Rechter Feldzug
Von Nico Popp
Ganz klar ist es vorerst nicht, ob in der Linkspartei gerade eine echte Offensive der ultraangepassten rechten Strömung anläuft oder lediglich eine der periodischen Medienkampagnen mit dem Ziel der allgemeinen Disziplinierung stattfindet, die von den einschlägigen innerparteilichen Akteuren gefüttert wird. Eindeutig unterscheiden lässt sich das wegen der eingespielten Arbeitsteilung ohnehin nicht – und die politischen Resultate sind sowieso austauschbar. Seit Wochenbeginn sind verschiedene Medien bemüht, eine »Krise« der Partei herbeizuschreiben: Bild will »Furcht vor einer neuen Spaltung« und »die schwerste Krise seit der Abspaltung von Sahra Wagenknechts BSW« festgestellt haben, der Tagesspiegel führt Klage über einen »regelrechten Rachefeldzug«, den »israelfeindliche Strömungen in der Partei« begonnen haben sollen.
Der Modus erinnert an den angeblichen »Antisemitismuseklat«, der im Herbst 2024 Gegenstand einer Kampagne wurde, nachdem die bis dahin im Berliner Landesverband tonangebende Gruppe um Klaus Lederer beim Landesparteitag mit einem Antrag zum Thema Antisemitismus und Nahostkonflikt aufgelaufen war. Die Operation erwies sich als echter Rohrkrepierer, weil bei der damals an der Integration aller Strömungen interessierten Mehrheit der ums Überleben kämpfenden Partei diese Querschüsse nicht gut ankamen. Wenig später trat Lederer mit einigen anderen prominenten Parteirechten aus der Linkspartei aus.
Den Ausgangspunkt für die neuerliche Kanonade bildet nun zum einen der Bundeskongress der Linksjugend am vergangenen Wochenende, bei dem die Teilnehmer mit großer Mehrheit einen Antrag beschlossen haben, in dem sich der Verband attestiert, »versagt« zu haben, indem etwa versäumt wurde, »den kolonialen und rassistischen Charakter des israelischen Staatsprojekts« anzuerkennen und die »Verbrechen des israelischen Staats« zu verurteilen. Der Vorgang sei die »endgültige Wende zum antizionistischen Antisemitismus«, donnerte die Welt. Kolportiert wird in diesem Zusammenhang von verschiedenen Medien, dass Vertreter der proisraelischen Minderheit am Rande des Kongresses bedroht oder unter Druck gesetzt worden seien.
Die Linksjugend wurde noch vor wenigen Jahren von »antideutschen« und anderen rechten Netzwerken dominiert. Mit diesem Kongress scheint auf der Bundesebene diese Auseinandersetzung zugunsten linker Kräfte entschieden worden zu sein. Die Berliner Linksjugend, die den jetzt skandalisierten Antrag eingebracht hat, freute sich jedenfalls in einer Auswertung über den »endlich konsequent linken und antiimperialistischen Bundessprecher:innenrat«.
Das zweite Moment, das hier eine Rolle spielt (und offenkundig mit den Entwicklungen bei der Linksjugend in Zusammenhang steht), ist die wachsende Unruhe des Linkspartei-Establishments ob des als Problem betrachteten Umstandes, dass der gefeierte Mitgliederzustrom in den vergangenen zwölf Monaten auch Mitglieder in die Partei gebracht hat, die auf einer opportunistischen Linie – für deren Durchsetzung das Thema Israel eine entscheidende Rolle spielt – nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten integrierbar sind.
Aktuell zeichnet sich ab, dass der derzeit von der Bundesschiedskommission überprüfte Parteiausschluss des palästinasolidarischen Aktivisten Ramsis Kilani zur Machtfrage stilisiert wird. Der Tagesspiegel wusste unter Berufung auf seine Gewährsleute in der Partei zu berichten, dass inzwischen »vollkommen offen« sei, ob die Schiedskommission den Ausschluss bestätigt – dass der Ausgang des Verfahrens »offen« ist, so der Unterton, ist eine schlimme Sache. Ein anonymer Bundestagsabgeordneter soll gedroht haben, dass »das Maß des für mich Aushaltbaren langsam erreicht« sei, wenn Kilanis Parteimitgliedschaft wiederhergestellt wird.
