Wettlauf im Seehandel
Von Burkhard Ilschner
Die globale Containerschiffahrt kann 2025 als ein multiples Rekordjahr feiern – und zugleich mit 2026 einem Hochrisikojahr entgegenfiebern. Zu diesem Ergebnis kamen kurz vor Weihnachten mehrere Analysedienste.
Das in Hongkong ansässige Marktforschungsbüro Linerlytica erwartet, dass in diesem Jahr weltweit mehr als eine Milliarde TEU (Twenty-foot Equivalent Unit, Abkürzung für 20-Fuß-Standardcontainer) umgeschlagen worden sein könnten – es wäre in der knapp 60jährigen Geschichte dieses Transportmittels das erste Mal, dass Containerverkehre diese Marke »reißen«. Wie das Infoportal Hansa Linerlytica ergänzend zitiert, dürften knapp 40 Prozent dieser Boxenmenge auf Umschlag in chinesischen Häfen entfallen. Dortigen Exporteuren sei es gelungen, den Folgen des US-Protektionismus und der Handelskonflikte zwischen den USA und China zu trotzen: »Alternative Märkte« seien erschlossen worden, etwa nach Afrika oder im innerasiatischen Handel.
Linerlytica selbst nennt die weltweite Nachfrage nach Containerfracht bislang »widerstandsfähig« und erwartet für 2025 ein Gesamtjahreswachstum von 5,1 Prozent. Die Frachtraten haben zwar Turbulenzen vom Sommerhoch über das Herbsttief zum momentan sanften Anstieg hinter sich. Linerlytica ebenso wie das britische Beratungsunternehmen Clarksons halten dies aber für »vorläufig« und schließen »eine Abschwächung des Wachstums« für 2026 nicht aus.
Drohende Überkapazitäten
Ein Grund dafür ist laut Linerlytica ein anderer Rekord mit ambivalenten Folgen: Die Reedereien, so zitiert das texanische Magazin Global Trade die Beobachter aus Hongkong, hätten allein im endenden Jahr 633 neue Containerschiffe mit einer Gesamtkapazität von 5,08 Millionen TEU in Auftrag gegeben und damit bisherige Höchstwerte übertroffen. Addiert man die in Arbeit befindlichen Aufträge hinzu, so ergibt sich, dass 2025 in die Branchengeschichte eingehen könnte mit einem »Orderbook«-Volumen von rund 11,6 Millionen TEU, was knapp 35 Prozent des aktiven Flottenbestands entspricht.
Während die Neubauaufträge etwa für Massengutfrachter (»Bulker«) sich im noch laufenden Jahr nahezu halbiert haben, setzten die Containerreedereien, so Linerlytica, »ihre unerbittliche Verfolgungsjagd nach Marktanteilen« fort – aber sie riskierten damit auch erhebliche potentielle Marktturbulenzen: Der aus diesem Auftragsvolumen zu erwartende Zuwachs an Transportkapazität übersteige »den routinemäßigen Bedarf an Flottenaustausch« durch parallelen Abbau von Altbeständen bei weitem. Wie berichtet, hatte man im Frühsommer anlässlich des Inkrafttretens der Hong Kong Convention (HKC) über das Abwracken ausgedienter Schiffe eine stärkere Verschrottung erwartet; aber noch Ende Oktober wurde eine viel zu geringe Recyclingaktivität in der Containerschiffahrt konstatiert.
Für die Schiffbauer weltweit könntn nicht nur HKC-konformes Abwracken, sondern vor allem der enorme Neubauboom die Zukunftsaussichten rosig färben – aber wieder verpassen viele diese Chancen. Laut Global Trade bleiben Chinas Werften, die schon bisher den Neubaumarkt zu mehr als 50 Prozent beherrschen, auch künftig dominierend: Mit 497 Aufträgen sind 79 Prozent der 2025 bestellten Containerschiffe (72 Prozent nach TEU-Kapazität) nach China vergeben worden, darunter jüngst auch etliche Aufträge von Hamburgs Hapag-Lloyd.
Konkurrenz aus Indien
Zwar haben im Wettlauf um weitere Neubau-Orders die schwachen Mitwettbewerber Südkorea und auch Japan leicht aufgeholt, aber weitere Konkurrenz wächst schon heran: Hansa berichtete zu Monatsbeginn, Indien wolle ebenfalls globaler Schiffahrtsplayer werden. Geplant sei nicht nur die Gründung einer eigenen Staatsreederei, man will auch Schiffbau- und Reparaturbetriebe unter anderem in den Hafenmetropolen Mumbai und Chennai errichten; ein eigenes milliardenschweres Förderpaket wurde im September bereits verabschiedet. Einerseits baut Indien dabei auf starke Unterstützung durch Russland, andererseits sucht es ungestört Kooperation im Marineschiffbau – etwa mit Kiels TKMS oder Südkoreas HD Hyundai.
Zurück zur Containerbranche: Da werden auf dem Subkontinent nicht nur Schiffe für Frankreichs CMA CGM gebaut, da ist bekanntlich auch Hapag-Lloyd mit seiner Terminaltochter HGT an fünf Standorten in Indien aktiv; und aktuell interessiert sich der Großkonzern DP World des Emirats Dubai zunehmend sowohl für Häfen als auch für weitere Logistikstrukturen der vielleicht kommenden maritimen Großmacht.
Aber bevor es soweit ist, wird sich die Containerschiffahrt zunächst verschärft mit sich selbst beschäftigen müssen: Die Beobachter von Linerlytica sehen die Branche mit ihren Rekordbestellungen bei unsicherer Nachfrage und steigender Konkurrenz vor der entscheidenden Herausforderung, ob das alles zusammen zu verkraften sei, ohne eine längere Phase niedriger Frachtraten auszulösen. Die hatten sich – laut dem britischen Drewry-Index – jüngst gerade von ihrem Oktobertief etwas erholt: Sinken sie in Kürze wegen Überkapazitäten erneut, wird das den Machtkampf der Oligopole – Stichwort »Verfolgungsjagd« – sicher vorantreiben.
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