Rund um den Prado
Ein Spaziergang durch das Zentrum Havannas: Fotostrecke
Ein Spaziergang durch das Zentrum Havannas: Fotostrecke
Schlüpfen wir zur Abwechslung doch mal in die Rolle eines Journalisten von Panorama oder Spiegel-Online
Havanna. Kubanische Polizisten haben in der Nacht zum Sonntag in der Altstadt von Havanna einen Dissidenten auf brutale Weise festgenommen und abtransportiert. Nach Berichten von Augenzeugen wurde der etwa 30jährige Mann auf offener Straße mit Gewalt festgehalten, in Handschellen gelegt und unter Schmerzensschreien in einem Wagen abtransportiert. Grund der Festnahme war offenbar, daß er ein T-Shirt mit einem Anti-Castro-Aufdruck trug. Protestierende Anwohner, die den Vorfall beobachteten, äußerten die Sorge, daß er im Gefängnis gefoltert wird. Über den weiteren Verbleib des Festgenommenen wurde bislang nichts bekannt. »
Und so war es wirklich:
Der Festgenommene war betrunken und hatte auf offener Straße wegen eines Ehestreits eine Schlägerei angezettelt. Polizisten versuchten zunächst, ihn zu beruhigen. Als er dann um sich schlug, wurden ihm Handschellen angelegt. Die waren allerdings etwas zu fest angezogen, worauf sich ein Polizist bemühte, sie zu lockern. In der Tat kam dann ein Polizeiwagen, der den Mann zur Wache mitnahm. Sein T-Shirt war mit dem Namen einer Band bedruckt, Passanten beobachteten die Szene und gaben belustigte Kommentare ab.
Den oben erwähnten Lohnschreibern könnte man auch folgendes empfehlen: Ein Klassenraum einer Grundschule in der Calle Obispo ist durch ein offenes Gitter von der Straße abgetrennt, so daß Passanten den Verlauf der Schulstunde beobachten können. Wie wäre es mit der Schlagzeile: »Castros Kuba: Jetzt auch Kinder hinter Gittern«?
Wie schmeckt, wie riecht, wie fühlt sich Kuba an?, fragt uns eine Leserin aus Berlin-Kreuzberg. Wir sollten mehr darüber für diejenigen berichten, die dieses Land noch nicht selbst kennenlernen konnten.
Selbst Kuba-Neuling, lassen sich die ersten Eindrücke aus Havanna so zusammenfassen: Dies ist ein sehr sonderbares Land. Im Stadtbild wechseln ländliche Szenen mit glanzvollen Kolonialbauten, Verfall und den Überbleibseln realsozialistischer Moderne. Die Gerüche der Stadt mischen sich mit denen des Meeres, von der Seeseite weht stets eine leichte, angenehm kühlende Brise. Die Parks und Grünanlagen sind gepflegt, die Straßen und Wege werden einigermaßen sauber gehalten, sind aber voller Schlaglöcher und Stolperfallen. Wer Leuchtreklamen und Werbeschilder mag, wird sie in Havanna vermissen. Nur hier und da grüßen Fidel, Ché oder Los Cinco von einer Hauswand oder Propagandatafel.
Als erstes fällt hier der Verkehr ins Auge. Das Aufkommen ist für eine Großstadt mit etwa drei Millionen Einwohnern spärlich und viele Fahrzeuge machen einen abenteuerlichen Eindruck. Neben modernen Touristenbussen und Mietwagen sind vor allem Lada, amerikanische Straßenkreuzer - die mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben und mit umgebauten Dieselmotoren aus Traktoren fahren -, Motorräder von Java oder aus Zschkopau sowie alles unterwegs, was bei uns in Deutschland schon lange auf dem Schrottplatz ruhen würde. Natürlich darf man es sich nicht nehmen lassen, mit so einem uralten Chevrolet, der als Linientaxi für 10 Peso nacional pro Person verkehrt, mitzufahren. Ein intensives Erlebnis, auch angesichts von sechs Fahrgästen, die sich in den Veteran quetschen. Als Déjà-vu-Erlebnis entpuppt sich für die Fahrt mit den osteuropäischen Fabrikaten. Im Fahrzeuginneren riecht es nach Kraftstoff. Ostdeutsche wissen: Nicht die Benzinpumpe ist gebrochen – das muß so sein. Eine leichte Übelkeit gehörte in der Kindheit zu Autofahrten einfach dazu.
