4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Mai 2024, Nr. 104
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Buchmesse Havanna 2008

Buchmesse Havanna 2008

  • · Tagebuch

    Angebot und Nachfrage

    Peter Steiniger
    Donn.jpg

    Die Buchmesse ist ein echtes Volksfest mit allem, was dazugehört: Musik, Tanz, Essen und Trinken.
    Den Tag über strömen die Menschen über das Gelände und drängen sich an den Ständen.

    Die antiken Kanonen werden zur beliebten Sitzgelegenheit, ebenso die Festungsmauer mit Ausblick über die Bucht. Viele suchen Schutz vor der Sonne im Schatten von Bäumen und Gebäuden. Gegen 18 Uhr bricht die Dunkelheit rasch herein. Die Messestände in den Kasematten der Festung schließen; dort übernehmen jetzt Reinigungskräfte das Regiment. Jeder Messetag klingt schließlich mit einem Konzert auf der Plaza San Francisco aus.

    Wie sieht das kulinarische Angebot aus und wie erschwinglich ist es? Es ist reichlich, Engpässe treten kaum auf, das Sortiment ist überschaubar. Schweinehälften schaukeln in der Sonne, die zerstückelt und auf zu Grills umfunktionierten halbierten Ölfässern fertig gegart werden. Hähnchenfleisch und Reis schmoren in den Tiegeln, Grünzeug wird eher spärlich verwendet. Das Essen wird in kleinen grauen Schachteln, die ursprünglich als Geschenkboxen produziert wurden, abgegeben. Besteck oder Servietten gibt es nicht; ein Stück abgerissene Pappe wird zum Behelfslöffel. Wasser, Cola, Zitronenlimo und Bier sind erhältlich, fast ausschließlich in Büchsen.

    An den Imbiss- und Getränkeständen wird geduldig gewartet, vor allem dort, wo mit Moneda nacional bezahlt werden kann. Auch hier gilt: Ein Land, zwei Währungen. Obwohl hinter den Ständen emsiger Betrieb herrscht, geht es nur langsam voran. Der Verkaufsakt selbst ist nicht Schwerpunkt der hiesigen ambulanten Gastronomie. Überhaupt konnten wir beobachten, daß die Kubaner fleißig arbeiten und zugleich Meister in der Kunst der Entschleunigung sind.


  • · Berichte

    »Auf ewig unser Oberbefehlshaber«

    Peter Wolter
    fidel.jpg

    Kubaner nehmen Ämterverzicht Fidel Castros gelassen
    Für die wohl große Mehrheit aller Kubanerinnen und Kubaner ist es offenbar undenkbar, daß der Mann, der gemeinsam mit seinem Bruder Raúl und dem argentinischen Arzt Ernesto Guevara vor 49 Jahren die Revolution anführte, aus dem politischen Leben verschwindet. Das kann sich allerdings auch der 81 Jahre alte Fidel Castro nicht vorstellen: »Ich verabschiede mich also nicht von Euch«, schloß er seine Erklärung in dieser Woche. »Mein einziger Wunsch ist es, ein Soldat im Kampf um Ideen zu sein.« Er will weiter Einfluß nehmen und mit seinen Erfahrungen zur Weiterentwicklung der kubanischen Revolution beitragen. Und zwar über die kommunistische Tageszeitung Granma, die künftig die »Reflexionen des Genossen Fidel« abdrucken wird.


    Auch der Staatspräsident Venezuelas, Hugo Chávez, kann sich nicht vorstellen, daß Castro von der Bühne abtritt. »Fidel tritt nicht zurück!« verkündete er am Mittwoch im kubanischen Fernsehen. »Er wird weiter im revolutionären Kampf stehen.« In einer Einspielung in die täglich ausgestrahlte Diskussionsrunde »Mesa Redonda« (Runder Tisch) kam auch Nicaraguas Staatspräsident Daniel Ortega zu Wort: »Fidel bleibt der unumstrittene Führer des revolutionären Prozesses in Lateinamerika«, sagte er. Ähnlich äußerten sich die Staatsoberhäupter von Bolivien und Brasilien, Evo Morales und Luiz Ignacio »Lula« da Silva.

    Ergänzt wurde die Sendung mit Straßeninterviews. »Es ist doch klar, daß Fidel nicht mehr seine bisherige Rolle einnehmen kann«, sagte ein Kubaner. »Er ist 81 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen – jüngere müssen in seine Fußstapfen treten. Aber: Die Kontinuität der Revolution ist auf jeden Fall gesichert.« Die TV-Journalistin Aleen Rodríguez Derivet sprach offenbar vielen Kubanern aus der Seele: »Er wird auf ewig unser Oberbefehlshaber bleiben.«

    Ähnlich denkt auch der kubanische Kundschafter René González, der wegen seines Kampfes gegen den von Miami ausgehenden antikubanischen Terror seit 1998 in einem US-Gefängnis sitzt. Die Nachrichtenagentur Prensa Latina zitierte den zu 15 Jahren Haft Verurteilten am Donnerstag mit den Worten, Castro sei für ihn ein »Soldat der Ehre«, dessen Beispiel in der ganzen Welt ungezählten Kämpfern für eine gerechte Gesellschaft Mut gebe.

    Es überrascht nicht, daß in Washington und in den Hauptstädten der Europäischen Union nach dem Verzicht Castros auf politische Spitzenämter ein Aufweichen oder gar ein Ende der kubanischen Revolution erwartet wird. Aber auch diese Stimmen wurden in »Mesa Redonda« zitiert. Der EU-Außenpoltiker Javier Solana etwa hofft, daß sich die kubanische Gesellschaft »sehr schnell« wandelt – womit er das Einknicken gegenüber den USA und die Öffnung für ausländisches Kapital meint. Ähnlich äußerten sich die US-Politikerin Hillary Clinton – aber auch ihr Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten, Barack Obama. Rogelio Polanco Fuentes, Chefredakteur der kubanischen Tageszeitung Juventud Rebelde, kommentierte die Stimmen westlicher Politiker so: »Diese Damen und Herren haben nicht das geringste moralische Recht, uns zu sagen, was wir zu tun haben.«

    Schon die Nachricht von Castros Erkrankung vor anderthalb Jahren hatte im »Westen« die Hoffnung ausgelöst, die angeblich unterdrückten Kubaner würden jetzt die Herrschaft der kommunistischen Partei hinwegfegen. Und in der Dissidentengemeinde in Miami (Florida) wurden voreilig Freudenfeste gefeiert. Pustekuchen: Die Kubaner nahmen die krankheitsbedingte Auszeit Castros gelassen hin, bis auf die von der Westpresse hofierten Dissidenten vom Dienst forderte niemand den »demokratischen Wandel«. Was natürlich nicht ausschließt, daß viele Menschen Verbesserungen erwarten.

