linkskurve. Die Erlebnisse im Ruhrgebiet bildeten 1930 die Grundlage für sein erstes Buch »Sturm auf Essen«. Ab 1933 folgten die Emigrantenjahre, die ihn politisch und künstlerisch reifen ließen. Das Hauptwerk des 1965 in der DDR verstorbenen Autors wurde die aufschlussreiche Romantrilogie »Die Kumiaks« (1934–1959) über den Weg einer deutschen Arbeiterfamilie im 20. Jahrhundert. Doch welcher Verleger wagt sich heute daran?
Exupéry hat eine vielbeachtete Reportage über die Sowjetunion geschrieben, auch Marchwitza folgte 1929 einer Einladung ins »Heimatland der Werktätigen«, und Jurij Kramer wurde am 28. Juni 1940 dort geboren. Sein Vater Erwin Kramer (später Verkehrsminister der DDR) emigrierte schon 1932 nach Moskau, kämpfte in Spanien und kehrte über Frankreich nach Moskau zurück. Sohn Jurij wurde in der DDR Schauspieler und Regisseur beim DFF, arbeitete auch als Übersetzer und erlangte besonders mit Filmen nach Werken von Friedrich Wolf, Leonhard Frank und Lion Feuchtwanger hohes Ansehen. Nach der Krimiserie »Balko« mit Bruno Eyron nahm er vor 20 Jahren den Berufsabschied, aber sein Sohn Felix Kramer (»Warten auf’n Bus«) trägt die Tradition weiter.
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