Wie lebt es sich in dieser Synthese aus Dritter Welt und Sozialismus, aus Karibik, Afrika, USA und DDR, wie denken und fühlen die Kubanerinnen und Kubaner selbst? Die kubanische Realität entschlüsselt einem sich nicht in wenigen Tagen. Das Fremdheitsgefühl jedoch weicht schnell - nicht nur wegen der Anklänge an eigene Erfahrungen – es liegt an der Offenheit und Freundlichkeit der Menschen.
Über vieles hier herrscht Unzufriedenheit: die Bürokratie, eintönige Zeitungen, katastrophale Wohnbedingungen, fehlende Reisemöglichkeiten, die viel zu niedrigen Einkommen, von denen allein das Leben nicht zu bestreiten ist. Viele wichtige Dinge sind nur gegen Devisen zu haben. Der Peso convertible untergräbt als Parallelwährung die gesellschaftliche Moral. Qualifizierte Leute müssen versuchen, irgendwie im Tourismus Fuß zu fassen. Taxifahrer und Vermieter an Ausländer verdienen ein Vielfaches von Universitätsprofessoren.
Wenn man den kubanischen Alltag beobachtet, fällt auf, daß vieles mühselig und improvisiert ist, Dinge fehlen, die für uns selbstverständlich sind. Auf offene Armut trifft man kaum. Die meisten Menschen in Havanna sind gut gekleidet und ernährt, ohne Zahnlücken, im Unterschied zu Berlin wird man nirgendwo angebettelt. Und noch etwas unterscheidet sich von der Welt, wie wir sie bei uns kennen: Das andere Tempo, eine kubanische Entspanntheit - den Menschen hier steht nicht die Existenzangst ins Gesicht geschrieben.
Am Malecón, der langen, sehr romantischen Uferpromenade, gehen ständig zahlreiche Menschen spazieren, sitzen Pärchen, wird Musik gemacht und kreist die Rumflasche. In der Nacht kann man auf das tief dunkle Meer hinausblicken, auf dem kein einziges Boot oder Schiff seine Lichter wirft. Kuba erscheint dann als ein verwunschener, abgeschnittener Ort. In der letzten Nacht sahen wir am Malecon einen Auflauf mit hunderten, die ein „Gay-Treffen" feierten. Übrigens völlig unbehelligt von der Polizei.
Unser kleines Hotel liegt in einer düsteren Seitenstraße in Alt-Havanna, nur wenige Fußminuten vom Capitolio und den aufgemotzten Geschäftsstraßen für Touristen und alle, die sonst noch mit harter Währung zahlen können. Nachts wirkt das Viertel um die Calle Consular wenig vertrauenserweckend, Dealer und leichte Mädchen lungern herum. An den Straßenkreuzungen beobachten Ordnungshüter aus ihren Autos heraus das Treiben ringsum. Morgens strömen aus den verschlissenen Häusern die Leute, um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen und junge Pioniere ziehen in Gruppen durch die Straßen.
In den Reiseführern wird unsere Absteige als Etablissement beschrieben, welches vor allem von Studenten aus aller Welt gern frequentiert wird. Studenten haben es nämlich gerne fensterlos und legen auch auf warmes Wasser keinen großen Wert. Tatsächlich haben sich einige junge Leute aus Norwegen und England hier einquartiert. Überwiegend aber sind es männliche Touristen, aus Kanada oder Deutschland. In der Lobby lassen sich am Abend ein, zwei herausgeputzte Afrokubanerinnen nieder, um sich etwas ausgeben zu lassen oder einträgliche Bekanntschaften zu schließen. Einen Hort der Revolution würde man hier nicht unbedingt vermuten. Und doch finden sich in einem abgelegenen Winkel, neben Gerümpel, Abfällen und einem versifften Pissoir, zwei lieblos gestaltete Wandzeitungen. Die Parteigruppe der PCC informiert darüber, daß Fidel aufruft. Daneben prangt die Straße der Besten.
Havanna ist eine Stadt voller Musik. Noch bis heute läuft hier das 24. internationale Jazz-Festival
Auf dem Weg zurück in unser Hotel ist die Luft angenehm warm wie in einer Julinacht in Berlin.