    An den Castro-Brüdern führt auf Kuba immer noch kein Weg vorbei. Den von vielen Auslandsmedien unterstellten Personenkult gibt es jedoch nicht. Nicht eine Fabrik, nicht eine Universität führt den Namen der Castros. Nach ihnen ist auch keine Straße benannt. In vielen deutschen Amtsstuben prangt aufgrund dienstlicher Anordnung das Porträt des Staatsoberhauptes an der Wand – nicht jedoch auf Kuba. Es sei denn, daß es jemand aus eigener Initiative aufgehängt hat.
  • · Berichte

    Permanente Revolution

    Harald Neuber
    serveImage.php.jpg
    Weiterführende Rolle: Raúl Castro im Editorial der Tageszeitung Granma

    Kubanisches Parlament wählt neuen Staatsrat. Fidel Castro wird weiter eine politische Rolle spielen. Debatten bestimmen Alltag und Politik
    Die wichtigste Nachricht nach allen Sondersendungen, Nachrufen und Kommentaren zum Rückzug Fidel Castros aus der Regierung Kubas ist, daß es kein Rückzug aus der Politik ist. Und: In Kuba wurde die Nachricht mit gelassener Ruhe aufgenommen. Im zweiten Jahr nach der Übergabe der politischen Ämter an den Vizepräsidenten und fünf Jahre jüngeren Bruder Raúl Castro hat der langjährige »Comandante en Jefe« seine Regierungsposten Anfang der Woche zwar geräumt. Er folgte damit einer Erkenntnis, die er in einem offenen Brief schon Anfang Januar formuliert hatte. Es sei seine Pflicht, nicht an Ämtern festzuhalten »und jüngeren Menschen im Wege zu stehen«. Es gehe vielmehr darum, »meine Erfahrungen und meine Ideen beizusteuern«. Auf den Punkt brachte es der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto: »Selbst wenn sich Fidel Castro zurückziehen würde, bliebe er, was ihn zu einem Giganten der Geschichte macht: Fidel Castro.«


    In Kuba trafen die Interpretationen, es handele sich um einen »Epochenwechsel«, das »Ende der Ära Castro« oder gar den »Beginn einer Transition« auf entschiedenen Widerspruch. »Fidel ist nicht zurückgetreten«, sagt Frank González, Präsident der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina gegenüber junge Welt. In seinem Brief habe der 81jährige Revolutionsführer schließlich erklärt, »bis zum Ende konsequent« zu bleiben. Ähnlich äußerte sich der kubanische Journalist Randy Alonso in der politischen TV-Talkshow »Mesa Redonda« (Runder Tisch): »Wenn Fidel auf etwas verzichtet hat, dann auf seine Familie und die Privilegien, die er hätte genießen können«, hieß es in der Sendung am Mittwoch, einen Tag, nachdem die Nachricht in der Tageszeitung Granma, dem Zentralorgan der kommunistischen Partei Kubas, veröffentlicht worden war. Der Historiker Luis Suárez Salazar bezeichnet den Rückzug Fidel Castros aus der Regierungspolitik als »normalen Vorgang«: »Der Genera­tionswechsel mußte vollzogen werden«, sagt er, »und Fidel Castro war davon nicht ausgenommen«.

    Im Klima eines solchen Wandels wird an diesem Sonntag der neue Staatsrat in Kuba für sechs Jahre gewählt. Im »Palacio de Convenciones« im Osten Havannas werden am Morgen die 614 Abgeordneten der siebten Nationalversammlung Kubas zusammenkommen, um 31 Mitglieder des Staatsrates zu wählen. Auch der Vizepräsident, seine fünf Vertreter, der Parlamentspräsident und weitere führende Posten werden neu besetzt. Daß Raúl eine führende Rolle spielen wird, wurde schon im Vorfeld der konstituierenden Sitzung deutlich. Ein Beitrag in der Granma endete am Mittwoch mit der Schlußformel: »Viva Fidel! Viva Raúl!«. Ein Novum in der Geschichte der kubanischen Revolu­tion.

    Fidel Castro wird persönlich nicht anwesend sein. Beobachter gehen jedoch fest davon aus, daß er der Legislative eine Nachricht zukommen lassen wird. In dem personellen Wechsel erschöpft sich die Transition in Kuba. Denn die Menschen im Land erwarten vor allem eine Lösung der unleugbaren wirtschaftlichen Probleme, weniger eine Veränderung des politischen Systems, auf das ausländische Gruppen, Parteien und Staatsführungen immer wieder Bezug nehmen. Eine »tiefgreifende und totale Transformation« habe sich in Kuba schließlich schon nach dem 1. Januar 1959 vollzogen, äußerte dazu der kubanische Schriftsteller und Journalist Lázaro Barredo Medina in der Granma: »In ihrer Beschränktheit verstehen die Feinde der Revolution nicht, daß der Caudillismus nie wieder nach Kuba zurückkehren wird.« In dieser Welt, »in der die Politik zu einer Karikatur verkommen ist, können sie sich nicht vorstellen, daß diese Revolution in Theorie und Praxis ein kontinuierlicher Prozeß ist«. Der »Genosse Fidel« habe einen festen Platz im politischen Leben ebenso eingenommen wie im »persönlichen Leben der Mehrheit der Kubaner«.

    Nun gehört es zu den Erfahrungen des Staatssozialismus, daß sich die wirklichen politischen Debatten nicht unbedingt in der Parteizeitung wiederfinden. Doch eben die Einschätzung Barredo Medinas hört man auf der 17. Internationalen Buchmesse in Havanna auch von kritischen Intellektuellen. Im Konsens, die Probleme Kubas nicht nur im Land, sondern im Rahmen der Revolution zu lösen, werden zahlreiche Diskussionen geführt. Im vergangenen Jahr wurden in Kuba mehrere Bücher über die soziale Situation in den neunziger Jahren veröffentlicht. Die Periodika des Landes widmen sich den kritischen Themen. Und sogar die franco-kubanische Literatin Graziella Pogolotti stellte als Ehrengast der Messe die zweite Auflage ihres Buches über die kulturellen und politischen Polemiken vor, die das revolutionäre Kuba in den sechziger Jahren bewegten und zu einer Phase repressiver Politik in den siebziger Jahren führten. Die Ereignisse von damals sind heute wieder Anlaß für Aussprachen, die weit in die Überlegungen über die Perspektive der Revolution hineinreichen. Diese Kultur der kritischen Debatte wurde von Raúl Castro in den vergangenen eineinhalb Jahren auf politischer Ebene unterstützt. Die Erwartungen sind deswegen groß, vor dieser Wahl in Kuba. Die Zweifel, ob sie auch erfüllt werden, halten sich in Grenzen.
  • · Tagebuch

    Volle Konzentration

    Peter Steiniger
    Graziella Ramirez (Komitee Cuban Five),  Mónica Corbano (Uni-Leh
    Graziella Ramirez (Komitee Cuban Five), Mónica Corbano (Uni-Lehrerin), Prof. Ivan Munoz (Leiter der Cátedra)

    Am Morgen geht es zur Cátedra Humboldt. Maikel Veloz vom Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) holt uns mit dem Kleinbus von der Messe ab.
    Die Cátedra ist eigentlich die deutsche Spezialbibliothek der Universidad de La Habana und befindet sich in deren unmittelbarer Nachbarschaft in einer schönen Stadtvilla im Stadtteil El Vedado. Das Sortiment in den Regalen weist gewisse Überschneidungen mit meinem eigenen Bücherbestand auf: Feuchtwanger, B. Traven, Dieter Noll. Einige tausend Bücher aus DDR-Beständen haben hier ein neues, dankbares Zuhause gefunden. Tatsächlich ist die Cátedra viel mehr als nur eine Bibliothek. Ehrenamtlich werden hier kostenlose Sprachkurs sowie Veranstaltungen zu Kultur und Landeskunde angeboten. Auch der DAAD-Lektor hat hier sein Domizil. Sie ist ein beliebter Treffpunkt kubanischer Deutschstudierender und deutscher Gaststudenten in Havanna.


    Wir sind im Doppelpack gekommen. Etwa 50 Studierende drängen sich sitzend oder stehend in dem kleinen, bald überhitzten Vortragssaal. Marion Leonhardt stellt das vom Komitee Basta ya! herausgegebene Buch über die Cuban Five vor. In Anwesenheit von Graziella Ramirez, der Präsidentin des internationalen Komitees, das die Solidaritätsaktionen zugunsten der fünf Kubaner organisiert. Kubas Helden werden wegen ihrer Aufklärertätigkeit gegen terroristische Aktivitäten von Miami aus seid bald zehn Jahren ohne Gerichtsurteil in den USA gefangengehalten. Die Cátedra wird bald einige Exemplare dieses Buchs zu ihrem Bestand zählen können.

