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Aus: Ausgabe vom 14.11.2025, Seite 2 / Inland
Debatte um syrische Geflüchtete

Warum sollte die BRD nicht nach Syrien abschieben?

Beim Besuch in Damaskus sah Außenminister Wadephul nicht den am stärksten zerstörten Teil des Landes, sagt Tareq Alaows
Interview: Kristian Stemmler
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Mit einer Äußerung bei seinem Besuch in Damaskus hat Bundesaußenminister Johann Wadephul eine Debatte über die Rückkehr syrischer Geflüchteter ausgelöst. Waren Sie überrascht, dass Wadephul seine Eindrücke so offen wiedergegeben hat?

Der Umstand, dass er so offen gesprochen hat, hat mich überrascht. Aber der Inhalt nicht: Er hat Syrien als ein Land beschrieben, in das man keine Menschen abschieben kann. Zudem muss man wissen: Der Minister war in Damaskus und hat nur die unmittelbare Umgebung der Hauptstadt gesehen. In den letzten 15 Jahren war Damaskus – trotz all der Zerstörungen – aber immer noch eines der ruhigsten Gebiete im Vergleich zu vielen anderen in Syrien. Wäre Wadephul in Homs oder Aleppo gewesen, wo die Russen bombardiert haben, wo komplette Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht worden sind, hätte er wohl noch ganz anders gesprochen.

US-Kampfjets flogen ebenfalls Angriffe dort. Am Boden hatten kurdische Einheiten gegen Dschihadisten gekämpft, die von der Türkei gefördert wurden. Die syrische Armee hatte sich zurückgezogen, ohne großen Widerstand zu leisten. Mittlerweile sind in ganz Syrien mehr als 16 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, wie Pro Asyl gemahnt hat.

Die Lage ist katastrophal. Ich war nach dem Sturz des Assad-Regimes bereits dreimal in Damaskus. Es gibt dort große Probleme mit der Energieversorgung und damit verbundenen Bereichen wie dem Gesundheitssystem. Die Menschen können auch aufgrund fehlender Energieversorgung nicht arbeiten und sich dann nicht selbst versorgen. Und ein Thema wird hierzulande überhaupt nicht angesprochen: Es fehlen Wohnungen. In den zerstörten Städten teilen sich vier, fünf Familien eine Wohnung. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn Deutschland jetzt beginnt, syrische Menschen im großen Stil abzuschieben.

Unionspolitiker behaupten, Geflüchteten drohe bei der Rückkehr nach Syrien keine Verfolgung mehr. Wie sehen Sie das?

Weder die Übergangsregierung unter Ahmed Al-Scharaa noch lokale Sicherheitskräfte sind in der Lage oder gewillt, Minderheiten und andere vulnerable Gruppen in dem Land zu schützen. Eine der Strategien des Assad-Regimes war die Verbreitung von Waffen, die auch jetzt noch im Umlauf sind. So ist im Prinzip niemand sicher. Selbst Angehörige der syrischen Mehrheitsgesellschaft erleiden Repressionen, wenn ihnen zum Beispiel »falsche Verhaltensweisen« wie angebliche »Gotteslästerung« vorgeworfen werden.

Was sagen Sie zu dem Argument, die Geflüchteten aus Syrien müssten zurück in die Heimat, um beim Wiederaufbau des Landes zu helfen?

Ich habe mit vielen Menschen aus Syrien gesprochen. Viele wollen freiwillig zurückgehen, wenn es dort Stabilität und Sicherheit gibt, damit man den Wiederaufbau beginnen kann. Man kann kein Land aufbauen, in dem die Lage jederzeit eskalieren kann, weil die Regierung zum Beispiel kein Interesse an Demokratiebildung und gutem gesellschaftlichem Zusammenleben hat. Deutschland könnte eine andere Rolle einnehmen, nämlich die Regierung in Syrien unter Druck setzen, damit es zu einem Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen kommt.

Statt dessen will die Bundesregierung ihre Abschiebeagenda durchsetzen.

Ja, Unionspolitiker wie Bundeskanzler Friedrich Merz und Fraktionschef Jens Spahn wollen die Realitäten in Syrien nicht sehen. Sie wollen Menschen zur Rückkehr in ein Land zwingen, das kein würdiges und sicheres Leben bieten kann. Man will Menschen abschieben – egal wen, egal wohin und egal um welchen Preis. Das ist eine realitätsferne Politik, die sich da gerade verfestigt und die Rechtsbrüche in Kauf nimmt. Die Regierung macht Deals mit den Taliban in Afghanistan und lädt für Syrien den Exterroristen Al-Scharaa ein. Der Mann war bis vor kurzem immer noch auf der Terrorliste der Vereinten Nationen.

Wie reagiert die syrische Community auf die Debatte?

Die Menschen aus Syrien sind sehr verängstigt, nicht nur die mit einem unsicheren Schutzstatus. Angesichts dieser Debatte und der Hetze gegen Geflüchtete sind auch syrische Fachkräfte sehr verunsichert, etwa die syrischen Ärzte, die mit dem Einwanderungsgesetz nach Deutschland gekommen sind. Wenn die sich irgendwann sagen, wir haben es satt und gehen woanders hin, dann würde unser Gesundheitssystem ins Wanken kommen.

Tareq Alaows ist flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl e. V.

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