Propaganda der deutschen Bundesregierung auf der Buchmesse in Havanna – wie die Latinos an der Nase herumgeführt werden
Viele bunte Bilder, grafisch aufwendige Gestaltung, Hochglanzdruck: Die Bundesregierung scheut keine Ausgaben, um im Ausland für den »german way of life« zu werben. Als verlängerten Arm nutzt sie in Havanna den Stand der Frankfurter Buchmesse, die vorwiegend Kinderbücher und Werke zum Deutschlernen präsentiert. Kostenlos und in hoher Auflage wird dort aber nur die Broschüre »La actualidad de Alemania« (Tatsachen über Deutschland) verteilt.
In der 2005 vom Auswärtigen Amt im mehreren Sprachen aufgelegten Broschüre versuchen Historiker, Wirtschaftsprofessoren und Journalisten ein möglichst positives Bild Deutschlands zu zeichnen. Es ist zwar richtig, die BRD als wirtschaftlich potenten und industriell hochentwickelten Staat zu präsentieren – das ist aber nicht einmal ein Viertel der Wahrheit.
Die Verdrehungen beginnen schon bei der Darstellung des deutschen Erfinder- und Forschergeistes. Laut Broschüre wurde die Glühbirne nicht etwa von dem US-Amerikaner Thomas A. Edison erfunden, sondern von Heinrich Göbel. Das erste Telefon baute nicht der US-Amerikaner Alexander Graham Bell, sondern der Deutsche Philip Reis. Das erste Strahltriebwerk für Flugzeuge wurde nicht von dem Briten Frank Whittle konstruiert, sondern von Hans von Ohain. Der hatte allerdings mit dem praktischen Einsatz die Nase vorne: Seine Erfindung diente als Antrieb für eine der Hitlerschen »Wunderwaffen«. Dem deutschen Erfindergeist ist eben auch die Entwicklung der ersten Großrakete, der V 2, geschuldet – das allerdings wird schamhaft verschwiegen.
Buchstäblich nichts erfährt man in der Broschüre über die deutsche Alltagswirklichkeit. Kein Wort zur schon 2005 wahrnehmbaren Verarmung der unteren Einkommensschichten, kein Wort zur zunehmenden Altersarmut. Man erfährt nichts zu den seit 1990 kräftig zurückgegangenen Realeinkommen; die über zwei Millionen in Armut lebenden Kinder werden nicht einmal erwähnt. Daß die Zahl der Arbeiterkinder an den Universitäten immer weiter zurückgeht, wird ebenso verschwiegen wie die PISA-Studie, die die Effizienz des deutschen Bildungssystems auf einem Entwicklungsländern vergleichbaren Rang einstuft. Das deutsche Sozialsystem wird über den grünen Klee gelobt – verschwiegen wird jedoch, daß Millionen Deutsche offiziell als arm eingestuft werden (2006: 10,6 Millionen). Das Horrorkürzel »Hartz IV« taucht nicht einmal auf.
Man erfährt nichts davon, daß in vielen deutschen Orten heutzutage Neonazis Jagd auf Ausländer machen. Zur Darstellung der deutschen Realität würde auch gehören, daß seit 1990 in Deutschland etwa 100 Menschen durch Neonazis umgebracht wurden. Das Zuwanderungsgesetz wird zwar kurz erwähnt – nicht jedoch, daß Migranten in Lagern festgehalten und von den Behörden bei Nacht und Nebel und unter menschenunwürdigen Umständen abgeschoben werden. Weitere Punkte auf der Mängelliste: Verdummung der Bevölkerung durch Massenmedien, das Zusammenknüppeln von Demonstranten durch die Polizei, der völkerrechts- und grundgesetzwidrige Bundeswehreinsatz in Afghanistan, die Ausschnüffelung der Bevölkerung durch Polizei und Geheimdienste.
Realität ist immer komplex – besonders die deutsche. Diesem Anspruch wird die Broschüre nicht einmal im Ansatz gerecht, die Liste dessen, was verschwiegen, verdreht, beschönigt oder einfach erlogen wird, läßt sich fast endlos verlängern. Das Urteil über dieses Machwerk kann man in einem Wort zusammenfassen, höflicherweise auf Spanisch: »mierda«. Für so etwas geben sich hochbezahlte deutsche Professoren her – Kopflanger der Propaganda.