    Ich berichte vom freien Wettbewerb. Zunächst von den Nokia-Protesten, den Hintergründen der Werksschließung - als Beispiel, wie europaweit die Beschäftigten gegeneinander ausgespielt werden. Anschließend stelle ich die junge Welt vor und erläutere, wie sich unsere Zeitung gegen die kapitalstarken Medien behauptet.
    Fast zwei Stunden dauert die Veranstaltung, unser Publikum bleibt konzentriert bei der Sache und fragt interessiert nach. Wir tragen uns in das Gästebuch der Cátedra ein. Günther Grass war auch schon da.

    Bericht in juventud rebelde
  • · Tagebuch

    Fast eine diplomatische Mission

    Peter Wolter
    Donnerstag 028.jpg
    Das Meer sehen wir leider nur aus der Ferne ...
    Nicht, daß jemand meint, wir würden hier auf Kuba Urlaub machen. Den Strand wird in den zwei Wochen unserer Präsenz auf der Buchmesse niemand von uns gesehen haben, freie Tage konnten wir uns auch nicht leisten, obwohl wir uns das vorgenommen hatten.
    Neben der Standbetreuung und dem Recherchieren und Schreiben von Beiträgen für die jW gibt es eine Vielzahl von Einladungen und Gesprächen, die wir wahrnehmen.
    Mit dem ICAP etwa, dem kubanischen Institut für Völkerfreundschaft. Oder mit der kubanischen Buchkammer.Gestern stand eine Visite in der größten lateinamerikanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina an.

    Da ich selbst jahrelang für dpa, ddp und Reuters gearbeitet habe, kann ich mir ein fachmännisches Urteil erlauben: Hochprofessionell, was die 120 kubanischen Kollegen tagtäglich auf die Beine stellen! Die Redaktionsräume sind vollgestopft mit Computern, es sieht aus wie in der Hamburger dpa-Zentrale, allerdings weniger geräumig. Wir führten ein sehr informatives Gespräch mit der Chefredaktion: Prensa Latina hat Auslandsbüros in über 20 Ländern, weitere sollen hinzukommen. Die Agentur steht finanziell auf eigenen Beinen, kommt also ohne irgendwelchen staatlichen Zuschüsse aus.

    Nachmittags ein Besuch bei Hans Werner Richert, Chefredakteur der deutschsprachigen Ausgabe der Parteizeitung Granma, der die Gelegenheit gleich beim Schopf ergreift und ein Interview mit der jW und mit Marion Leonhardt führt, die die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba an unserem Stand vertritt. Heute nachmittag sollen wir kubanischen Gewerkschaftern über Arbeitskämpfe in Deutschland berichten.

  • · Tagebuch

    Stalin neben Trotzki in Kuba

    Harald Neuber
    stalinmuell.jpg

    Vielleicht ist es ganz gut, dass die mexikanische Friedrich-Engels-Stiftung unserer Halle noch keinen Besuch abgestattet hat.
    Denn anders als ihr Name vermuten lässt, sind die Mexikaner glühende Anhänger Leon Trotzkis. Nur zwei Hallen neben den revolutionären Freunden hat der Kollege Ronald Koch vom Frankfurter Zambon-Verlag in unserem Ausstellungssaal das Buch „Stalin – anders betrachtet" des Belgiers Ludo Martens ausgestellt. „das Interesse an dem Buch hier ist enorm", sagt Koch, „ich hätte noch einige Kisten mitbringen können". Nicht so richtig begeistert ist Raimundo Gonzalez, der am Institut für Meteorologie beschäftigt ist und sich mit der Nutzung alternativer Energiequellen für Kuba befaßt. „Wer so etwas präsentiert, ist doch einfach bescheuert. Die Verbrechen Stalins überwiegen seine Verdienste meilenweit. "
    Koch will nun weitere Stalin-Bücher nach Havanna schicken. An Interessenten gibt er noch die Adressen einer befreundeten Buchhandlung heraus, in der sie verkauft werden.
    Die trotzkistische Fraktion ist nicht weniger erfolgreich. In einem überfüllten Lesesaal stellt die Engels-Stiftung am Dienstag Trotzkis „Verratene Revolution" vor. Ein junger Vertreter, der mit Brille und Bartschnitt aussieht wie die Reinkarnation seines ideologischen Übervaters, stellt die Grundthesen des Trotzkismus vor, um dann die Zusammenarbeit Kubas mit China zu verurteilen, einem „Staat, der die Interessen der Arbeiter verraten hat". Dass Busimporte aus China das Transportproblem entschärft haben und auch die Stadtreinigung mit Fahrzeugen aus dem Reich der Mitte ausgestattet wurde, interessiert den revolutionären Ideologen nicht. Manchmal ist die Ideologie so wichtig, dass für Politik kein Platz mehr bleibt.
    Trotzdem wird die trotzkistische Lesung von Celia Hart begleitet, der Tochter von Armando Hart, einem der wichtigsten Intellektuellen Kubas. Was beweist, dass ideologische Debatten in Kuba souveräner geführt werden, als mitunter angenommen wird.

  • · Tagebuch

    Vom Schreibtisch vor die Kamera

    Harald Neuber
    Harald 017.jpg

    Auf der Internationalen Buchmesse in Havanna treffen wir viele Kollegen aus Lateinamerika und Europa wieder.
    Da geschieht es schon mal, dass man die Rollen wechselt. Gerade noch hatte ich ein Interview geführt, da sitze ich vor der Kamera. Pascual Serrano, Mitbegründer des Internetportals Rebelion.org und Korrespondent des lateinamerikanischen Fernsehsenders Telesur bittet mich um ein Interview über die junge Welt. Mit Pascual sind wir seit langem in Kontakt, im Berlin hatte er 2004 an einer Medienkonferenz teilgenommen, die unter anderem von der jW organisiert wurde. Pascual hat auf Telesur unter anderem eine Sendung über alternative Medien. Besonders interessiert ihn das Genossenschaftsmodell der jungen Welt – „ein Vorbild für linke und alternative Medienprojekte in Lateinamerika“, wie er sagt.
    Die Lage hier ist um einiges zugespitzter als in Europa. In Lateinamerika kontrollieren nur wenige Medienkonzerne die Branche – viele wie Televisa oder die Cisneros-Gruppe mit direkten Verbindungen in die USA. Der politische Kampf gegen die Linke wird in Kuba und auf dem Kontinent über die Presse ausgetragen. Diese Erfahrung machen wir hier fast täglich. Als kürzlich ein Student mit dem Parlamentspräsidenten Ricardo Alarcón diskutierte, lancierten rechtsgerichtete Redaktionen, der junge Mann sei festgenommen worden. Eine glatte Lüge, die den Kubanern wieder einmal vorführte, mit welcher Dreistigkeit der Medienkrieg gegen die Regierung in Havanna geführt wird.
    Pascual Serrano ist nicht der einzige Kollege, der sich den Kampf gegen diese neue Gefahr für Demokratie und Frieden auf die Fahnen geschrieben hat. Der Kampf um die Meinungshoheit ist voll entbrannt. Auf der einen Seite die Bevölkerung, auf der anderen die Medienkonzerne. Mit unserer Präsenz auf der Buchmesse in Havanna hat junge Welt in den vergangenen vier Jahren schon einen Beitrag zu diesem Ringen geleistet. Und wir werden weiter präsent sein, wo es nötig ist.

