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Aus: Ausgabe vom 21.05.2025, Seite 6 / Ausland
EU-Asylpolitik

EU-Recht für die Tonne

Staatenbund plant Abschiebelager außerhalb seiner Grenzen. Gerichte sollen ausgehebelt werden
Von Yaro Allisat
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2024 noch verhindert: Künftig könnten Abschiebungen aus Italien in dieses Lager in Albanien möglich werden (Gjadër, 22.10.2024)

Großbritannien und Italien sind an den Gerichten gescheitert: Die britische Regierung wollte Geflüchtete, deren Asylantrag als »unzulässig« abgelehnt wurde, in das autokratisch regierte Ruanda abschieben. Auch Italien wollte im vergangenen Jahr Asylsuchende in eigens dafür errichteten Lagern in Albanien unterbringen. Beide Vorhaben wurden von den nationalen Gerichten für rechtswidrig erklärt. In der EU überlegt man nun, wie solche Modelle umgesetzt werden können, ohne dass die Justiz sie verhindert.

Schon im März hatte die EU-Kommission ein Abschiebegesetz vorgeschlagen, das Bestimmungen enthält zur »Rückführung in ein Drittland, mit dem ein Abkommen oder eine Vereinbarung besteht«. Woher die Betroffenen kommen, ist dabei egal. Das Gesetz soll ermöglichen, die Menschen in Lager außerhalb der EU zu bringen, auch wenn Abschiebungen in die Herkunftsländer nicht möglich sind. Diese »Zentren« seien bestimmt »für Personen, die sich illegal in der EU aufhalten und eine endgültige Rückführungsentscheidung erhalten haben«. Am Montag sind weitere Maßnahmen zur »Abwehr« von Geflüchteten bekanntgeworden: Das EU-Parlament und die Regierungen der EU-Staaten teilten mit, sich auf ein neues elektronisches Einreisesystem geeinigt zu haben. Die Ein- und Ausreise von Nicht-EU-Bürgern soll demnach mit biometrischen Daten wie Fingerabdrücken und Gesichtsbildern erfasst werden.

Laut der Onlineplattform Statewatch verteilte die polnische EU-Ratspräsidentschaft im Februar ein Papier im Strategischen Ausschuss für Grenz-, Einwanderungs- und Asylfragen, das die Diskussionen im Vorfeld der Veröffentlichung des Gesetzentwurfs im März beeinflussen sollte. Darin heiße es unter anderem: »Die vorherrschende Position (der EU-Mitgliedstaaten) ist es, die Rechtsgrundlage flexibel zu gestalten, was auch maßgeschneiderte Anträge im Einvernehmen mit den potentiellen Aufnahmeländern der Drehkreuze ermöglichen und eine gerichtliche Prüfung verhindern würde, die die Umsetzung dieser innovativen Lösung gefährden könnte.« Übersetzt: Lasst uns die Gesetzbücher einfach wegwerfen. Was der Vorstoß einiger Regierungen war, könnte bald Konsens in der EU sein.

»Der Gedanke an solche Lager – ›Rückführungszentren‹, wie es in Brüssel heißt – ist an sich schon moralisch und politisch abscheulich«, so Chris Jones, der Direktor von Statewatch, in einer Erklärung. »Doch es scheint auch rechtlich problematisch zu sein. Denn wenn ein Abschiebelager auf fremdem Boden rechtlich einwandfrei wäre, hätte wohl niemand ein Problem, wenn Gerichte das prüften?« Wie das »Border Violence Monitoring Network« im vergangenen Jahr mitteilte, hatten Schutzsuchende bei den versuchten oder durchgeführten Abschiebungen aus Italien nach Albanien versucht, Suizid zu begehen. Den Menschen sei in Albanien außerdem der Kontakt mit Anwälten verwehrt worden, lediglich wenige Minuten lang hätten sie ihr Telefon nutzen dürfen. Sie seien ohne ausreichende hygienische Versorgung eingesperrt worden.

Laut der Kommission dürften Abschiebeabkommen nur mit Ländern geschlossen werden, in denen die Menschenrechte und das Verbot von Kettenabschiebungen geachtet würden. Eine Farce, schon jetzt wird in die Türkei, nach Libyen und Tunesien ab- und zurückgeschoben, obwohl Menschenrechtsorganisationen dort von Folter, moderner Sklaverei und Kettenabschiebungen berichten. Seit dem EU-Türkei-Deal von 2016 verhandelt der Staatenbund mit Ländern rund um die EU, damit sie Geflüchtete aufnehmen. Bis zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems im vergangenen Jahr durften Menschen nur in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Dies wurde zugunsten einer Regelung aufgeweicht, derzufolge Geflüchtete in alle Staaten abgeschoben werden können, die sie auf dem Weg nach Europa passierten und die als sichere Drittstaaten gelten – auch wenn die Betroffenen in dem Staat keine soziale oder ökonomische Anbindung haben. Die größte Herausforderung ist dabei für die EU, Staaten zu finden, die sich bereit erklären, die Menschen aufzunehmen. Diese Staaten dann als vermeintlich »sicher« zu erklären, ist nur noch ein Formakt.

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