Auf der Internationalen Buchmesse in Havanna erfreut sich ein Amateurvideo derzeit großer Beliebtheit. Dabei enthält die Aufnahme der Debatte zwischen dem kubanischen Parlamentspräsidenten Ricardo Alarcón und den Studenten der Informatikuniversität UCI nur wenig Neues. Über zwei Stunden hatte sich der Politiker Anfang des Monats den Fragen der Studierenden gestellt. Kritisch hinterfragten die Jugendlichen Probleme mit restriktiven Reiseregelungen, nahmen zu sozialen Gegensätzen in Kuba Stellung und debattierten das Wahlsystem. Seit der amtierende Staatschef Raúl Castro im September vergangenen Jahres zur solcher Kritik aufgerufen hatte, haben in Kuba tausende solcher Diskussionen stattgefunden. Es war der jüngere Castro selbst, der einen „Überschuß an Restriktionen" konstatierte, durch den „mehr Schaden als Nutzen" angerichtet werde.
Die FG legt dort Informationen über ihr Cátedra-Projekt aus. (Die Cátedra gehört zur Universität Havanna und dient der Weiterbildung kubanischer Deutschlehrer.) Es liegen auch Publikationen des Komitee »basta ya« zur Befreiung der Los Cinco aus – das sind die fünf in den USA inhaftierten Kubaner, die den von Miami ausgehenden Terrorismus gegen ihr Land aufklären wollten. Beides ist immer wieder Anknüpfungspunkt für interessante Gespräche.
Umso größer ist die Freude, als mir plötzlich ein Plakat mit der Forderung nach Visa für die Ehefrauen der Fünf unter die Nase gehalten wird. Graziella Ramirez vom Internationalen Komitee zur Befreiung der Fünf und die kubanische jW-Korrespondentin Daisy Francis Mexidor machen Werbung für ihre Kampagne und bitten die jW um Veröffentlichung ihres Aufrufs, den u.a. die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) unterzeichnet hat.
Im Namen von »basta ya« übergebe ich Graziella unser Buch über die Geschichte der Fünf, die seit zehn Jahren in US-Gefängnissen einsitzen. Als ich später zum Stand des Internationalen Komitees komme, steht es gleich vorne im Regal mit anderen Publikation aus Kuba zu dem Fall. Zudem gibt es einen Tisch mit Karikaturen und Zeichnungen, die die Fünf in der Haft gefertigt haben. Das greife ich gerne auf und bitte die Genossinnen um Unterstützung: Die Zeichnungen und weitere Dokumente zu den Fünfen wären gut für die vom Komitee geplante Ausstellung zum 10. Jahrestag ihrer Verhaftung geeignet. Wir werden gemeinsam daran arbeiten und die Ausstellung vielleicht auch in der Cátedra in Havanna zeigen können.
Impressionen vom Messegeschehen: Fotostrecke
Auf der Messe versorgen sich die Kubaner mit großen Mengen geistiger Nahrungsmittel. Nicht nur dadurch wird deutlich, dass sie ein lesefreundliches Volk sind
Ganz anders ist die bundesdeutsche Wirklichkeit. In einer Veranstaltung über die Leseförderung in Deutschland durch die Stiftung Lesen erfahren die Kubaner von der Mühsal, deutschen Schülern den Spaß am Lesen zu vermitteln. Die Kubaner sind ein wenig ratlos – eine Diskussion kommt kaum zustande, nachdem Anke Maerk-Buermann und Karola Penz von der Akademie zur Leseförderung der Stiftung Lesen ihren Vortrag gehalten haben.
Beide Wissenschaftlerinnen belegten mit Zahlen, daß viele deutsche Schüler weder Lust am Lesen haben noch dazu in der Lage sind. Die Ergebnisse der Pisa-Studie, die der BRD blamable Noten ausgestellt hat, werden zitiert. Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Bildung und sozialer Herkunft – zementiert durch das dreigliedrige Schulsystem - fehlen auch nicht. Abhilfe schaffen sollen unter anderem Netzwerke zur Leseförderung, in denen Eltern, Lehrer und Erzieher zusammenwirken. Zentrum dieser Netzwerke sollen Bibliotheken sein.Im Nebel bleibt, wie das angesichts der bundesdeutschen Realität funktionieren soll – die bleibt nämlich weitgehend ausgeblendet. Da nur jede zehnte Schule eine Bibliothek hat, sind hier wohl die öffentlichen Einrichtungen gefragt. Ein großer Teil davon wird aber in vielen Städten gerade geschlossen oder ist unterfinanziert. Und das dreigliedrige Schulsystem wird auch nicht abgeschafft. Hier stoßen zwei Welten aufeinander: Das Entwicklungsland BRD und die fortgeschrittene Kulturnation Kuba.