  • · Fotostrecken

    Sinne und Klasse

    Grafische Dekoration für den jW-Stand von Thomas J. Richter
  • · Berichte

    »DDR hat auf Kuba deutliche Spuren hinterlassen«

    Interview: Peter Wolter

    Kubanischer Autor ist dem Einfluß deutscher Kultur und Wissenschaft auf die Karibikinsel nachgegangen. Ein Gespräch mit Manuel Torres Gemeil

    Manuel Torres Gemeil ist Professor für Verkehrswesen an der Universtiät Havanna und Vizepräsident der kubanischen Gesellschaft für Logistik und Marketing. Er ist Verfasser und Herausgeber des auf Kuba erschienenen Buches »Tras las huella alemana en Cuba« (Auf der deutschen Spur in Kuba)

    Der Naturforscher Alexander von Humboldt war auf Kuba, dort ist auch der deutsche Dichter Georg Weerth begraben. Es gibt zahlreiche andere Spuren, die Deutsche auf der Insel hinterlassen haben –und darüber haben Sie ein Buch geschrieben. Wie sind Sie dazu gekommen?

    Ich habe in Dresden an der Technischen Universität, Fakultät für Verkehrswesen »Friedrich List« studiert, da habe ich auch promoviert. Daher kommt mein Interesse für die deutsche Kultur. Ich habe schon in den 90er Jahren angefangen, Material über die Spuren zu sammeln, die Deutsche auf Kuba hinterlassen haben. Im März letzten Jahres hatte ich 30 Seiten beisammen – ich dachte damals, wenn es 100 Seiten würden, wäre das großartig. Anfang Juli traf ich Raúl Martell Alvarez, der auch in der DDR studiert hat. Ich berichtete ihm stolz, daß ich 99 Seiten zusammengetragen hatte -- darauf er: Mensch, das ist doch schon ein Buch! Die Auflage hat 226 Seiten mit 162 Bildern.

    Muß man aus der Fülle des Materials schließen, daß deutsche Kultur und Wissenschaft einen großen Einfluß auch auf das heutige Kuba haben?

    Ganz bestimmt. Es waren eigentlich gar nicht so viele Deutsche, die auf Kuba gelebt haben -- sie haben aber eine ungeheure Wirkung auf unser Land gehabt. Es gibt praktisch keinen wissenschaftlichen oder technischen Zweig in unserem Land, der nicht von Deutschen geprägt wurde. Ob Sie nun Kaffeeplantagen, den Sport, die Literatur, das Eisenbahnwesen, die Zuckerindustrie oder das Universitätswesen nehmen -- überall gibt es deutsche Spuren.

    Nachdem die DDR gegründet worden war – brach da eine neue Phase in den deutsch-kubanischen Beziehungen an?

    Nicht mit der Gründung der DDR, sondern ab 1959 mit der kubanischen Revolution. Seitdem haben sich zwischen beiden Staaten sehr enge Beziehungen entwickelt. Vor allem auch in der Bildung: Schätzungsweise 700, 800 Kubanerinnen und Kubaner haben in der DDR studiert, zum Teil auch promoviert. Über 10 000 Kubaner haben in der DDR gearbeitet und nicht nur etwas über Technik gelernt, sondern auch kulturelle Eindrücke mitgenommen. Drei Jahrzehnte lang hat also der sozialistische deutsche Staat einen großen Einfluß auf Kuba gehabt.

    Können Sie mehr dazu sagen, welche Rolle die DDR für das kubanische Universitätswesen gespielt hat?

    Die ist immer noch spürbar. Wie gesagt, viele Kubaner haben ihren Universitätsabschluß in der DDR gemacht, einige Dutzend von ihnen sind heute hier auf Kuba Dozenten, Professoren oder gar Universitätsrektoren. Ich selbst habe ja auch in der DDR promoviert und bin seit 1987 Professor für Verkehrswesen an der Universität Havanna.

    Wie steht es heute mit den deutsch-kubanischen Beziehungen? Die DDR gibt es nicht mehr, und die Regierung der BRD gilt nicht gerade als kubafreundlich.

    Das ist im Prinzip richtig, man muß aber differenzieren. Es gibt viele Verbindungen zu Forschungseinrichtungen und Universitäten. Unsere kubanische Gesellschaft für Logistik und Marketing z. B. hat gute Beziehungen zu deutschen Institutionen, es gibt Kontakte zu Fachhochschulen, zu Technischen Universitäten. Mit der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin haben wir mehrere gemeinsam verfaßte Bücher herausgegeben. Wir haben auch Verbindungen zur Humboldt-Universität in Berlin oder zu den Unis in Magdeburg und Köln.

    Kuba ist zwar ein Entwicklungsland, aber weit fortgeschritten auf dem Gebiet der Medizin. Welche Zusammenarbeit gibt es auf diesem Gebiet?

    Die war früher, zu DDR-Zeiten, sicher besser entwickelt, ich glaube nicht, daß das heute noch eine große Rolle spielt. Mehr kann ich dazu eigentlich sagen, da fehlen mir Detailkenntnisse.

    In Deutschland gibt es Vereinigungen wie die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba oder Cuba Sí – existiert umgekehrt auch so etwas auf Kuba?

    Das gibt es in der Tat -- und zwar schon seit 1872. Die Vereinigung nennt sich Casino Alemán und ist die älteste Institution dieser Art überhaupt in meinem Land. Casino hat etwa 100 Mitglieder –Kubaner, die irgendeine Verbindung zu Deuschland haben sowie Deutsche, die hier leben.
  • · Fotostrecken

    Entwickelt

    Analphabetismus - Fremdwort in Kuba
    Viele Schulklassen besuchen die Messe - Grundschüler tragen Pionierkleidung
    Lesen braucht keine Bequemlichkeit
    Was gibt´s denn hier?
    Freundliche Helferin
    Gedränge in der Buchhandlung
    Comic für die gerechte Sache
    Günstige Preise - und gezahlt wird hier in Moneda nacional
    Lesandra González Catalús (13) - stolze Pionera Exploradora
    Führung bei den jungen Nautikern
    Heimatkunde mit Kugelfisch
  • · Tagebuch

    Deutsch als Fremdsprache

    Peter Steiniger
    Uni Habana 007.jpg
    Yaidarys, Leydi und Danisbel freuen sich über deutsche Lektüre

    Wissbegieriger Besuch am Stand der jungen Welt - Deutsch-Studierende der Universität Havanna.
    Sie lassen sich alles über die junge Welt erklären und en detail unsere Internetausgabe vorführen. Daß wir soviel über Kuba und Lateinamerika berichten, beeindruckt sie. Besonders freuen sie sich über die verschiedenen thematischen jW-Beilagen, die am Stand abgegeben werden.
    Derzeit belegt die Gruppe den einjährigen Vorbereitungslehrgang mit Deutsch-Intensivkursen, Spanisch und Sport. Fünf Jahre Ausbildung schließen sich an. Neben der ersten und mindestens einer weiteren Fremdsprache kommen dann noch weitere Fächer hinzu, wie Geschichte, Linguistik und Literatur. Ab dem dritten Jahr wird ausschließlich in den Fremdsprachen unterrichtet. 
    Obwohl noch am Anfang ihrer Ausbildung, sprechen einige unserer Besucher schon erstaunlich gut deutsch. Aussprache und Grammatik seien das Schwerste - das Kompliment kann ich zurückgeben.

  • · Berichte

    Cuban Five. Offener Brief

    Über 100 Persönlichkeiten aus 27 Ländern haben einen Brief an US-Außenministerin Condoleezza Rise, den Generalstaatsanwalt der USA Michael B. Mukasey und an den Minister für Innere Sicherheit Michael Chertoff geschrieben.
    Sie fordern darin, aus humanitären Gründen den beiden Kubanerinnen Olga Salanuevo und Adriana Pérez, Visa zu gewähren, damit sie ihre in den USA seit acht, bzw. neun Jahren inhaftierten Ehemänner besuchen dürfen. Die USA haben bislang jeden Besuchsantrag ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Zu den zitierten Persönlichkeiten gehört auch die ehemalige Justizministerin der Bundesrepublik Deutschland, Herta Däubler-Gmelin (SPD). Das unten dokumentierte Schreiben wurde ferner unterzeichnet von Adolfo Pérez Esquivel, Danielle Mitterrand, Rigoberta Menchú, Hebe de Bonafini, Rosa Regás, und Ignacio Ramonet. Aus den USA unterschrieben: Der katholische Bischof Thomas Gumbleton, die Pastorin Dr. Joan Brown Campbell, Angela Davis, Danny Glover ­, Alice Walker, Noam Chomsky, Howard Zinn, die ehemaligen Kongreß-Abgeordneten Esteban Torres, Wayne Smith und Michael Parenti sowie der Bürgermeisterin von Richmond, Gayle McLaughlin.


