Rotlicht: Godesberger Programm
Von Jörg Kronauer
Regierungsbeteiligung kostet: Diese Erfahrung, die andere Parteien auf Bundes- oder auf Landesebene später ebenfalls machen sollten, machte die SPD schon in den 1950er und den 1960er Jahren. Mitte der 1950er Jahre befand sie sich in einer, wie es viele Sozialdemokraten empfanden, prekären Lage. Zweimal, 1949 und 1953, war es ihr nicht gelungen, bei Wahlen zum Bundestag die 30-Prozent-Schwelle zu überwinden und den Unionsparteien, die den Kanzler und die Mehrheit in der Regierung stellten, das Wasser abzugraben. Letzteres gelang ihr auch bei der Bundestagswahl 1957 nicht, als sie es zwar auf 31,8 Prozent brachte, den Unionsparteien mit ihren 50,2 Prozent aber immer noch hoffnungslos unterlegen blieb. Dies verschaffte denjenigen in der Partei Auftrieb, die bereits seit einigen Jahren darauf drangen, die SPD nicht mehr als Arbeiter-, sondern offen als Volkspartei zu definieren und sich für Kräfte abseits der Arbeiterklasse nicht nur praktisch, sondern auch ideologisch zu öffnen. Ihr Gewicht nahm zu.
Die SPD hatte darüber hinaus nicht nur bei Wahlen mit Niederlagen zu kämpfen. Sie hatte sich 1951 gegen den Beitritt zur Montanunion gewandt, der Keimzelle der heutigen EU – und sie hatte verloren. Sie hatte gegen die Wiederbewaffnung protestiert, zumindest in der Form, in der Kanzler Konrad Adenauer sie forcierte; sie hatte gegen die Wehrpflicht gekämpft – und sie hatte erneut den kürzeren gezogen. Mitte der 1950er Jahre war die feste Einbindung in die westlichen Bündnisse, nicht nur die Montanunion, vor allem auch die NATO, für die Bundesrepublik eine ebenso unumstößliche Realität wie die Aufrüstung der Bundeswehr. 1957 stieg die SPD in die Proteste gegen eine nukleare Bewaffnung der BRD-Streitkräfte und gegen die nukleare Teilhabe ein – und auch letztere ließ sich nicht verhindern. Vor die Wahl gestellt, an gewissen Prinzipien festzuhalten, und sei’s nur programmatisch, oder aber vermeintlichen Ballast abzuwerfen, um endlich regierungsfähig zu werden, entschied sich die SPD für letzteres. Das Ergebnis war ein neues, am 15. November 1959 in Bad Godesberg verabschiedetes Parteiprogramm.
In ihrem Godesberger Programm nahm die SPD nun auch offiziell Abschied vom Kampf gegen den Kapitalismus, bekannte sich nur noch zu einem schwammigen »demokratischen Sozialismus«, befand das »private Eigentum an Produktionsmitteln« grundsätzlich für gut und erklärte die Verstaatlichung von Produktionsmitteln allenfalls als allerletzte Ausnahme in Einzelfällen für zulässig. Sie stellte sich uneingeschränkt hinter die kapitalistische Formierung bundesdeutscher Prägung (»freiheitliche demokratische Grundordnung«) und sprach sich für die Aufrüstung der Bundeswehr (»Landesverteidigung«) aus. Leicht machte ihr die Preisgabe sozialistischer Positionen nicht zuletzt die Tatsache, dass die KPD – und damit eine kommunistische Alternative – seit 1956 verboten war. Sie konnte also in der sogenannten Mitte beflissen im Trüben fischen, ohne befürchten zu müssen, dass ihr links allzuviel verloren ging.
Misst man das Godesberger Programm am Zugang der SPD zur Macht in der BRD, dann muss man konstatieren: Es war erfolgreich. Bei der Bundestagswahl 1961 kam die SPD auf 36,2 Prozent; erstmals lud Adenauer sie zu – wenn auch gescheiterten – Koalitionsgesprächen ein. 1966 gelang ihr der Eintritt als Juniorpartner in die erste große Koalition; 1969 konnte Willy Brandt sich sogar zum Bundeskanzler wählen lassen. Die SPD war dort, wo sie hinwollte, angekommen: ganz oben. Sie hatte allerdings auf dem Weg dorthin ihre maßgeblichen Inhalte verloren. Manche – und nicht nur Kommunisten – hatten ihr schon Anfang der 1960er Jahre vorgeworfen, sie wolle nur noch eine »bessere CDU« sein. Dass sie sich sogar gegen jegliche Beteiligung an den frühen Ostermärschen wandte, also nicht einmal mehr mit demokratischem Eintreten für den Frieden etwas anfangen konnte, passt ins Bild.
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Nach 1949 blieb ihr Zukunftsblick nach links in der BRD, auch im Godesberger Programm, unscharf. Sie stimmte dem Verbot der Kommunistischen Partei 1956 zu, die Sitz und Stimme im Bundestag hatte. Auch die Jugendorganisation (FDJ) wurde Opfer. Von der Gleichberechtigung der Frauen keine Spur. Die Berufsverbote für den Staatsdienst reihten sich in die ungute Politik der SPD ein. Nur im Osten Deutschlands setzte sich der linke Flügel der SPD mit Otto Grotewohl für eine andere Politik der linken Einheit ein. Die Tragik der Zerstrittenheit innerhalb der politischen linken Seite in Deutschlands, hat auch in der Gegenwart kein Ende gefunden.