Union auf wirtschaftlicher Talfahrt
Von Jörg Kronauer
Das Jahr endet für die EU, wie es begonnen hat: mit einem Skandälchen um Korruption in den Führungsetagen der Union. Im Januar 2025 hatten Äußerungen der scheidenden EU-Bürgerbeauftragten Emily O’Reilly ein gewisses Aufsehen erregt, die man als resigniert oder auch einfach nur als realistisch bezeichnen konnte. O’Reilly hatte mit Blick auf Fälle wie Pfizergate, das wundersame Verschwinden womöglich belastender Textnachrichten von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, trocken erklärt, derlei »Intransparenz« sei an der Spitze der Brüsseler Behörde normal. Im Dezember nun wurde die einstige Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, kurzzeitig festgenommen. Gegen sie wurde ermittelt, weil der begründete Verdacht bestand, sie könne ihre Beziehungen in die Kommission genutzt haben, um dem von ihr geleiteten College of Europe in Brügge zu attraktiven EU-Zuschüssen zu verhelfen. Die Ermittlungen dauern an.
Korruptionsskandälchen wie diese wären kaum besonderer Erwähnung wert, beträfen sie nicht eine Institution, die sich wie kaum eine zweite als moralische Instanz über den Rest der Welt zu erheben sucht. Sie würden zudem in Erfolgsmeldungen untergehen, gelänge der EU-Kommission auch nur ein Teil dessen, was sie und vor allem ihre Präsidentin regelmäßig stolz prahlend ankündigen. Dies ist aber immer seltener der Fall. Im Jahr 2025 konnte man die reale Schwäche der EU exemplarisch dort wahrnehmen, wo es ganz besonders schmerzt: an der ökonomischen Basis. Im April etwa legte der Europäische Rechnungshof einen Bericht über den Stand der ehrgeizigen EU-Bestrebungen vor, ihren Anteil am Weltmarkt für Chips von zuletzt nicht einmal zehn Prozent bis 2030 auf 20 Prozent zu verdoppeln, um den Anschluss an die Weltspitze nicht endgültig zu verlieren. Mit viel Glück seien vielleicht 11,7 Prozent drin, urteilte das EU-Organ. Der deutsche Verband der Elektro- und Digitalindustrie hatte kurz zuvor 5,9 Prozent im Jahr 2045 prognostiziert.
Auch wenn es ökonomisch nicht gut aussieht: Die Attacken der Trump-Regierung haben die EU zum Versuch veranlasst, mit gesammelten Kräften gegenüber den USA und China aufzuholen. Am energischsten vollzieht Brüssel die Aufholjagd auf dem Feld der Rüstungsindustrie; doch auch andere, vor allem rüstungsnahe Branchen stehen im Fokus – so etwa die Raumfahrt. Die Europäische Weltraumorganisation ESA hat Ende November ihren Dreijahreshaushalt um 30 Prozent auf 22,1 Milliarden Euro aufgestockt. Ob das für die großen Pläne der EU ausreicht, mag man bezweifeln; die NASA wird sogar dann, wenn Washington ihren Haushalt wie geplant kürzt, rund 16 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung haben. Apropos ESA: Deutschland hat seine Beiträge auf gut 5,4 Milliarden Euro aufgestockt; Frankreich schafft lediglich 3,7 Milliarden Euro. Weil die Höhe der Beiträge die Höhe der Aufträge bestimmt, werden deutsche Unternehmen deutlich mehr profitieren als französische. Will heißen: Berlin schafft sich im All Vorteile gegenüber Paris.
Die inneren Machtkämpfe zwischen den Staaten der EU prägten die Union im vergangenen Jahr wohl mehr denn je. Das betrifft nicht nur die traditionelle deutsch-französische Rivalität, die aktuell besonders dadurch befeuert wird, dass Deutschland seinen Rüstungshaushalt auf das Zweieinhalbfache des französischen Budgets aufstocken und damit früher oder später militärisch an Frankreich vorbeiziehen wird. Dass es damit wohl die letzte Domäne knackt, in der Frankreich noch im Vorteil ist, wird in Paris mit großer Sorge diskutiert. Hinzu kamen 2025 immer weiter zunehmende Spannungen zwischen Ungarn und der EU, wobei sich die Slowakei in wachsendem Umfang auf die Seite Budapests zu schlagen begann und sich mit dem Amtsantritt des neuen Ministerpräsidenten Andrej Babiš auch Tschechien den zwei Staaten anschließen könnte. Auch sonst nahm der Zwist zwischen den Mitgliedstaaten weiter zu. Im März hieß es in der offiziösen deutschen Zeitschrift Internationale Politik, gehe es mit den Streitigkeiten so weiter, »dann zerreißt« es die EU womöglich noch in »einer Fülle« innerer Konflikte.
Nun, ganz so weit ist es wohl noch nicht. Allerdings kommen heftige Auseinandersetzungen noch in anderer Hinsicht hinzu: In zahlreichen Mitgliedstaaten und auch im EU-Parlament erstarkt die extreme Rechte. Am 13. November stimmte, um die Lieferkettenrichtlinie massiv aufzuweichen, die konservative EVP-Fraktion erstmals gemeinsam mit allen drei Fraktionen der extremen Rechten ab; die vielzitierte Brandmauer ist damit auch auf Ebene der EU Geschichte. Dabei hatten die Ultrarechten nicht einmal Zugeständnisse machen müssen; im Gegenteil: Sie zettelten 2025 zwei Misstrauensanträge gegen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, die diese allerdings – noch – glimpflich überstand. Bei der Legitimation der Misstrauensanträge spielte übrigens in der Debatte auch das Thema eine Rolle, das schon zu Jahresbeginn von O’Reilly erwähnt worden war: Pfizergate, die Korruption an der Spitze der EU.
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
Christophe Agostinis/MAXPPP/PhotoPQR/Le Dauphine/imago20.12.2025Deal für Agrareliten geplatzt
Amir Cohen/REUTERS30.12.2022Westsahara im Hintergrund
AP14.04.2010Dritter Staatsbankrott?
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Welche Hinweise auf Wahlbetrug gibt es?
vom 22.12.2025 -
Ohne Kommentar
vom 22.12.2025 -
Kurdische Journalisten im Fadenkreuz
vom 22.12.2025 -
Altes Format, neue Akzente
vom 22.12.2025 -
EuGH urteilt gegen Frontex
vom 22.12.2025