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Aus: Ausgabe vom 17.06.2025, Seite 11 / Feuilleton
Folk

Für immer in Honig

Bob-Dylan-Freunde unter sich: Cat Power gastierte mit ihrer Version des Royal-Albert-Hall-Konzerts in Berlin
Von Matthias Reichelt
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Mit Holz geräucherte Stimme: Cat Power

In der Royal Albert Hall in London spielte Cat Power am 5. November 2022 alle Songs des berühmten englischen Konzerts von Dylan von 1966 in originaler Reihenfolge. Ein Jahr später wurde der Mitschnitt als Album veröffentlicht. Nun ist sie mit der Dylan-Hommage auf Tour und gastierte vergangenen Freitag im ausverkauften Berliner Admiralspalast. Im Vorprogramm trat die junge Österreicherin Edna Million mit elektrischer Gitarre auf und sang ihre englischsprachigen Texte von feinster Tristesse. Die atemberaubende Stimme, männlich-dunkel und mit einem enormen Timbre gesegnet, begeisterte das Publikum. Nach einer Pause betrat Chan Marshall alias Cat Power herself mit kurzen blonden Haaren und grünem Anzug die Bühne, begleitet von einem Gitarristen und einem Harmonikaspieler. Sie spielten sich historisch getreu durch den akustischen Teil von »She Belongs to Me« bis zu »Mr. Tambourine Man«. Letzteres widmete sie allen toten Kindern, die diesen Song nicht mehr hören können.

Dylan hatte 1966 bei der Tournee durch England mit den Hawks (später The Band) in Sheffield (16. Mai) und Manchester (17. Mai) sowie am 26. und 27. Mai in der Royal Albert Hall in London gastiert. Alle vier Konzerte bestanden jeweils aus zwei Teilen und wurden von seinem Label Columbia Records mitgeschnitten. Zuerst stand Dylan in gewohnter Manier alleine mit akustischer Gitarre und Mundharmonika auf der Bühne, im zweiten Teil dann mit der elektrischen und Band. Ein illegaler Mitschnitt aus der Free Trade Hall in Manchester, fälschlicherweise dem Konzert in der Royal Albert Hall zugeordnet, dokumentierte die Zäsur in Dylans Werk. Ein Meilenstein der Dylan-Rezeption. Der ließ das Royal-Albert-Hall-Konzert 1998 von Jeff Rosen ediert als »Bootleg Series Vol. 4« veröffentlichen, wofür aus Qualitätsgründen ebenfalls eine Aufzeichnung aus Manchester verwendet wurde.

Dylan pflegte schon seit »Another Side of Bob Dylan« (1964) mit surrealistischen, absurden und introspektiven Texten eine radikale Subjektivität, blieb aber musikalisch noch dem akustischen Folkblues verhaftet. Mit der Tournee 1965/66 löste er sich von dem Genre und seinem Milieu und begann, sich fortan immer neu zu erfinden. Damit verstörte Dylan viele alte Anhänger, die sich erbost von ihm abwandten. Irwin Silber, Herausgeber des Folkmagazins Sing Out!, warf ihm im November 1964 in einem offenen Brief »Innerlichkeit« vor, sein früher Ruhm sei ihm zu Kopf gestiegen. Auf dem offiziellen Bootleg ist aus dem Publikum der berühmte Ruf »Judas« zu hören, dann »I’m never listening to you again, ever!« Dylans antwortete trocken »You’re a liar« – und beendete das Konzert mit einem extralauten »Like a Rolling Stone«.

Cat Power intoniert und phrasiert die Songs ähnlich wie Dylan, haucht den Liedern aber ihre eigene Betonung ein. Sie scheint die Töne ganz tief unten in der Kehle zu formen, zieht manche Wörter in die Länge und nutzt die hohle Hand, um ihre Töne nochmals zu modulieren. Der Autor Hilton Als beschrieb ihre besondere Stimme einmal passend als »mit Holz geräuchert und mit Honig bestrichen«.

Die Bühne im Admiralspalast war in dunkelgelbliches Licht getaucht und wurde von sechs großen, zum Publikum gerichteten Scheinwerfern spärlich beleuchtet. Wie bei Dylan 1966 war das zweite Set elektrifiziert und rockig. Die getreue Wiederholung als Quasi-Reenactment erlaubt keinerlei Zugaben, etwa aus Cat Powers eigenem Repertoire. Mit dem 15. Stück »Like a Rolling Stone« war das Konzert zu Ende, und die grandiose Band um Chan Marshall wurde mit frenetischem Beifall belohnt. Zuvor hatte sie auch im Namen des Publikums erklärt: »We all love Bob Dylan.«

Tourtermine:

21.6., Kulturtheater, Düsseldorf; 24.6., Orpheum, Graz

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