»Der Kongress ist ein Zeichen gegen Antisemitismus«
Interview: Dieter Reinisch, Wien
Sie und andere haben eine sogenannte jüdisch-antizionistische Deklaration veröffentlicht. Um was geht es dabei?
Während des Palästina-Kongresses in Wien im Oktober 2024 hat die Israelitische Kultusgemeinde eine Medienkampagne in den öffentlichen Verkehrsmitteln gestartet, in der sie behauptete, dass Juden sich in Wien nicht mehr sicher fühlen können, wenn ein Palästina-Kongress tagt. Wir wollten das nicht so stehenlassen, denn wir fühlen uns als Juden in Wien sicher und die Kultusgemeinde kann nicht für sich in Anspruch nehmen, für alle Juden zu sprechen. Das war der Beginn für unsere Initiative. Mit der Deklaration, die wir veröffentlicht haben, wollen wir drei Punkte betonen. Erstens: Die IKG spricht nicht für uns, und antizionistische Stimmen werden in den Medien und der Öffentlichkeit bewusst marginalisiert. Zweitens: Unsere klare Kritik am Siedlerkolonialismus Israels, der im aktuell stattfindenden Völkermord seinen Höhepunkt erreicht. Drittens: Die Zurückweisung, dass Antizionismus gleich Antisemitismus ist, sowie die Instrumentalisierung des Begriffs Antisemitismus.
Wer unterstützt diese Deklaration?
Die Deklaration war meine Initiative. Das Kollektiv »Judäobolschewiener« unterstützt es, auch Juden aus kommunistischen Kreisen und Gewerkschafter. Der prominenteste Unterzeichner ist der ehemalige südafrikanische ANC-Abgeordnete Andrew Feinstein, dessen Mutter in Wien den Holocaust überlebt hat.
Im Juni soll in Wien auch ein antizionistischer Kongress stattfinden.
Es ist der erste jüdische antizionistische Kongress. Er beschäftigt sich nicht mit jüdischer Identität, sondern mit allen Menschen, für die Israel vorgibt zu sprechen. Der Kongress ist nicht jüdisch, sondern offen für alle Menschen, die sich mit Antizionismus identifizieren und palästinasolidarisch sind. Der Kongress ist ein Zeichen gegen Antisemitismus. Ich wurde selbst vom ehemaligen ÖVP-Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka beschuldigt, eine »antisemitische Jüdin« zu sein. Das Argument ist so absurd. Auch deshalb erheben wir nun unsere jüdische antizionistische Stimme. Solche Stimmen gibt es seit dem Beginn des Zionismus. Es geht nicht nur darum, den Genozid zu stoppen, sondern auch darum, klarzumachen, was Zionismus ist: eine siedlerkolonialistische Ideologie. Das wollen wir an der Wurzel angreifen.
Wieso findet der Kongress gerade in Wien statt? Die jüdische Palästina-Solidarität scheint in anderen Ländern deutlich stärker ausgeprägt zu sein.
Er hätte überall stattfinden können, aber der erste jüdische antizionistische Kongress gehört einfach nach Wien, weil Theodor Herzl in Wien gelebt hat, hier sein Buch »Der Judenstaat« geschrieben hat und hier den ersten zionistischen Kongress abhalten wollte. Das hat er nicht geschafft, weil es damals schon starke antizionistische Gegenstimmen gab, daher musste er nach Basel ausweichen. Wien war aber das politische Zentrum der zionistischen Bewegung von Anfang an und daher ist es ein starkes Signal, genau hier den Kongress zu veranstalten. Die Palästina-Solidarität ist hier nicht so verwurzelt wie in anderen europäischen Ländern. Genau deshalb ist es bedeutsam, das Startsignal für jährliche jüdische antizionistische Kongresse hier zu setzen.
Droht staatliche Repression?
Die Repression ist gewaltig, es gab sogar Hausdurchsuchungen bei einem unserer Genossen. Aber genau deshalb ist es so wichtig, dass wir es machen und Menschen ermutigen, aufzustehen und zu sagen: Nein, die Unterstützung Israels darf nicht weiter Staatsräson sein.
Welchen Ansatz verfolgen Sie mit Blick auf eine Lösung für den Palästinakonflikt?
Wir wollen einen gemeinsamen demokratischen Staat, in dem alle Menschen dieselben Rechte haben. Ich kann mir das derzeit schwer vorstellen, aber es ist alternativlos. Eine Zweistaatenlösung ist eine zionistische Lösung.
Dalia Sarig ist Organisatorin des jüdisch-antizionistischen Kongresses und Mitglied von »Not In Our Name«
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