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Aus: Ausgabe vom 12.11.2025, Seite 11 / Feuilleton
Rock

Wie im Rausch

Rockin’ in the Free World: Dem Musiker Neil Young zum 80. Geburtstag
Von Gerd Schumann
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Rastloser Rocker: Neil Young (2025)

Eines Tages in den Sechzigern trat Neil Young mit seiner ersten Band The Squires in Fort Williams, Ontario, auf und hob beim Gitarrensolo »völlig ab«. Das sei »sein neues Ding gewesen«, erinnert er sich. »Mir war klar, dass ich nicht ganz bei Sinnen war, wenn ich spielte. (…) Jeder Ton kam wie aus dem Nichts! (…) Ich wusste, ich machte etwas, das einfach aus mir herausbrach, und nichts, was ich gelernt hatte. Etwas, das ich war.«

Vielleicht ist es so bis heute, der Gedanke liegt zumindest nahe. Wer je ein Neil-Young-Konzert mit Crazy Horse erlebte, das Album mit Pearl Jam (Mirror Ball, 1995) oder auch das 28,12 Minuten lange »Driftin Back« auf »Psychedelic Pill« (2012) gehört hat, kann ihn nachvollziehen. Seine voluminösen, häufig endlosen, spielfreudigen Improvisationen ein und desselben musikalischen Themas auf der Gitarre, die Young mit seinem Gespür für Dramatik und ausgestattet mit satten und doch differenten Soundgebirgen auf die ursprüngliche Melodieidee zurückführt, machen ihn einzigartig.

Das Ganze hatte auf der Suche begonnen – nach den Squires über die Stationen Buffalo Springfield mit Stephen Stills’ zukunftsweisender Frage im Angesicht des kollektiven Tanzes am Abgrund »For what it’s worth?« (etwa: Wozu ist es gut?) von 1966 über den Harmoniegesang, mit dem Crosby, Stills, Nash and Young ihr antiautoritäres, an Hippieträumen entlang entwickeltes Lebensmodell für die Zukunft präsentierten, bis hin zu Youngs akustischer Solokarriere mit »Helpless« (berühmt geworden in dem Film »Blutige Erdbeeren« von 1970) und – last but not least – schließlich zu seiner Vorstellung von Rock ’n’ Roll, die er meist mit seiner Stammband Crazy Horse umsetzt.

Woher er kam, wohin er ging, wer er ist, fasst er in seinem Song »Canerican« von 2021 kurz und knapp. »I was born in Canada, came south to join a band.«

Na ja, ganz so einfach war es dann doch nicht, zu Beginn der 1960er. Ein Illegaler in den USA, ohne Greencard, jahrelang in ständiger Angst vor einer Abschiebung zurück über die Grenze nach Norden, im Knast misshandelt von uniformierten Hippiehassern, anderthalb Tage im Zug zum nächsten unwirklichen Gig in einem unwirtlichen Ort durch die Reservate der Ureinwohner: Sie »waren sehr arm und verwahrlost, und ihr Leben war brutal«. Diese Erfahrung werde er nie vergessen.

Aber er reiste gern durch das weite Land, über die Highways, einfach so, Fahrtwind im langen Haar, auf der Fahrt zum nächsten schlechtbezahlten Auftritt, eine Woche lang jeden Abend in irgendeiner kleinen Location. Der »kanadische Amerikaner«, seit 2020 auch mit US-Pass, singt er weiter, stehe als »Vielfarbiger« neben seinem Bruder für Freiheit – »Freedom«, der neben »­Peace« zentrale Begriff in Youngs Philosophie. Mit einiger Sorge beobachte er allerdings die Veränderungen, die auf das Land zukämen, bemerkt sie draußen auf dem Schießstand: »Out on the range, I see the changes comin’ to this country.«

Kunst kann bewegen, die Ästhetik des Widerstands verlässt den Pergamonaltar. In dem Konzertfilm »CSNY. Déjà Vu« von 2008 führt er sein phänomenales Antikriegsalbum »Living With War« auf, fordert »Let’s impeach the president« – lasst uns den Präsidenten für seine Lügen, mit denen er die Menschen in den Krieg geführt hat, für den Machtmissbrauch, aus dem Amt jagen. Er erntet Stürme: von Entrüstung oder von euphorisierter Zustimmung. Ein Teil des vieltausendköpfigen Publikums verlässt drohend und pöbelnd den Saal, der andere jubelt, weil sich endlich jemand traut, die Wahrheit zu singen.

