Hinterhofpolitik reloaded
Von Volker Hermsdorf
Das Jahr 2025 markiert eine historische Zäsur für Lateinamerika. Mit der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus wurde die 2014 von der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) zur Friedenszone erklärte Region innerhalb weniger Monate wieder zum Schauplatz geopolitischer Machtkämpfe. Trumps offen verkündete Rückeroberung des »US-Hinterhofs« markiert den Übergang von verdeckter Einflussnahme zu direkter Intervention. Ressourcen, Handelsrouten und der Machtkampf mit China stehen im Fokus der neu aufgelegten Monroe-Doktrin, die Washington selbst als »Trump-Korollar« bezeichnet und mit der die USA ihren Anspruch unmissverständlich geltend machen.
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit drohte der US-Präsident mit der Rückeroberung des Panamakanals, setzte den rechten Staatschef José Raúl Mulino unter Druck, Chinas Prestigeprojekt »Neue Seidenstraße« zu verlassen, und orchestrierte die Übergabe von zwei Kanalhäfen vom Hongkonger Eigentümer an die US-Schattenbank Blackrock. Parallel verhängte er Zölle, verschärfte Sanktionen gegen Kuba, Venezuela und Nicaragua, drohte mit Einschränkungen von Rücküberweisungen – und griff offen in Wahlprozesse ein. In Ecuador, Bolivien, Honduras und Chile verhalfen Washingtons direkte Unterstützung, ökonomische Erpressung und teils heftige Wahlmanipulationen Kräften der extremen Rechten zum Sieg – mit weitreichenden Folgen für die gesamte Region.
In Ecuador erlaubte Präsident Daniel Noboa – gegen den Volkswillen – die Rückkehr der US-Luftwaffe auf den Stützpunkt Manta. In Bolivien beendete der Wahlsieg des Christdemokraten Rodrigo Paz Pereira die Ära der Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) und verschaffte dem US-Kapital erneut den Zugang zu Ressourcen und Märkten. In Honduras drohte Trump mit Entzug von Finanzhilfen und verhalf seinem Wunschkandidaten Nasry Asfura zum Sieg. Und in Chile steht mit dem Pinochet-Verehrer José Antonio Kast, dessen Wahl US-Außenminister Marco Rubio als Stärkung der »regionalen Sicherheit« lobte, die nächste faschistische Bedrohung in den Startlöchern. Anders als früher wurde der Rechtsruck von 2025 zunehmend von radikalisierten Kräften getragen. Diese neue Rechte beruft sich offen auf autoritäre, teils faschistische Traditionen, bewundert Diktaturen und setzt auf eine »harte Hand«.
Die Wahlniederlagen der Linken markieren mehr als bloße Regierungswechsel – sie offenbaren die tiefe Krise des progressiven Lagers. Trotz jahrelanger Machtbeteiligung blieben strukturelle Abhängigkeiten unangetastet: Eine auf Rohstoffexporte ausgerichtete Wirtschaftspolitik, soziale Ungleichheit, Korruption und Gewalt nahmen in einigen Ländern weiter zu. Analysten verweisen zudem auf interne Richtungsstreitigkeiten, die Fixierung auf Wahlen und das Versäumnis, gesellschaftliche Macht jenseits staatlicher Institutionen aufzubauen. »Keine einzige progressive Regierung hat die kapitalistische Pyramide auch nur angekratzt«, kritisiert der mexikanische Ökonom Carlos Aguirre Rojas. Die progressive Agenda habe sich vielfach in sozialer Milderung erschöpft, während eine strategische und ideologische Lähmung die Linke handlungsunfähig machte. Die rechte Opposition hingegen nutzt gezielt Sicherheitsdiskurse, schürt Angst und mobilisiert den in Teilen der religiösen Bevölkerung verankerten Antikommunismus.
Parallel zum Machtverlust der Linken trieben die USA ihre Hegemonialpolitik konsequent voran. Die im Dezember veröffentlichte neue Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) erklärt die westliche Hemisphäre zum exklusiven Einflussgebiet Washingtons und setzt auf die Verdrängung »nichthemisphärischer Wettbewerber« wie China. Das Dokument ist ein strategischer Masterplan zur Kontrolle von Handelsrouten, Häfen und kritischen Ressourcen – von Lithium bis zu seltenen Erden. Venezuela steht im Zentrum dieser Offensive. Sein Öl, seine Allianzen mit China, Russland und Iran sowie sein eigenständiges Entwicklungsmodell machen es zum »nichtfunktionalen Präzedenzfall«, der beseitigt werden soll. Die laufende maritime Blockade, offene Drohungen mit einer Invasion und der Ausbau von Militärpräsenz unterstreichen die Gefahr für Venezuela und die Region.
Die Vorzeichen deuten auf eine weitere Eskalation. Neben Venezuela gerät vor allem Kuba weiter unter Druck. Präsident Miguel Díaz-Canel sprach Ende 2025 von einer existentiellen Krise, verschärft durch eine kriminelle Blockade, Finanzsabotage und gezielte digitale Destabilisierungsversuche. Für 2026 kündigte Havanna einen harten Sparkurs an – bei gleichzeitiger Verteidigung sozialer Grundrechte. Kuba und Venezuela bilden – trotz Sanktionen der USA und der EU – die Vorhut im Widerstand gegen Washingtons Revanchepolitik. Zugleich werden in vier Ländern bevorstehende Wahlen zeigen, ob der Rechtstrend anhält. In Costa Rica und Peru liegen rechte Kandidaten laut Umfragen vorn, während der Ausgang in Kolumbien und Brasilien völlig offen ist. Besonders die Kandidatur Luiz Inácio Lula da Silvas in Brasilien könnte zur strategischen Nagelprobe werden.
Lateinamerika und die Karibik treten in ein Jahr ein, das von Polarisierung, externer Intervention und strategischer Unsicherheit geprägt sein wird. Die Wiederbelebung der Monroe-Doktrin hat die Spielräume weiter verengt. Ob das progressive Lager darauf Antworten findet und neue gesellschaftliche Kräfte mobilisieren kann oder weiter in der Defensive verharrt, wird darüber entscheiden, ob der rechte Durchmarsch 2026 fortdauert oder eine Neuformierung beginnt.
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