    Internationale Kommission für das Besuchsrecht der Familien, 14. Februar 2008

    An
    die Außenministerin
    Frau Dr. Condoleezza Rice

    den Generalstaatsanwalt
    Herrn Michael B. Mukasey

    den Minister für innere Sicherheit
    Herrn Michael Chertoff

    Nachrichtlich:
    UN-Menschenrechtsrat
    Berichterstatter gegen Folter
    UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Freiheitsentziehungen
    Amnesty international
    Ombudsman

    Sehr geehrte Damen und Herren ,
    wir, die Unterzeichnenden, wenden uns an das Außenministerium und das Justizministerium der Vereinigten Staaten von Amerika mit der Bitte, umge­hend den kubanischen Staatsangehörigen Olga Salanueva und Adriana Pérez -  Ehefrauen des Gefangenen René González beziehungsweise des Gefangenen Gerardo Hernández-  denen es ohne irgendeine rechtliche Grundlage seit 8 bzw. 9 Jahren unmöglich gemacht wird, ihre Ehemänner im Gefängnis zu besuchen, Visa zu erteilen.
    Wir wissen, daß sie schon achtmal Visaanträge gestellt haben. Jedes Mal hat das Außenministerium mit unterschiedlichen Begründungen und  ohne Angabe irgendeiner Rechtsgrundlage, die die Willkürlichkeit dieser Maßnahme hätte stüt­zen können, die Anträge abgelehnt.
    Amnesty international hat dies seit 2003 verschiedentlich gerügt und ausgeführt:
    „Artikel 10 Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPZPR), den die USA ratifiziert haben, bestimmt: „Jeder, dem seine Frei­heit entzogen ist, muß menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen inne­wohnenden Würde behandelt werden“.
    In den allgemeinen Erläuterungen des UN-Menschenrechtskomitees zu diesem Artikel heißt es in Nummer 4, daß es eine fundamentale und universell geltende Regel ist, alle Personen, denen ihre Freiheit entzogen worden ist, menschlich und ihre Würde achtend zu behandeln ..... Diese Regel ist anzuwenden ohne irgendeinen Un­terschied insbesondere bezüglich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Spra­che, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status.“
    Am 17. Januar 2007 hat amnesty international erneut die Verletzung des Rechts dieser Gefangenen, Besuch von ihren Ehefrauen zu erhalten, gerügt, und zwar als unnötige (weitere) Bestrafung.
    Wir erinnern daran, daß am 27. Mai 2005 die UN-Arbeitsgruppe zu willkürlichen Freiheitsentziehungen eine Stellungnahme veröffentlicht hat, in der sie die Inhaftierung dieser Personen als”unrechtmäßig und willkürlich“ be­zeichnete und die nordamerikanische Regierung aufforderte, diese Situation zu beenden, wobei sie auf die von dieser begangenen Rechtsverstöße  und das Fehlen von Rechtsgarantien für ein gerechtes und unparteiisches Gerichtsver­fahren hinwies. Unter anderem erklärte sie: „dies ist ein Verstoß gegen Ar­tikel 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte“.
    Am 9. August desselben Jahres haben sodann drei Richter des Gerichts in Atlanta für den 11. Gerichtsbezirk die Verurteilungen aufgehoben und ein neues Verfah­ren angeordnet.
    Zur Zeit befindet sich der international unter der Bezeichnung der Fall der „Cu­ban Five“ bekannte Fall im Stadium der Appellation. (vergleichbar Berufung)
    Zwei Gefangenen das Recht zu verweigern, von ihren Ehefrauen besucht zu wer­den, hat sich inzwischen zu einer anderen Form der Grausamkeit und der Folter entwickelt.
    Wir fordern Sie auf, dieser Situation ein Ende zu bereiten und unverzüglich OLGA SALANUEVA UND ADRIANA PÉREZ HUMANITÄRE VISA zu erteilen.

  • · Berichte

    Zerrbilder

    Kubas Revolution weiß sich zu verteidigen. Plastik vor einer Kas
    Kubas Revolution weiß sich zu verteidigen. Plastik vor einer Kaserne in Havanna

    Solidarität vom jW-Team aus Havanna mit Christel Wegner

    Mit Entsetzen haben wir von der Buchmesse in Havanna aus die Diskussion über Christel Wegner in Deutschland verfolgt. Hier, in der kubanischen Hauptstadt, können wir sehr gut die Zerrbilder der bürgerlichen Presse von allem, was auch nur nach Sozialismus riecht, überprüfen. Wir mußten uns wieder einmal davon überzeugen, daß so ziemlich alles falsch ist, was Spiegel-Online, Panorama, Die Welt oder die mehr oder weniger staatlich gesteuerten Nachrichtenagenturen über Kuba berichten. Letztes Beispiel: Die Kampagne wegen des Streitgesprächs zwischen einem kubanischen Studenten und dem Parlamentspräsidenten Ricardo Alarcón, über das die jW berichtete.

    Christel Wegner hat die Kühnheit besessen, zu sagen, daß zwei mal zwei gleich vier ist. Nicht mehr und nicht weniger. Auch die Kubaner haben die Erfahrung gemacht, daß ein sozialistischer Staat nicht darauf verzichten darf, diejenigen unter Kontrolle zu halten, die sich von der CIA bezahlen lassen oder die im Auftrag der enteigneten Zuckerbarone, Mafiabosse und Batista-Mörder handeln.

    Jedem bürgerlichen Staat, der seine eigene Verfassung ernst nimmt, stünde es ebenfalls gut an, rechtsextreme Umtriebe mit allen Mitteln zu unterbinden. Offenbar will man genau das vermeiden – deshalb die Aufregung über Christel Wegner.

    Ebenso entsetzt sind wir über jene als Angehörige der Linkspartei getarnten Sozialdemokraten, die offensichtlich nur darauf warten, über jedes Stöckchen zu springen, das ihnen die Bourgeoisie vorhält. Menschlicher Anstand hätte erfordert, daß sie sich erst einmal darüber sachkundig machten, was Christel Wegner wirklich gesagt hat. Und daß Gregor Gysi ihr unterstellt, sie – und nicht etwa Panorama - sei vom Verfassungsschutz gesteuert, ist nicht mehr als eine bodenlose und opportunistische Frechheit.

    Rainer Schulze, Peter Wolter, Oliver Desoi, Harald Neuber, Peter Steiniger, Mónica Corbano

  • · Berichte

    Soldat im Kampf um Ideen

    Bild 1

    »Ich strebe weder das Amt des Staatsratsvorsitzenden noch das Amt des Oberkommandierenden der Streitkräfte an.« Eine Botschaft des Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz
    * Die Tageszeitung Granma, Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 19. Februar 2008 auf Seite eins eine Erklärung Fidel Castros. Renate Fausten und Ekkehard Sieker (hintergrund.de) besorgten eine Übersetzung ins Deutsche.

    Liebe Landsleute,

    am letzten Freitag, den 15. Februar, habe ich versprochen, daß ich mich in meiner nächsten Reflektion mit einem Thema befassen werde, das für viele meiner Landsleute von Interesse ist. Auf diese Weise hat sie jetzt eher die Form einer Botschaft angenommen.