Kubas Wirtschaftsminister plädiert dafür, stärker die Erfahrungen Chinas zu nutzen. Ein Gespräch mit Hans Modrow
Sie sind jetzt zum siebten Mal auf Kuba – haben also die Entwicklung des Landes über Jahrzehnte hinweg verfolgen können. Wie hat sich das Land nach Ihrem Eindruck in diesem Zeitraum verändert?
Es ist schwer, Vergleiche zu ziehen, bei meinem ersten Besuch 1970 existierten noch die sozialistischen Länder in Europa. Ich war mit einer DDR-Delegation hier, um über die Zusammenarbeit vor allem auf landwirtschaftlichem Gebiet zu verhandeln. Heute sind die UdSSR und die anderen sozialistischen Länder verschwunden - Kuba muß seinen Weg alleine gehen.
Beobachter erwarten, daß die kubanische Nationalversammlung am 24. Februar wichtige Veränderungen in der Staatsführung beschließt. Sie haben Gespräche mit hohen kubanischen Politikern geführt – gibt es Andeutungen, was zu erwarten ist?
Von meinen Gesprächspartnern war keiner bereit, sich konkret zu äußern. Ricardo Alarcón, der Präsident der Nationalversammlung, räumte lediglich ein, daß es in der Zusammensetzung des Staatsrates Veränderungen geben wird. Und er ergänzte, daß sich in den zu erwartenden Entscheidungen auch die Erwartungen der Bevölkerung widerspiegeln werden. Vor einiger Zeit hatte es in Vorbereitung der Wahlen eine Art Volksbefragung gegeben, bei der mehrere Millionen Verbesserungswünsche geäußert wurden.
Kuba hat mit Problemen zu kämpfen, die man ähnlich in der DDR kannte. Dort gab es mit der D-Mark eine inoffizielle Zweitwährung, was zu wirtschaftlichen Verwerfungen und ideologischen Problemen führte. Das scheint auch auf Kuba so zu sein, wo es mit dem konvertiblen Peso eine sogar offizielle Zweitwährung gibt. Konnten Sie ihren Gesprächspartnern Ratschläge geben, wie man mit diesem Dilemma umgehen könnte?
Schon zu DDR-Zeiten hielt ich es nicht für klug, Ratschläge zu erteilen. Die kubanische Führung ist sich des Problems bewußt, es wurde allerdings immer wieder betont, daß es nicht nur um die zwei Währungen geht, sondern auch um die Gestaltung der Preise. Eine zufriedenstellende Lösung brauche jedoch Zeit.
Sehr interessant war mein Gespräch mit dem Minister für Wirtschaft und Planung, José Rodriguez. Er sprach von sich aus als erstes an, daß die Versorgung dringend verbessert werden muß. Es gehe nicht an, daß jedes Jahr für 1,6 Millarden Dollar Lebensmittel importiert werden. Die eigene Landwirtschaft müsse gestärkt werden. Es hat mich an die DDR erinnert, als er auf die Schwierigkeiten verwies, den Haushalt für die kommenden Jahre festzulegen. Alle seine Ministerkollegen stellten Forderungen, keiner zeige Verständnis dafür, daß das Budget begrenzt sei. Der Sportminister z. B. wolle Mittel dafür, daß Kuba bei den Olympischen Spielen in Peking Goldmedaillen gewinnt. Klar, sagte Rodríguez, Goldmedaillen brauchen wir, aber wir haben unsere finanziellen Grenzen. Er verwies dann auf das hervorragende Gesundheitswesen Kubas, das immer mehr Geld verschlinge. Auch das Bildungssystem werde immer teurer. Sein Resümee war, daß die Wirtschaft effektiver werden muß, damit diese Mittel aufgebracht werden können. Die Erfahrungen des befreundeten China müßten stärker in die Entwicklung der kubanischen Ökonomie einbezogen werden.
Wie steht es mit der Energieversorgung?