Neil Young bleibt sich treu, und wieder sind seine drei Mitstreiter aus Woodstock-Zeiten dabei. David Crosby, Graham Nash und Stephen Stills. Young erinnert sich genau an die Auftritte. »Da schienen unsere früheren Ziele noch mal auf. Aber die Dinge hatten sich geändert.« Inzwischen bläst der Wind der Vernunft ins Gesicht.

Das war bei »Ohio«, Youngs Evergreen der Protestkultur, deutlich anders. Es entstand nach dem Kent-State-Massaker 1970 in einer Nacht. Crosby, berichtet Young später in den Liner Notes zu seinem ersten Best-of-Album »De­cade« von 1977, hätten nach der Aufnahme von »Ohio« die Tränen in den Augen gestanden. Bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg ermordeten die von Präsident Nixon eingesetzten »Zinnsoldaten« vier Studierende. Neil Young sah die Bilder und schrieb den Text: Der Einsatz der Nationalgarde sei »wahrscheinlich die größte Lektion, die jemals an einer amerikanischen Bildungseinrichtung erteilt wurde«.

Das war natürlich vor Trump, aber so, wie Bruce Springsteen sich mittlerweile mit dem faschistoiden Rüpel im Weißen Haus fetzt, bekam es auch Young hin und verbot dessen Missbrauch seines Songs »Rockin’ in the Free World« von 1989. »Sie sind eine Schande für mein Land«, schrieb er in einem offenen Brief an Trump.

»Hey hey, my my, Rock and Roll can never die« (1978) verbindet er mit der Warnung, dass der Rost niemals schläft: »Besser leuchtend verbrennen, als langsam verlöschen.« Er selbst berichtet in seiner Autobiographie »Ein Hippie-Traum«, dass er den Song kurz nach dem Tod von Elvis Presley, eines seiner Vorbilder, geschrieben habe. Das ist unbedingt nachvollziehbar.

Er hat manchen Spleen, sammelt Modelleisenbahnen, aufgebaut in einem Eisenbahnschuppen auf seiner »Broken Arrow Ranch«, die er sich um 1970 herum zulegte und eigenhändig ausbaute und wo er auch seinen riesigen Park mit Limousinen unterhält – in der aus robusten Balken gezimmerten Scheune spielte er kurz nach der Coronaepidemie gemeinsam mit Nils Lofgren und Ralph Molina und Billie Talbot von Crazy Horse »Barn« ein, sein 43. Studioalbum.

Kaum ein Jahr verging ohne eine neue Vinylschreibe, über 50 sind es nunmehr, und auch sein umfangreiches Archiv aus fünfeinhalb Jahrzehnten wird nach und nach veröffentlicht. Er ist ein Perfektionist, hat seinen eigenen Kopf, widersetzt sich schon mal seiner Plattenfirma, die ihn verklagte, weil er »für Neil Young uncharakteristische Musik« abgeliefert habe. Oder der sich gegen die Vereinnahmung seiner Songs für die Werbung verwahrte. »Ain’t singing for Pepsi. Ain’t singing for Coke«, woraufhin er auf MTV nicht mehr gespielt wurde. Jemand, der sich nicht anpasst. Aber der trotzdem zeitweilig auch mal vom Weg abkommt. Wie unter dem Eindruck von »9/11«, als er mit dem Heldenepos »Roll on« (Los geht’s) einen nach Meinung des Rolling Stone »patriotisch-revanchistischen« Song aufnahm.

Seit Jahrzehnten engagiert er sich für »Farm Aid« und Umweltschutz, äußert sich in seinem Werk antirassistisch (»Southern Man«) und gegen die Kolonisierung (»Cortez the Killer«). Und er ist dazu in der Lage, eine so herkömmliche wie doch völlig besondere Liebeserklärung an eine Frau zu dichten, die er in einer überfüllten, dunstigen Bar sieht, die ihn einfach umhaut und wegbläst. »I want to love you, but I’m getting blown away.« Sie war wie ein Hurrikan. Und wie ein Hurrikan knallt ein unverwechselbarer Sound, die Texte gesungen von der hohen, brüchig klingenden Stimme Youngs.

Auf die Frage, die ihm 2008 gestellt wurde, ob er Pläne hätte, in den Ruhestand zu gehen, antwortete er: »Wenn ich in den Ruhestand gehe, werden es die Leute wissen, weil ich dann tot sein werde.« Das gilt auch an seinem 80. Geburtstag, dem 12. November.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (12. November 2025 um 22:30 Uhr)
    Perfekt, Herr Schumann! Mit Gruß! Scharman

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