    Der Augenblick ist gekommen, den Staatsrat, dessen Präsidenten, dessen Vizepräsidenten und den Sekretär zu nominieren und zu wählen.

    Für viele Jahre habe ich die ehrenvolle Position des Präsidenten eingenommen. Am 15. Februar 1976 wurde die sozialistische Verfassung in einer freien, direkten und geheimen Abstimmung von mehr als 95 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung angenommen. Die erste Nationalversammlung wurde am 2. Dezember desselben Jahres eröffnet. Durch sie wurden der Staatsrat und die Präsidentschaft gewählt. Zuvor hatte ich für fast 18 Jahre das Amt des Premierministers innegehabt. Ich habe immer die notwendige Berechtigung besessen, die Arbeit an der Revolution mit Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung voranzubringen.

    Viele Menschen im Ausland haben gedacht, daß angesichts meines kritischen Gesundheitszustandes meine am 31.Juli 2006 vorgenommene vorläufige Niederlegung des Amtes des Staatsratspräsidenten endgültig sei; es ist das Amt, das ich dem ersten Vizepräsidenten Raúl Castro Ruz übergeben habe. Aber Raúl, der wegen seiner eigenen persönlichen Verdienste auch Verteidigungsminister ist, sowie die anderen Genossen aus der Partei- und Staatsführung waren nicht gewillt, mich – trotz meines instabilen Gesundheitszustandes – als jemanden zu betrachten, der aus dem öffentlichen Leben verschwunden ist.

    Das war für mich eine unbequeme Situation angesichts eines Gegners, der bisher alles Mögliche unternommen hat, um mich loszuwerden, und so willigte ich nur zögernd ein.

    Später, während der Zeit meines notwendig gewordenen Rückzugs, konnte ich meine vollständige Verstandeskraft zurückerlangen, und ich war wieder in der Lage, vieles zu lesen und über vieles nachzudenken. Ich verfügte auch wieder über ausreichende physische Kräfte, um viele Stunden lang zu schreiben, eine Tätigkeit, die ich mir mit den entsprechenden Rehabilitations- und Genesungsmaßnahmen teilte. Der grundlegende gesunde Menschenverstand hat mir gezeigt, daß eine solche Tätigkeit wieder innerhalb meiner Möglichkeiten liegt. Auf der anderen Seite gab ich bezüglich meines Gesundheitszustandes außergewöhnlich sorgfältig darauf acht, anwachsende Erwartungen zu vermeiden, da ich der Ansicht war, daß ein ungünstiges Ende mitten in der Schlacht zu traumatisierenden Nachrichten für unser Volk führen würde. Deshalb ist es meine erste Pflicht gewesen, unser Volk nach so vielen Jahren des Kampfes auf beiden Ebenen – der politischen und der psychologischen – auf meine Abwesenheit vorzubereiten. Deshalb habe ich auch wiederholt betont, daß meine Genesung »nicht ohne Risiken verlief«.

    Mein Wunsch ist es immer gewesen, meinen Pflichten bis zu meinem letzten Atemzug nachzukommen. Das ist alles, was ich Euch anbieten kann.

    Euch – meinen hochverehrten Landsleuten –, die Ihr mir jüngst die Ehre erwiesen und mich als Abgeordneten in die Nationalversammlung gewählt habt, in der viele äußerst wichtige Beschlüsse über das Schicksal unserer Revolution getroffen werden müssen, Euch möchte ich sagen, daß ich weder das Amt des Staatsratsvorsitzenden noch das Amt des Oberkommandierenden der Streitkräfte anstrebe noch annehmen werde – ich wiederhole: ich strebe diese Ämter nicht mehr an und werde sie auch nicht mehr übernehmen.

    In kurzen Briefen, gerichtet an Randy Alonso, den Leiter der Sendung »Mesa Redonda« des Nationalen Fernsehprogramms – Briefen, die auf meine Bitte hin veröffentlicht wurden –, habe ich bereits Grundbestandteile der heute von mir verfaßten Mitteilung angeführt, selbst wenn Empfänger dieser Briefe meine Absicht nicht erkannten. Ich habe dabei Randy vertraut, den ich seit der Zeit, als er Student der Journalistik war, sehr gut kenne. In jener Zeit traf ich in einem beinahe wöchentlichen Rhythmus mit wichtigen Vertretern der Universitätsstudenten aus den Provinzen in der Bibliothek des großen Gebäudes in Kohly zusammen, dem Ort, an dem sie lebten. Heute ist das ganze Land eine riesige Universität.

    Es folgt nun ein ausgewählter Abschnitt aus dem Brief, den ich am 17. Dezember 2007 an Randy geschickt habe.

    »Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die Antworten der kubanischen Gesellschaft auf die aktuellen Probleme, vor denen die kubanische Gesellschaft steht, eine größere Bandbreite von Handlungsmöglichkeiten erfordern, als es Züge beim Schachspiel gibt; handelt es sich doch um eine Gesellschaft, deren Mitglieder im Durchschnitt eine fast zwölfjährige Schulbildung besitzen, einer Gesellschaft mit fast einer Million Menschen, die über einen Universitätsabschluß verfügen, und der realen Möglichkeit der Bildung für alle ihre Bürgerinnen und Bürger – ohne jegliche Diskriminierung. Wir dürfen nicht ein einziges Detail übersehen; auch wird der Weg nicht einfach sein, wenn in einer revolutionären Gesellschaft die Intelligenz des Menschen über seine Instinkte die Oberhand gewinnen soll.«

    »Es ist nicht meine grundlegende Pflicht, an meinen Ämtern festzuhalten und noch weniger jüngeren Menschen im Wege zu stehen, sondern meine Erfahrungen und meine Ideen beizusteuern, deren bescheidener Wert einer außergewöhnlichen Ära entstammt, in der ich das Privileg hatte zu leben.«

    »Wie Niemeyer* glaube ich daran, daß man bis zum Ende konsequent sein muß.«

    Ein Zitat aus dem Brief vom 8. Ja­nuar 2008: »... Ich bin ein entschiedener Befürworter der ›einheitlichen Stimmabgabe‹ (ein Prinzip, das nicht erkannte Verdienste schützt). Diese Form des Wählens hat es uns erlaubt, der Tendenz zu widerstehen, Dinge zu kopieren, die aus den Ländern des ehemaligen sozialistischen Lagers stammen; dazu gehört etwa, das Porträt eines einzigen Kandidaten zu zeigen, der so einsam und gleichzeitig so solidarisch mit Kuba ist. Ich habe großen Respekt vor jenem ersten Versuch, den Sozialismus aufzubauen, dem wir es zu verdanken haben, daß wir in der Lage gewesen sind, den von uns eingeschlagenen Weg weiterzugehen.«

    Und ich habe in jenem Brief auch noch einmal betont: »Ich bin mir bewußt darüber, daß der ganze Ruhm dieser Welt in ein Maiskorn paßt.«

    Ich würde also Verrat an meinem eigenen Gewissen begehen, wenn ich eine Verantwortung übernehmen würde, die Mobilität und völlige Hingabe verlangt, ich aber physisch nicht in der Lage bin, diese zu bieten. Das sage ich ohne Dramatik.

    Glücklicherweise kann unser revolutionärer Prozeß noch auf Kader der alten Garde zurückgreifen und auf andere, die während der frühen Etappe der Revolution noch sehr jung waren. Einige von ihnen waren enorm jung, fast noch Kinder, als sie sich dem Kampf in den Bergen anschlossen; und später trugen sie dann mit ihrem Heldenmut und ihren internationalistischen Einsätzen zum Ruhm des Landes bei. Sie besitzen die Autorität und die Erfahrung, um die Ablösung zu gewährleisten. Es gibt auch noch eine Übergangsgeneration, die zusammen mit uns gemeinsam die Grundlagen der komplexen und nahezu unerreichbaren Kunst gelernt hat, eine Revolution zu organisieren und zu leiten.