An dem Beschluss der Linksjugend hat sich zunächst nahezu ausschließlich die harte Rechte der Partei abgearbeitet – ein Indiz dafür, dass sich das Interesse, daraus einen Großskandal zu machen, auf diese Strömung beschränkt. Benjamin-Immanuel Hoff, der ehemalige Chef der Thüringer Staatskanzlei, sprach von einem »Beschluss im Fahrwasser des israelhassenden Antiimperialismus«. Die Linke-Landesverbände in Thüringen und im Saarland distanzierten sich in Stellungnahmen von dem Beschluss. Die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau schrieb auf der Plattform X, die Partei stehe »vor einer prinzipiellen Entscheidung«. Gegenüber Bild sagte ein Sprecher der proimperialistischen »Bundesarbeitsgemeinschaft Shalom«, die Partei sei »in Aufruhr« und stehe am »Scheideweg«.
Eine am Donnerstag verbreitete Erklärung der beiden Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken – das Resultat einer Sondersitzung des Parteivorstandes vom Abend zuvor – macht diesen Akteuren erhebliche Zugeständnisse. Kritisiert wird darin zunächst der Umgang mit der Minderheit bei dem Bundeskongress. Mit Vertreterinnen des Jugendverbandes sei vereinbart worden, dass der Verband »die Vorgänge umfassend aufarbeitet und Schlüsse daraus zieht«.
Dann wird ausdrücklich festgestellt, dass der von rechts attackierte Beschluss »inhaltlich nicht mit den Positionen der Linken vereinbar ist«. Darüber habe es im Vorstand »sehr breite Einigkeit« gegeben. Allerdings endet die Stellungnahme mit einem Verweis darauf, dass man nur mit »Geschlossenheit« gewinnen könne – das rechte »Scheideweg«-Szenario wird also nicht direkt bedient. Ob das so bleibt, wird sich bald zeigen: Auch beim Landesparteitag der Berliner Linkspartei am 15. November stehen Anträge zur Abstimmung, die von rechts als »antisemitisch« denunziert werden.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besondere Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Hamburg, Manni Guerth (7. November 2025 um 08:32 Uhr)Die Linke ist linke Mittelschicht. Dort sind die Antideutschen, die prinzipienlosen Friedenshumanisten und die Antimarxisten organisiert. Es ist ein zusammengestoppelte Bürgerpartei. Wie alle Bürgerparteien jammern und streiten sie sich, wenn die Realität ihre politischen Träume zerstört. Dann flüchten sie in Dogmatismus und gehen sich gegenseitig an die Gurgel. Die Mittelschicht ist in Deutschland leider immer noch die größte Klasse. Darum ist es auch sehr schwierig, eine revolutionäre Arbeiterpartei zu organisieren.
-
Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (7. November 2025 um 05:07 Uhr)Die den imperialistischen Kapitalisten, Folterern, Kriegsverbrechern und (Kinder-) Massenmördern die Füße leckenden, verlogen und perfide wie die Springer-Presse mit der antisemitismusfuchtelnden rechten, etablierten Parteimitglieder sind als solche für eine – d.h. eigentlich für jede – Linkspartei absolut untragbar. Ein wahres »Wolfsrudel« an U-Booten. So lange die in dieser Partei sind und auch noch problemlos auftauchen können, also sogar was zu melden haben, bleibt dieser Verein tot, bestenfalls ein Zombie. Ganz egal wieviele Neumitglieder sie akkumulieren konnten oder welche Prozentwerte sie sich im scheindemokratischen Parlamentszirkus ergaunern.
-
Leserbrief von B.S. aus Ammerland (6. November 2025 um 20:43 Uhr)Die Partei »Die Linke« verkommt zur Klamotte. Zugeständnisse an den rechten Flügel der Partei sind eher untertrieben. Reichinnek und van Aken sind die geborenen Protagonisten des Rechtsrucks der Partei. Wie immer links blinken und dann rechts abbiegen! Wie einst die Grünen stets von Frieden und Ökologie faselten, so ist es jetzt die Linke, die in deren politische Fußstapfen getreten sind!
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
Hannes P. Albert/dpa03.11.2023Habecks Bekenntnis
Stefan Boness/IPON29.04.2022»Einige in der Partei weichen Positionen auf«
Carsten Koall/dpa16.04.2022Kräfte gebündelt
Mehr aus: Inland
-
Blockade im Hamburger Hafen
vom 07.11.2025 -
Warum enttäuschen die Grünen beim Waldschutz?
vom 07.11.2025 -
Worin genau bestehen die Verbindungen nach Israel?
vom 07.11.2025 -
Mehr als ein »Trio«
vom 07.11.2025 -
Planvoll produzieren
vom 07.11.2025 -
Neue Debatte um Sexkaufverbot
vom 07.11.2025