Rodríguez sagte, Kuba fördere aus eigener Kraft 44 Prozent des Erdöls, für den Rest stehe Venezuela als zuverlässiger Partner ein. Ich fragte dann, wie ernst die Aussage des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zu nehmen sei, daß er die Öllieferungen an die USA drosseln wolle. Antwort: Das wird angestrebt, geht aber nicht über Nacht. Venezuela braucht die Dollar-Einnahmen, um seine sozialen Programme zu finanzieren. Rodríguez schloß damit, daß Kuba nicht mehr nur auf die Solidarität anderer setzen, sondern auf eine Strategie der Zusammenarbeit und Partnerschaft hinarbeiten müsse.
Auf Kuba wird zur Zeit ein schon aus DDR-Zeiten bekanntes Problem diskutiert: Reisefreiheit. Gab es dazu Hinweise in Ihren Gesprächen?
Es wird überlegt, wie die Ausreisebedingungen neu formuliert werden können. Allerdings hat Kuba ein Problem, das auch die DDR schon hatte: Es fehlt an Devisen, damit die Leute reisen können. Es kann ja keine Lösung sein, daß Reisefreiheit nur für diejenigen existiert, die Verwandte in den USA besuchen wollen.
Sie haben auf der Messe Ihr Buch »In historischer Mission« vorgestellt, in dem Sie auch die letzte Phase der DDR schildern. Wie empfanden Sie die Reaktion des kubanischen Publikums?
Mein Buch könnte in zweierlei Hinsicht Resonanz haben. Zum einen schildere ich darin Kontakte und Beziehungen, die die DDR entwickelt hat. Kuba spielt dabei auch eine Rolle. Zum anderen habe ich ein großes Interesse daran festgestellt, was mit dem Untergang der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten in Europa zusammenhängt.
Im jW-Büro, das wir mit Plastetisch und -stühlen zwischen den Zeitungsstapeln neben dem Stand improvisiert haben, ist revolutionäre Geduld gefragt.
Die Arbeit mit dem Internet hier auf der Buchmesse ist mühselig - Seitenaufbau und Datenübertragung gehen nur im Schneckentempo, das Versenden einer E-Mail dauert eine kleine Ewigkeit. Bei der Hitze und dem Krach ringsum nervt es besonders, Sklave der Maschine zu sein. In Berlin warten die Kollegen und scharren mit den Füßen, weil Termine für die Herstellung der Seiten einzuhalten sind. Keine leichte Sache, denn dort ist die Uhr stets sechs Stunden weiter.
Für eine schnelle Berichterstattung ist unser Blog hier umso wichtiger. Der Internetzugang dient darüber hinaus unserer journalistischen Arbeit insgesamt - für Recherchen, die Übertragung von Texten und Bildern, die Kommunikation mit der Redaktion in Berlin. Zu unserer Erleichterung, wenn auch gegen ein hübsches Sümmchen, klappte es mit der Einrichtung schnell und professionell. Kubas Telekommunikationsfirma ETECSA, ein Joint Venture mit der italienischen Telecom, bietet auf der Buchmesse diesen Service für die Veranstalter.
Es ist so eine Sache mit dem Internet in Kuba: In den Universitäten, Behörden und anderen Institutionen gibt es Zugänge zum Netz, wenn auch viel zu wenige, lange Wartezeiten sind die Folge. In der eigenen Wohnung ist es nicht gestattet und einen Computer kann sich ohnehin fast kein Kubaner leisten. Privatanwender sind auf Internetcafés angewiesen, was jedoch für die wenigsten erschwinglich ist. Denn dort muß mit der nur gegen harte Devisen erhältlichen Zweitwährung CUC bezahlt werden. Auf einigen Postämtern besteht immerhin die Möglichkeit, E-Mails zu versenden.
Von einer Datenautobahn kann hierzulande nicht die Rede sein. Von schnellen Breitband-Zugängen über die in der Karibik vorhandenen Unterseekabel ist der Inselstaat wegen des US-Embargos ausgesperrt. Die Satellitenverbindung, die das Land erst seit 1996 mit dem weltweiten Datennetz verbindet, ist langsam und kostet Kuba hohe Summen. Abhilfe schaffen soll eine Glasfaserverbindung mit Venezuela. Bis die Realität ist, wird es aber noch zwei, drei Jahre dauern.