    Der Weg wird immer schwierig sein und intelligente Anstrengungen aller erfordern. Ich mißtraue den scheinbar leichten Pfaden der weltanschaulichen Apologetik oder der weltanschaulichen Selbstgeißelung als deren Gegensatz. Man muß immer auf die schlimmste aller Varianten vorbereitet sein. Ebenso besonnen mit Erfolg umzugehen, wie standhaft bei Widrigkeiten zu sein, das ist ein Prinzip, was nie vergessen werden darf. Der Gegner, den es zu bezwingen gilt, ist äußerst stark, aber wir haben ihn ein halbes Jahrhundert lang in die Schranken verwiesen.

    Ich verabschiede mich also nicht von Euch. Mein einziger Wunsch ist es, ein Soldat im Kampf um Ideen zu sein. Ich werde weiterhin unter dem Titel »Reflektionen des Genossen Fidel« schreiben. Das wird lediglich eine weitere Waffe in unserem Arsenal sein, auf die man zurückgreifen kann. Vielleicht erhört man meine Stimme. Ich werde umsichtig sein.

    Danke


    Fidel Castro Ruz
    am 18. Februar 2008, um 17.30 Uhr


    * Oscar Niemeyer, brasilianischer Architekt , geboren 1907 in Rio de Janeiro
  • · Berichte

    Keine Aufregung in Havanna

    Peter Wolter
    dienstag 19 008.jpg
    Wie gehts weiter? Diskussionen, aber keine Aufregung in Havanna

    Die meisten Kubaner hatten wohl damit gerechnet, daß sich Fidel Castro zurückzieht
    Die meisten Kubaner hatten wohl schon damit gerechnet: Der gesundheitlich stark angeschlagene Revolutionsführer Fidel Castro kandidiert nicht mehr für die Ämter des Staatspräsidenten und des Oberbefehlshabers. Wen die Nationalversammlung am Sonntag zu seinem Nachfolger wählen wird, ist zwar noch unklar – aber auch das scheint auf Kuba kaum jemanden aufzuregen.

    Der Parque Central in der Nähe des Kapitols bot am Dienstag Morgen das übliche Bild: Dutzende Kubanerinnen und Kubaner saßen auf den Bänken, einige spielten Schach, andere hielten ein Schwätzchen. Fast jeder dritte hatte die Parteizeitung Granma vor sich. Lapidare Schlagzeile: »Mensaje del Comandante en Jefe« (Mitteilung des Oberbefehlshabers). Erst in der Mitte der zweiten Spalte findet sich die Nachricht des Tages: »... teile ich Ihnen mit, daß ich das Amt des Präsidenten des Staatsrates und das des Oberbefehlshabers weder anstreben noch annehmen werde – ich wiederhole: weder anstreben noch annehmen.«

    »Das konnte man sich doch ausrechnen«, kommentierte ein etwa 50jähriger Lehrer. »Das heißt aber nicht, daß Fidel zurücktritt. Für uns wird er immer die Nummer eins bleiben, solange er lebt.« Daß es wesentliche Veränderungen geben wird, erwartet er jedoch nicht. »Wir haben doch eine stabile Spitze, die in den anderthalb Jahren seit der Erkrankung Fidels den Staat genau so geführt hat, als wäre der Comandante immer noch am Ruder.«

    Auf der »feria del libro« der Buchmesse in der alten spanischen Festung vor der Stadt, zeigt sich ein ähnliches Stimmungsbild. Das, was eigentlich die Nachricht des Tages wäre, löst kaum Diskussionen aus – man hatte schließlich damit gerechnet. Auf die Frage, was sich denn mit Castros Rücktritt ändern könnte, reagieren einige Gesprächspartner mit verständnislosen Blicken, andere zucken ratlos mit der Schulter. »Was soll sich denn ändern?« entgegnet einer. »Der Staat ist stabil – auch wenn wir immer noch eine Menge Probleme haben. Allerdings hoffe ich schon, daß sich einiges verbessert, wenn jüngere Leute das Sagen haben.«

    Einer der jungen Studenten, die als Helfer zur Buchmesse abgeordnet wurden, wird konkreter. »Fidels Bruder Raul Castro wird das Heft wohl in der Hand behalten. Ich hoffe jedenfalls, daß sich gerade für uns Studenten einiges ändert. Wir haben alle eine erstklassige Ausbildung bekommen – und die wollen wir nach unserem Abschluß auch einsetzen. Leider passiert es immer noch, daß sich so mancher nach der Universität erst einmal Arbeit als Taxifahrer oder Kellner suchen muß. Das muß dringend geändert werden – wir brauchen qualifizierte Arbeitsplätze, auf denen wir unsere Fähigkeiten auch nutzen können und die entsprechend bezahlt werden.«

    »Fidel wird ja nicht aus dem politischen Leben verschwinden«, sagte ein anderer. »Immerhin hat er angekündigt, daß er regelmäßig in der Granma seine >Reflexiones del companero Fidel< veröffentlichen wird.«

  • · Berichte

    Kein Abschied

    Harald Neuber
    serveImage.php.jpg

    Kurz vor Wahl des Staatsrates: Kubas Präsident Fidel Castro kandidiert nicht mehr für Staatsämter, bleibt aber »Soldat der Ideen«. Führungswechsel in Havanna erwartet

    Nach fast einem halben Jahrhundert an der Spitze Kubas hat Staatschef Fidel Castro in Havanna seinen Rücktritt angekündigt. In einem in der Tageszeitung Granma am Dienstag veröffentlichten Brief erklärte er, er werde sich nicht mehr zur Wiederwahl stellen. »Ich werde die Ämter des Präsidenten und des Oberbefehlshabers weder anstreben noch annehmen.« Die »Nachricht des Comandante en Jefe« nahm die gesamte Titelseite des Zentralorgans der Kommunistischen Partei Kubas ein. Zwei Jahre, nachdem Castro die Regierungsgeschäfte an seinen jüngeren Bruder und Vizepräsidenten Raúl Castro abgegeben hat, schafft der 81jährige damit Klarheit: »Es wäre ein Betrug an meinem Gewissen, wenn ich eine Verantwortung übernehmen würde, die mir eine Mobilität und Aufopferung abverlangt, zu der ich physisch nicht mehr in der Lage bin«. Fidel Castro war 49 Jahre an der Regierung Kubas: nach der Revolution 18 Jahre als Ministerpräsident, nach einer Verfassungsreform 1976 als Präsident der Republik.

    Die Erklärung kommt wenige Tage vor der Wahl des neuen Staatsrates. Am Sonntag werden die 614 Abgeordneten der Nationalversammlung aus ihren Reihen 31 Mitglieder des Regierungsgremiums bestimmen. Seit der Verabschiedung der sozialistischen Verfassung am 15. Februar 1976 stand Fidel Castro selbst dem Staatsrat vor und war damit zugleich Präsident der Republik. Aus Regierungskreisen war schon am Wochenende zu erfahren, daß es in der Führungsriege »weitreichende personelle Veränderungen« geben wird.

    Erstmals schreibt Fidel Castro in der Granma über die Schwere seiner Erkrankung. Er habe einige Zeit gebraucht, »um die volle Geistesleistung und die Kraft zum Lesen« wiederzuerlangen. Eine seiner größten Sorgen sei es in dieser Zeit gewesen, seinen Rückzug einzuleiten. »Nach so vielen Jahren des Kampfes war es meine Aufgabe, die Bevölkerung psychisch und politisch auf meine Abwesenheit vorzubereiten«, schreibt Fidel Castro in dem Beitrag, der auf Montag nachmittag datiert ist. »Ich verabschiede mich aber nicht von euch. Ich möchte weiter als ein Soldat der Ideen kämpfen«, heißt es am Ende der Mitteilung. Er werde auch künftig seine als »Reflexionen« bekannten Aufsätze veröffentlichen: »Sie werden eine Waffe mehr im Arsenal sein«. Der Brief endet mit einem einfachen »Danke«.

