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Aus: Ausgabe vom 21.07.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Weltwirtschaft

Neues Machtgefüge

Julizahlen der Weltbank: Westliche Staaten verlieren wirtschaftlich weiter an Boden
Von Klaus Fischer
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Die neuen Konkurrenten? Chefs der BRICS-Staaten am 7. Juli in Rio de Janeiro

Die Welt scheint aus den Fugen: Während die Supermacht USA und deren inzwischen offen zu Rivalen erklärten »westlichen« Verbündeten dabei sind, den globalen Handel per Zolldiktat zu einer feudalistischen Farce zu verdammen, die Stellvertreterkriege in der Ukraine und dem Nahen Osten nach Kräften weiter zu befeuern und die enorme Staatsverschuldung weiter zu vertiefen – gibt es Neuigkeiten: Auf dem für Machtpolitik entscheidendem Gebiet der Wirtschaft verliert der Westen weiter an Boden – was eine Hauptursache für die Versuche der US-Regierung ist, ihre globale Dominanz zu bewahren. Der aktuelle Julibericht der in Washington DC ansässigen Weltbank-Gruppe bestätigt diesen Trend.

Besonders deutlich wird das bei der Betrachtung der Wirtschaftsleistung (gemessen am Bruttoinlandsprodukt; BIP) der führenden Staaten unter Berücksichtigung der Preisniveauunterschiede (Kaufkraftparität, engl. purchasing power parity). So finden sich für das Jahr 2024 unter den Top ten jeweils fünf Staaten des globalen Westens und fünf des globalen Südens. Doch das bedeutet keine Parität. Denn während für die USA (Platz 2), Japan (4.), Deutschland (5.), Frankreich (9.) und Großbritannien (10.) ein BIP von rund 50.025 Milliarden US-Dollar (also rund 50 Billionen) ausgewiesen wird, bringen China (1.), Indien (3.) Russland (4.), Brasilien (7.) und Indonesien (8.) eine Wirtschaftsleistung von 70.697 Milliarden US-Dollar auf die Waage.

Eine Überraschung ist das allenfalls für Politiker der USA und der EU. Denn diese Verschiebung der Gewichte der globalen Wirtschaftskraft war bereits absehbar, bevor die USA und deren Verbündete ihren Wirtschaftskrieg gegen die Russische Föderation vom Zaun brachen. Inzwischen fällt es anscheinend selbst den US-Behörden schwer nachzuvollziehen, wie viele Sanktionen gegen Russland derzeit wirksam sind – die der EU und diverser westlicher Singularitäten wie der Kriegstreiber aus London kommen noch hinzu.

Apropos Wirksamkeit: Klar ist, dass Russland schwere Nachteile daraus erwachsen sind: Die Abwicklung des gesamten Außenhandels Moskaus wurde blockiert – u. a. weil trotz bester Absichten eine funktionierende Finanzinfrastruktur der BRICS-Staaten weiterhin nicht existiert. Hinzu kommt, dass sowohl die Russische Nationalbank, als auch Unternehmen und Oligarchen leichtfertig genug waren, hohe Milliardensummen in den USA, der EU oder in London zu bunkern – die jetzt eingefroren sind und möglicherweise bald ganz »rechtmäßig« gestohlen werden.

Zur wirtschaftlichen Schwäche des Westens tragen auch die permanente Finanzierung Kiews und die beschlossenen gigantischen Rüstungsausgaben (fünf Prozent des BIP) bei. Das – und der dafür zwangsläufige Sozialabbau – drohen NATO, EU und Großbritannien inzwischen an den Rand des finanziellen Ruins und der gesellschaftlichen Disruption zu führen. Während dessen improvisierte Russland, steigerte dabei das BIP, knüpfte neue Bindungen, suchte alternative Wege bei Handel und Geldverkehr und war erfolgreich genug, um 2024 nach Indien, China und Indonesien die höchste BIP-Wachstumsrate unter den führenden Wirtschaftsmächten zu erreichen.

Interessant ist auch, dass laut Weltbank Russland die bisherige Nummer drei Deutschland hinter sich lassen konnte. Auch Japan schob sich wieder vor die BRD. Dreieinhalb Jahre »Ampel«-Regierung, Wirtschaftskrieg gegen den einst wichtigsten Energielieferanten und eine Energiepolitik, die für viele Unternehmen die Konkurrenzfähigkeit zerstörte, haben den einstigen Exportweltmeister seit 2023 auf die Abwärtsspur geführt.

Auch in der Rangliste der nächstfolgenden Wirtschaftsmächte (Platz 11 bis 20) zeigten sich Veränderungen. Hier finden sich neben den fünf westlichen Staaten Italien (12.), Spanien (14.), Kanada (15.), Australien (19.) und Polen (20.) ebenfalls fünf eher nichtwestliche Staaten: Türkei (11.), Mexiko (13.), Südkorea (16.), Saudi-Arabien (17.) und Ägypten (18.). Auch hier fällt das Volumen der Wirtschaftsleistung der nichtwestlichen Staaten mit 14.556 Milliarden zu 12.846 Milliarden US-Dollar höher aus. Signifikant ist aber vor allem, dass mit China, Indien, Russland, Brasilien und Indonesien gleich fünf BRICS-Staaten die stärkste und dynamischste Gruppe der globalen Volkswirtschaft stellen. Eine Macht, die weiter nach politischer Bedeutung strebt und den Grundstock der angestrebten Multipolarität bildet.

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