Am Rande des Geschiebes schwitzt unsere Havanna-Redaktion an einem wackligen Tischchen vor den Laptops. Neugierige schauen ständig über die Schulter. Bei dem Stimmengewirr ist es mitunter schwierig, einen klaren Gedanken zu fassen, was noch dadurch erschwert wird, daß man ständig von Interessenten angesprochen wird. Das Gewusel ist manchmal chaotisch – das haben die kubanischen Genossen jetzt davon. Selber schuld, warum muß man auch gleich ein ganzes Volk alphabetisieren?
Am Vorabend stellte Hans Modrow, der vorletzte Ministerpräsident der DDR, sein Buch »In historischer Mission« vor - eine Veranstaltung von junge Welt und Cuba Sí, moderiert von Harald Neuber. Unter den Gästen waren zahlreiche Funktionäre aus Ministerien und Kulturinstitutionen, darunter Francisco Brown Infante, Direktor am Institut für Europäische Studien in Havanna.Die deutsche Botschaft hatte einen Beobachter geschickt. Eine Diskussion kam nicht auf, die Atmosphäre hatte einen Hauch von Feierlichkeit. Verständlich, denn Hans Modrow ist Staatsgast, der mit allen Ehren und allem Respekt behandelt wird.
Ein Kubaner, der neun Jahre in der DDR gelebt hat, hat im vergangenen Jahr seine früheren Wohnorte wieder besucht. Ein Gespräch mit Leonel R. Cala Fuentes
Ich habe von 1976 bis 1987 in der DDR gearbeitet, im vergangenen Jahr bin ich wieder einmal nach Deutschland gefahren, auf den Spuren meiner Vergangenheit. Ich hatte u. a. in den Leuna-Werken gearbeitet, die damals etwa 30.000 Beschäftigte hatten – heute arbeiten da vielleicht noch 4000 Menschen. Ich war auch in Zeitz, in Merseburg, in Halle oder in Weißenfels und habe mit vielen Leuten gesprochen, die ich von früher kannte. Viele berichteten über ihre Sorgen, ihre Angst vor der Zukunft, sie haben sich auch über die weit verbreitete Arbeitslosigkeit beklagt. Andere wiederum sagten mir, daß sie froh darüber sind, daß sie jetzt dorthin reisen können, wohin sie möchten.
Was haben Sie von den Erfahrungen, die Sie in der DDR gemacht haben, für sich nach Ihrer Rückkehr nach Kuba nutzen können?
Was ich in der DDR als erstes gelernt habe, das war die sprichwörtliche deutsche Pünktlichkeit. Ich habe auch die großartige deutsche Kultur bewundert und vor allem das, was uns Kubaner ein wenig fehlt, die deutsche Arbeitsdisziplin.
Haben Sie heute noch Freunde in der ehemaligen DDR?
Das Verschwinden der sozialistischen Staaten in Europa hat auch Kuba schwer getroffen. Wie haben Sie die »período especial«, erlebt, die Zeit, als Ihr Land plötzlich von den wichtigsten Wirtschaftsverbindungen abgeschnitten war?
Das ist ja mittlerweile in der ganzen Welt bekannt, was Kuba in dieser Zeit durchmachen mußte. Und nicht nur der Staat – das hat jeden einzelnen von uns betroffen. Ich habe damals eine Zeit lang als Dolmetscher für die ehemaligen DDR-Deutschen gearbeitet, die hier noch lebten. Wir konnten nicht mehr auf die Hilfe der sozialistischen Länder zählen, hinzu kam, daß die USA ihre Wirtschaftsblockade in dieser Situation auch noch verschärften. Wir bekamen kein Öl mehr, viele Betriebe mußten schließen. Ganz schwer wurde es für mich, als meine Frau 1993 starb. Ich habe damals unter der wirtschaftlichen Situation schwer gelitten, vor allem, weil ich auch noch für meinen damals dreijährigen Sohn sorgen mußte.
Kuba hat sich seitdem wirtschaftlich erstaunlich gut erholt. Ist der heutige Lebensstandard mit dem der 80er Jahre vergleichbar?
In den 80er Jahren haben wir ganz gut gelebt, wir waren in das sozialistische Wirtschaftssystem, den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, eingebunden, es gab viele Verträge mit sozialistischen Staaten. Die Lage hat sich nach dem Niedergang Anfang der 90er Jahre langsam wieder für uns verbessert, auch wenn es heute immer noch so manches Problem gibt.