    Der US-amerikanische Präsident George W. Bush bezeichnete Fidel Castros Rücktritt als »Abschnitt des Übergangs, der ein demokratischer Übergang für das kubanische Volk sein sollte«. Der US-Nachrichtensender CNN berichtete am Morgen über die »Top-News« live aus Miami, der Hochburg des antikubanischen Exils in den USA. »Es ist nun an der Zeit«, erklärte die Reporterin, »daß sich die Menschen in Kuba erheben und für einen demokratischen Wandel kämpfen.« Der Text hätte so auch aus der PR-Abteilung des Weißen Hauses stammen können.

    Das Londoner Zentralbüro der Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte von der künftigen kubanischen Regierung »Reformen« ein, »die den Schutz der Menschenrechte garantieren«. Ein Sprecher des EU-Entwicklungskommissars Louis Michel betonte das Ziel Brüssels, in Kuba einen »friedlichen Übergang« zu erreichen, »der zu einer pluralistischen Demokratie« führe. Das chinesische Außenamt hingegen würdigte Fidel Castro als »revolutionären Führer« und »alten Freund«.

  • · Berichte

    Bitte daran arbeiten

    Harald Neuber
    serveImage.php.jpg
    Globalisierung heißt Terror: das US-Lager Guantánamo auf Kuba

    Kapitalistische Restauration ist alles: Wie sich die Friedrich-Ebert-Stiftung auf der Buchmesse in Havanna aufführt
    Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Kuba haben ihren Tiefpunkt überwunden. Nachdem Brüssel – damals noch auf Drängen des spanischen Postfaschisten José María Aznar – Anfang 2003 Sanktionen gegen den Karibikstaat verhängt hatte, sind die Kontakte inzwischen wieder weitgehend hergestellt. Das merkt man auch auf der Internationalen Buchmesse in Havanna. Erstmals seit vier Jahren sind hier wieder die Messe- und Ausstellungs GmbH des Börsenvereins des deutsches Buchhandels, die die Frankfurter Buchmesse veranstaltet, und das Auswärtige Amt neuerlich vertreten. Die Rückkehr der EU läßt neue Spannungen mit der kubanischen Regierung erwarten. Einen Vorgeschmack gab eine Veranstaltung am Sonntag auf der Messe. Die internationale Zeitschrift der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Nueva Sociedad (Neue Gesellschaft) hatten zur Debatte über »Soziale Gleichheit in Lateinamerika in Zeiten der Globalisierung« eingeladen.


    Globalisierung, so hieß es auf dem Podium unisono, sei nicht schlecht, sie müsse nur richtig umgesetzt werden. Der Wirtschaftswissenschaftler Luiz Carlos Bresser-Pereira, der früher als Planungsminister im Kabinett des brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso tätig war, vertrat die Ansicht: »Die Ablehnung der Globalisierung durch die Linke ist widersinnig, weil dieser Prozeß nicht umkehrbar ist«. Es ginge vielmehr darum, die Vorteile der Globalisierung zu nutzen. Ähnlich äußerte sich der ehemalige chilenische Minister und amtierende Botschafter seines Landes in Argentinien, Luis Maira. Die Concertación – eine Art dauerhafte große Koalition, die Chile seit 1990 beherrscht – habe die Armut erfolgreich bekämpft. So habe sie unter Salvador Allende Anfang der siebziger Jahre bei 17 Prozent gelegen, bei Pinochets Abtritt 1990 jedoch 42 Prozent betragen. »Heute verzeichnen wir 13,2 Prozent«, betonte Maira. Doch »die soziale Ungleichheit ist so groß wie nach Ende der Diktatur«, gestand er. Daran müsse man »arbeiten«. Gegen Maira wird übrigens in Buenos Aires wegen Autoschmuggels in großen Stil ermittelt.

    Die Quintessenz sozialdemokratischer Realpolitik formulierte auf der Messeveranstaltung der Brasilianer Bresser-Pereira. Kubas »große Ungleichheit« sei nur durch eine »Eingliederung in das internationale Wettbewerbssystem« zu lösen. Die US-Blockade und Washingtons Forderung nach einem Systemwechsel fand mit keinem Wort Erwähnung.

    Für Kuba fordern die Sozialdemokraten die kapitalistische Restauration. Andere Kräfte des bundesrepublikanischen Establishments agieren moderater, zum Beispiel die CSU-nahe Hans-Seidel-Stiftung. Das war auch Ende November deutlich geworden, als das kubanische Zentrum für Europäische Studien (CEE) zu einer Konferenz in Havanna geladen hatte, um hinter verschlossenen Türen Klartext zu reden. Nach teils heftigen Wortgefechten mit anwesenden EU-Kritikern monierten die Vertreter der SPD-nahen Stiftung vor allem die pragmatischere Linie der Hans-Seidel-Stiftung. Die Konferenz bezeichneten sie als »von vorne bis hinten gesteuert«, berichtete ein Teilnehmer. Die FES-Vertreter glaubten anschließend, sie könnten anders als die Kollegen von der Seidel-Stiftung »erhobenen Hauptes« zurückkehren, weil man die »Lügen der Kubaner« nicht mitgetragen habe.

    Ungeachtet solcher ideologischer Differenzen hat sich in der EU gegenüber Kuba eine handlungsbezogene Linie durchgesetzt. Ende vergangenen Jahres hatte eine Delegation unter Leitung des Karibik-Verantwortlichen der EU-Kommission, John Caloghirou, erstmals seit 2003 direkte Gespräche mit kubanischen Regierungsvertretern geführt. Nun soll der EU-Entwicklungskommissar Louis Michel den Dialog fortführen.
  • · Tagebuch

    Revolution auf dem Tanzboden

    Peter Steiniger

    Havanna ohne Musik und Tanz ist nicht denkbar.
    Nach einem langen, durch Hitze und Lärm schlauchenden Tag am jW-Stand auf der Buchmesse brauchen wir Auslauf. Im Altstadtviertel Vieja, am Bulevar Obispo, einer historischen, touristisch geprägten Einkaufsgasse, gibt es an einer Ecke noch eine kleine Kiezkneipe. An der Wand hängt eine recht eindrucksvolle Urkunde mit dem Konterfei von Che Guevara. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich um die Schanklizenz. "Für den Hut" musiziert hier ein Trio: Kontrabass, eine dreisaitige Gitarre und Gesang. Die voluminöse Sängerin reißt mit Stimme, Ausstrahlung und Temperament mit.
    Anschließend ist Salsa angesagt. Im Lluvia de Oro ("Goldregen"), einer legendären Tanzbar nur wenige Schritte weiter, spielt eine geradezu explosive Combo auf. Jeder Ton, jede Bewegung ist Lebensgefühl, die Musik bezieht den ganzen Körper ein. Model-Figuren werden auf der Tanzfläche kaum vorgeführt, zählen tun Hingabe und Rhythmusgefühl. Im ganzen Lokal herrscht eine lärmende Ausgelassenheit, wird mitgesungen. Kubanische Sinnlichkeit ist der genaue Gegensatz von deutschem "Frohsinn". Alle und alles ist in Bewegung. Die Fremden fallen tänzerisch etwas ab, bleiben abwärts der Hüfte steif.
    Unter den Tanzenden sind auch viele Schwarze, vor allem Frauen, Nachfahren der Sklaven, die in den Minen, in den Zuckermühlen und auf den Plantagen ausgebeutet wurden. Großformatige Fotografien an den Wänden zeigen das Lokal in viel früheren Tagen: voller hellhäutiger Männer. Vor der Revolution haben Schwarze hier nicht getanzt, sondern den Boden gewischt.