Zeit des Umbruchs
Von Alexander Kasbohm
In der Veröffentlichungs- und Ankündigungsflaute zu Beginn des Jahres war die Single »Dast« von Madanii so ziemlich das einzige, was meine Aufmerksamkeit erregte. Das lag nicht allein an der relativen Schwäche der Konkurrenz, eher an den Eigentümlichkeiten von Madaniis Pop, der R & B und Trap und einiges mehr in angenehmer Selbstverständlichkeit mit traditionellen persischen Klängen fusioniert. Auf eine Weise also, die nichts mit »Ethnopop« oder ähnlichen Fehlleistungen zu tun hat, die Elemente, die nicht im weiteren Sinne westlich sind, exotisierend zur Schau stellen. Die Welten, wenn man so will, gehen hier widerspruchslos ineinander auf.
Die in Berlin lebende Künstlerin Madanii wuchs als Tochter iranischer Geflüchteter in Bayern auf. Geschichten von Gewalt, Verlust und Vertreibung waren normal. Ebenso die Verbundenheit zu der Kultur eines Landes, das es so nicht mehr gab: »Ich glaube, viele Kinder der Diaspora kennen diesen Zustand: Wir tragen eine Geschichte mit uns, die wir selbst nicht erlebt haben und die trotzdem alles prägt. Die Art, wie ich politische Entwicklungen sehe, wie ich über Freiheit, Sicherheit oder Zugehörigkeit nachdenke. All das ist auch dadurch mitgeformt.«
Die EP »BiiLINGUAL« ist auch ein Abbild des Prozesses, den Madanii in ihrem Leben durchlaufen hat. Von dem Gefühl, »anders« oder »falsch« zu sein, über das Annehmen der Andersartigkeit zu dem Selbstbewusstsein, das man auch aus Ablehnung gewinnt, wenn man dann anfängt, dieses »Selbst« zu behaupten. Wenn man merkt, dass das Problem nicht in einem selbst liegt, wenn man von anderen komisch behandelt wird.
Dass das integrierte Miteinander von Kulturen in der Gesellschaft noch lange nicht so gut funktioniert wie in Madaniis Musik, erlebt die Künstlerin täglich. Sei es an der Supermarktkasse oder auch in der relativ aufgeklärten und diversen Berliner Kunstszene. Die Rassismen sind allgegenwärtig, bewusste wie unbewusste. Dem Menschen fällt immer das auf, was er nicht kennt oder was nicht Teil seiner Lebenswelt ist. Und so kommt es, dass Madanii immer wieder auf das dem biodeutschen Publikum Fremde reduziert wird: »Es ist schwer als ganzer, komplexer Mensch wahrgenommen zu werden. Erst über die letzten Jahre hat sich ein Selbstbewusstsein entwickelt. Eine Versöhnung mit meinem Anderssein.« Mit der Außenzuschreibung von Rollen muss sie seit ihrer Kindheit leben und hat inzwischen ihren Umgang damit gefunden: »Ich repräsentiere nur mich selbst. Ich spreche weder für das iranische Volk noch für POCs in Deutschland. Ich spreche nur für mich. Aber wenn andere sich darin wiederfinden oder Trost daraus ziehen, dann bedeutet mir das wahnsinnig viel.«
Der Track »Tehran is Burning« entstand, nachdem Jina Mahsa Amini in Zusammenhang mit den »Frau, Leben, Freiheit«-Protesten Ende 2022 von der iranischen »Sittenpolizei« zu Tode gefoltert worden war. Im Refrain zitiert Madanii das iranische Lied »Paiz Amad« – »Der Herbst ist gekommen«. Für die Künstlerin symbolisiert der Herbst »eine Zeit des Umbruchs, in der vieles stirbt, damit etwas Neues wachsen kann«. Und so ist auch »Tehran is Burning« eine trotzige Kampfansage, ein hoffnungsvolles Auflehnen und kein resigniertes Klagelied. In Teilen vielleicht eine Klage, aber eben keine resignierte.
Diese Haltung zieht sich durch alle fünf Stücke. Dass »BiiLINGUAL« nicht, wie ursprünglich geplant, ein ganzes Album geworden ist, ist einerseits zu bedauern. Andererseits liegt die Stärke auch genau in dieser Kondensation, in der strengen Konzentration, das, was zu sagen ist, so präzise und knapp zu sagen, wie es nur geht.
Madanii: »BiiLINGUAL« (PIAS)
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