Die USA, Deutschland und andere imperialistische Staaten spekulieren darauf, daß Kuba nach dem Tode des Revolutionsführers Fidel Castro einen ähnlichen Weg geht, wie ihn die frühere DDR gegangen ist. Wie steht denn die kubanische Bevölkerung dazu?
Ich bin kein Politiker. Wir möchten gute Beziehungen mit aller Welt haben – aber unter der Voraussetzung, daß wir auch respektiert werden. Natürlich möchten wir ein besseres Leben haben, aber nur unter der Bedingung, daß wir frei sind. Dem US-Kapitalismus werden wir uns jedenfalls nicht unterwerfen.
Was erwarten die Kubaner von den Präsidentschaftswahlen in den USA?
Zunächst muß man erst einmal davon ausgehen, daß jeder US-Präsident in erster Linie die reichen Leute vertritt. Und die möchten den Zugang zum Öl haben und sind bereit, dafür auch Krieg zu führen. Den Warschauer Pakt gibt es nicht mehr, die NATO tut, was sie will. Es wird immer mehr Geld in Rüstung und Raketen gesteckt, sie wollen die ganze Welt beherrschen. Von der Wahl erwarte ich nicht viel – vielleicht kann sich die Lage ein wenig verbessern, wenn Barack Obama von den Demokraten siegt.
Am Donnerstag eröffnete die 17. Internationale Buchmesse von Havanna
Der Stand der jungen Welt läuft gut – auch dank unserer Unterstützer. Erste Veranstaltung mit Hans Modrow heute
Punkt 13.00 Uhr, als sich die Buchmesse für das Publikum öffnet, bricht die Invasion herein: Tausende Kubanerinnen und Kubaner strömen in das Messegelände in der alten Spanierfestung.
Schon nach wenigen Minuten schiebt sich ein Menschenstrom durch den engen Gang vor dem jW-Stand. Unserer Helferin Jessica, einer uns als Hilfskraft zugeteilten »trabajadora social«, wird die Messe-Sonderausgabe der jW buchstäblich aus der Hand gerissen. Auch Oliver Desoi hat sich als Helfer zur Verfügung gestellt – er studiert zur Zeit in Havanna. Er hält ein wachsames Auge auf unsere Bücherkartons und Zeitungsstapel hinter dem Stand. Leider nicht auf seinen Rucksack, der ist nämlich schon nach zehn Minuten geklaut.
Immer wieder kommen Besucher freudestrahlend zu unserem Stand: Der eine hat in Halle gearbeitet, der andere in Leipzig promoviert, der dritte war Maschinenbauingenieur in Magdeburg. Über 30000 Kubanerinnen und Kubaner haben ihre Ausbildung in der DDR absolviert, die alte jW ist ihnen in guter Erinnerung und sie freuen sich, daß es uns noch gibt. Einer von ihnen ist Leonel R. Cala Fuentes, der ein Buch über seine Zeit in der DDR geschrieben hat. Wir verabreden uns für Freitag mit ihm zu einem Interview, das dann auch online zu lesen sein wird.
Auch die Medien interessieren sich für unseren Stand. Eine Kollegin von Radio Havanna macht mit uns ein Interview, weitere Pressekontakte haben wir schon am Tag zuvor mit der kubanischen Seite verabredet. Mal sehen, was daraus wird.
In den Vorjahren wurde die Messe jeweils von etwa einer halben Million Menschen besucht – der Bildungshunger und die Lust am Lesen scheinen ungeheuer zu sein. Die Organisation ist perfekt und routiniert, das Militär stellt Wasserbehälter und Transportmittel zur Verfügung, hunderte »trabajadores sociales« helfen an den Ständen oder schleppen Material herbei. Im Freigelände gibt es Stände mit Bier, Spanferkel und Limonade – diese Buchmesse ist ein riesiges Volksfest.
Nach etwa drei Stunden stellen wir die Verteilung unserer Kuba-Ausgabe erst einmal ein, wir wollen noch etwas für die nächsten Tage übrig behalten. Auch die mitgebrachten Plakate gehen weg wie warme Semmeln - Hits sind das mit dem Fidel-Castro-Foto und das mit einer politisch-sinnlichen Zeichnung von Thomas J. Richter.
Erster Andrang zur »Feria de Libro«: Fotostrecke