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Aus: Ausgabe vom 04.11.2025, Seite 2 / Ansichten

»Dschihadi Julian« im Abschiebewahn

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Rettungsarbeiten nach Einsturz eines kriegsbeschädigten Gebäudes in Damaskus (1.11.2025)

Ausgerechnet Außenminister Johann Wadephul hat sich nach einem Besuch in Damaskus Ende letzter Woche gegen eine Rückkehr von Syrern aus Deutschland in das kriegsverwüstete Land zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Applaus erntete der CDU-Minister dafür vom Koalitionspartner SPD und den oppositionellen Grünen, heftige Schelte aus den eigenen Unionsreihen.

»Außenminister Wadephul: ein gefährlicher Irrläufer«, »Schnelle Abschiebungen abgesagt: CSU entsetzt über Wadephuls Syrien-Vorstoß«, »Zoff um Syrien-Abschiebungen eskaliert« … schießt Bild seit Tagen aus vollen Rohren.

»Abschiebungen nach Syrien sind richtig«, tönt Bild-Kriegsschlachtenbummler Julian Röpcke. Mit dem Sturz von Baschar Al-Assad »endete nicht nur der Bürgerkrieg im Land, sondern auch die systematische politische Verfolgung – also die beiden wichtigsten Gründe für Asyl, das Deutschland Hunderttausenden Syrern zu Recht gewährte«, behauptet »Dschihadi Julian«, wie der Weißwäscher von Al-Qaida und Co während des Syrien-Kriegs von Kritikern tituliert wurde, gleich doppelt die Unwahrheit. Zum einen erhielten die syrischen Kriegsflüchtlinge gerade kein Asyl, sondern nur befristete Aufenthaltstitel. Und zum anderen hat die Verfolgung unter der Präsidentschaft des früheren Al-Qaida-Mannes Ahmed Al-Scharaa keineswegs geendet, wie Massaker an Alawiten und Drusen zeigen.

Syrien stehe »auf des Messers Schneide, es gibt Spannungen, Gefechte zwischen Fraktionen und ethnischen Gruppen«, weiß so auch die Süddeutsche Zeitung. »Während Wadephul die Realität vor Ort endlich zur Kenntnis nimmt, fordert Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), der getrieben von AfD und der Stimmung im Land auf eine harte Migrationspolitik setzt, zuletzt in unverantwortlicher Weise Zwangsabschiebungen von Syrerinnen und Syrern aus Deutschland.« Niemand verdiene es, »in ein instabiles, unsicheres Land gedrängt zu werden, in dem der nächste Krieg droht«, argumentiert die SZ moralisch. »So abhängig ist Deutschland von syrischen Ärzten«, führt derweil der Spiegel materielle Nützlichkeitserwägungen gegen die Abschiebepläne an. Deutsche Krankenhäuser und Patienten müssten darauf hoffen, dass die syrischen Mediziner bleiben.

Es bleibt Aufgabe der marxistisch orientierten jungen Welt, angesichts Hunderttausender syrischer Arbeiter ohne gesicherten Aufenthaltsstatus mit Karl Liebknecht (1907) anzumerken: »Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisungen! Das ist die erste Voraussetzung dafür, dass die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein.«(nb)Siehe Seite 4

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