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Aus: Ausgabe vom 14.11.2025, Seite 5 / Inland
Wirecard-Nachspiel

Wirecard-Aktionäre gelackmeiert

Laut Bundesgerichtshof haben 50.000 Investoren keinen Anspruch auf Schadenersatz, auch bei kriminellen Machenschaften
Von Ralf Wurzbacher
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8,5 Milliarden Euro Forderungen gegen 650 Millionen Euro Insolvenzmasse – schlechte Karten für die Aktionäre

Der Pleitegeier verschont auch Aktionäre nicht. Nach einem Entscheid des Bundesgerichtshofes (BGH) haben ehemalige Anteilseigner des bankrotten Finanzdienstleisters Wirecard keinen Anspruch auf Entschädigung. Bei der Verteilung der Gelder aus der Insolvenzmasse seien sie »nachrangig« gegenüber den Gläubigern zu behandeln, befand der IX. Zivilsenat am Donnerstag und hob damit ein anderslautendes Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München auf. Damit bleiben rund 50.000 frühere Gesellschafter auf ihren Verlusten von insgesamt rund 8,5 Milliarden Euro sitzen. Wirecard war lange Zeit ein Renner an der Börse, bis sich das Geschäftsmodell vor fünf Jahren als Schwindel herausstellte und verantwortliche Manager wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und Bilanzfälschung vor dem Kadi landeten.

Der BGH verweist in seiner Begründung auf eine per Insolvenzordnung festgelegte Verteilungs- und Rangordnung. Demnach stehen die Interessen von Kreditgebern, Dienstleistern und Angestellten über denen von Anlegern, wenn ein als Aktiengesellschaft geführtes Unternehmen zahlungsunfähig wird. Zu klären war allerdings, wie sich die Dinge verhalten, wenn der Ruin im Zusammenhang mit kriminellen Machenschaften steht. Als Opfer eines gezielt errichteten Betrugssystems hätten die Aktionäre ein gleichrangiges Anrecht auf Schadenersatz, hatte der Fondsanbieter Union Investment argumentiert. Der trat in dem Pilotverfahren als Kläger auf und wollte sich knapp zehn Millionen Euro zurückholen.

Die beiden Vorinstanzen waren in der Frage uneins. Das Landgericht München vertrat Ende 2022 die Position des beklagten Insolvenzverwalters Michael Jaffé. Das OLG dagegen erkannte zwei Jahre später einen »begründeten Vermögensanspruch« des Klägers. Demnach hätte dieser im Wissen um die gefälschten Bilanzen die Aktien in keinem Fall erworben.

Für einen Gleichrang mit einfachen Insolvenzgläubigern genüge es nicht, die Täuschung in den Blick zu nehmen, »weil dies ausblendet, dass Zweck des Rechtsgeschäfts der Erwerb einer Beteiligung an der Gesellschaft war«, erklärte der BGH. »Der Aktionär hat daher die mit seiner Stellung verbundenen Risiken zu tragen.« Ein Kapitalanlegermusterverfahren vor dem OLG München hatte sich auch um die Rolle der Kapitalprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) gedreht. Die soll beim Prüfen der Bücher jahrelang beide Augen zugedrückt und so vorsätzlich dazu beigetragen haben, die finanzielle Schieflage bei Wirecard zu verschleiern. Allerdings nahm das Gericht schon Ende Februar in einem ersten Urteil EY aus der Schusslinie und wies die Forderungen der Aktionäre zurück.

Der Fall Wirecard markiert eine der spektakulärsten Pleiten der deutschen Wirtschaftsgeschichte: Am 18. Juni 2020 brach der Dax-Konzern Knall auf Fall zusammen, nachdem aufgeflogen war, dass auf Treuhandkonten in Asien vermutete 1,9 Milliarden Euro fehlten. Im laufenden Strafprozess vor dem Landgericht München haben sich der ehemalige Vorstandschef Markus Braun, Exgeschäftsführer Oliver Bellenhaus und der früherer Chefbuchhalter Stephan von Erffa zu verantworten. Braun, der wie Erffa alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestreitet, drohen bis zu zehn Jahre Haft. Bellenhaus, der als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft gilt, wurde Anfang des vergangenen Jahres auf freien Fuß gesetzt. Der einstige Vertriebschef Jan Marsalek hatte sich rechtzeitig ins Ausland abgesetzt und soll unter dem Schutz des Kremls in Russland leben, wie Der Spiegel jüngst berichtete.

Am Freitag wird der Prozess vor dem OLG fortgesetzt, wobei die Chancen der Kläger auf Schadensausgleich gegen null gehen. Insgesamt belaufen sich die Forderungen aller Geschädigten auf 15,4 Milliarden Euro. Denen steht aber nur eine Insolvenzmasse von 650 Millionen Euro gegenüber. Selbst die Gläubiger des Konzerns werden am Ende also höchstens Bruchteile ihrer Ansprüche geltend machen können. Als möglicher Ausweg bleibt den Aktionären noch der Gang vor das Bundesverfassungsgericht. Man werde sich das Urteil genau ansehen und dann entscheiden, ob das eine Option sei, teilte ein Sprecher von Union Investment mit.

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