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Aus: Ausgabe vom 22.12.2025, Seite 7 / Ausland
EU-Geflüchtetenabwehr

EuGH urteilt gegen Frontex

EU-Gericht stärkt die Rechte von Geflüchteten – tatsächliche Wirkung ungewiss
Von Yaro Allisat
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Protest gegen Pushbacks der EU-Grenzschutzbehörde in Athen (8.6.2022)

Frontex kann für Grundrechtsverletzungen bei Abschiebungen oder auch rechtswidrigen Pushbacks haftbar gemacht werden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) vergangene Woche in zwei verschiedenen Fällen entschieden. Ob das höchste EU-Gericht damit die Rechte Geflüchteter tatsächlich stärkt und die seit Jahren umstrittene EU-Grenzbehörde nun stärker in die Verantwortung gezogen wird, muss jedoch bezweifelt werden.

2016 hatte Frontex eine syrische Familie nur wenige Tage nach ihrer Ankunft in Griechenland im Rahmen einer gemeinsamen Rückführungsaktion von Athen und Frontex in die Türkei deportiert, noch bevor ihr Asylantrag entschieden wurde. Die EU hat mit der Türkei ein Abkommen, das ermöglicht, dass Geflüchtete auch aus Syrien vereinfacht abgeschoben werden können. Im Gegenzug erhält Ankara Geld aus Brüssel. Aus der Türkei drohen nachweislich Kettenabschiebungen nach Syrien. Menschen, die einen Asylantrag stellen, an der Grenze abzuweisen, verstößt gegen das sogenannte Nichtzurückweisungsgebot der Genfer Flüchtlingskonvention. Die soll verhindern, dass Schutzsuchende in lebensbedrohliche Situationen zurückgeschickt werden.

Beschwerden der Familie gegen Frontex blieben zunächst erfolglos. 2023 entschied das Gericht der Europäischen Union (EuG) negativ. Frontex entscheide nicht über die Asylverfahren, sei also nicht haftbar für Schadenersatzansprüche bei rechtswidrigen Abschiebungen. Das sah der EuGH nun anders. Laut der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache sei Frontex ausdrücklich verpflichtet, die Grundrechte der Betroffenen im Rahmen seiner Aktionen zu wahren. Frontex ist also nicht ausschließlich ausführende Instanz beziehungsweise technische oder operative Hilfe an der Seite der Mitgliedstaaten.

Auch in einem zweiten Fall stärkte der EuGH am selben Tag die Rechte Geflüchteter. Der syrische Staatsangehörige Alaa Hamoudi hatte ebenfalls auf Schadenersatz geklagt. Er sagt, Opfer eines Pushbacks, also einer illegalen Zurückweisung, gewesen zu sein. Anstatt ihm zu ermöglichen, ein Asylgesuch zu stellen, sei er gewaltsam über das Mittelmeer in die Türkei gebracht worden. Frontex-Flugzeuge hätten die Operation überflogen. Beweisen lässt sich das jedoch schwer. Der EuGH entschied nun, dass es für Betroffene von Pushbacks nahezu unmöglich ist, Beweise zu sichern. Deshalb reichten schon plausible und detaillierte Angaben des Vorfalls. Gerichte seien dann verpflichtet, Frontex selbst zur Offenlegung seiner Operationen anzuhalten.

Schon 2024 ergab eine interne Untersuchung bei der Grenzschutzagentur, dass erhebliche Menschenrechtsverletzungen bei ihren Operationen an der Tagesordnung sind. So kam ans Licht, dass Frontex in mindestens zwei Fällen Menschen in Seenot nicht geholfen hat, obwohl sich ihre Boote in unmittelbarer Nähe befanden. In einem zweiten Fall sollen die Frontex-Beamten Schlagstöcke gegen die Menschen in Seenot eingesetzt und das Boot fast zum Kentern gebracht haben. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass die Behörde auch an Pushbacks beteiligt war.

Frontex wurde 2004 zur Kontrolle der EU-Grenzen gegründet. Während die Agentur anfangs vor allem koordinierende Aufgaben wahrnahm, wurde ihr Mandat in den vergangenen Jahren stetig ausgeweitet. Unter anderem soll sie bis 2027 eine ständige Reserve von 10.000 Grenzbeamten aufbauen. Frontex selbst betont, ihre Rolle liege im Schutz der Grenzen und nicht in Such- und Rettungsaktionen. Von sechs Millionen Euro im Jahr 2005 wurde das Budget der Behörde auf rund 922 Millionen Euro im Jahr 2024 angehoben.

Dass diese Urteile große Auswirkungen haben werden, ist unwahrscheinlich. Die wenigsten Flüchtenden haben nach einem Pushback oder einer Abschiebung die Ressourcen und das Wissen, sich gegen die Maßnahme zu wehren. Auch ist nicht zu erwarten, dass insbesondere Staaten wie Griechenland, Malta, Italien und die Balkanstaaten, denen Frontex’ Machenschaften nicht unbekannt sein dürften, der Grenzschutzagentur auf die Finger schauen werden.

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