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Aus: Ausgabe vom 07.11.2025, Seite 5 / Inland
Standort Deutschland

Planvoll produzieren

Arbeitskammern und DGB fordern mehr Sicherheit für Beschäftigte und klare Rahmenbedingungen für Industrie. Ein Veranstaltungsbericht
Von Carmela Negrete
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Direktreduktionsanlage von Arcelor-Mittal: Nicht einfach, die Transformation beim Stahl (Hamburg, 14.4.2023)

Die Krise der deutschen Wirtschaft hat Folgen, vor allem für Beschäftigte. Folgerichtig, dass Kolleginnen und Kollegen diskutieren, wie sie erfolgreich und widerstandsfähig aus der industriellen Misere herausfinden können. »Ein starker Staat ist dafür unverzichtbar«, erklärte etwa Thomas Otto, Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer des Saarlandes, am Mittwoch in Berlin beim industriepolitischen Dialog des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), denn »der Markt wird nicht alles regeln«.

Eingeladen zur Diskussion unter dem Titel »Industriestandort Deutschland in Zeiten von Wandel und Krise« waren neben Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern auch Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik. Das Motto: »Deindustrialisierung muss kein Automatismus sein«.

Der Ökonom Tom Krebs warnte davor, dass die AfD dort besonders viel Zulauf erhalte, wo die Krise am stärksten spürbar sei. Er erinnerte daran, dass das Sondervermögen für Infrastruktur nur ein Baustein für eine neue Industriepolitik sein könne. Von einem Wachstum, das allein auf militärischer Produktion basiere, hält er wenig.

Gemeinsam mit dem Entwicklungsökonomen Patrick Kaczmarczyk hat Krebs kürzlich eine Studie bei der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht. Beide warnen darin eindringlich vor einer Demontage hiesiger Stahlindustrie. Probleme gebe es besonders aufgrund der Abhängigkeit vom EU-Ausland für den Fall, dass Lieferketten krisen- oder konfliktbedingt unterbrochen würden. Dann könnte es zu einer Mangellage kommen – zu einem »Stahlschock«, der bis zu 50 Milliarden Euro volkswirtschaftlichen Verlust für die deutsche Wirtschaft verursachen könnte. Pro Jahr, wohlgemerkt. Viele Branchen hätten dann keinen Stahl mehr für die eigene Produktion zur Verfügung.

Krebs erinnerte daran, dass die heimische Industrie mit der chinesischen konkurriere – und dass China einen Plan habe. Die deutsche Regierung solle den Industriestrompreis für alle senken, die Nachfrage nach deutschen Produkten stimulieren und sich auf EU-Ebene gegebenenfalls auch für Zölle einsetzen, die den hierzulande produzierten Stahl schützen könnten. Außerdem solle man sich von Scheindebatten verabschieden – etwa darüber, ob die Menschen hierzulande nicht arbeiten wollten oder ob das Land zu bürokratisch sei. »Bürokratisch war Deutschland schon immer«, so Krebs.

Auch Patricia Bauer und Tim Voss von der Arbeitskammer Bremen forderten mehr Planungssicherheit für Unternehmen und verstärkte Investitionen in Zukunftsbranchen wie Digitalisierung und Wasserstofftechnologien. Sie plädierten für einen Strompreisdeckel – auch für private Haushalte.

Zwei Tabuthemen gab es auch: den Importstopp für russisches Erdgas und die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die heimische Industrie. Ferner, welchen nachhaltigen Sinn mit »grünem« Wasserstoff produzierte Rüstungsgüter haben.

Auf Nachfrage von jW erklärte der industriepolitische Sprecher der Partei Die Linke, der Bundestagsabgeordnete Mirze Edis, der an der Podiumsdiskussion teilnahm: »Es geht nicht nur darum, dass die Stahlindustrie unter den hohen Gaspreisen leidet. Vielmehr fehlt den Stahlunternehmen die Planungssicherheit. Hinzu kommen Probleme mit den CO2-Zertifikaten, die ebenfalls teuer eingekauft werden müssen.«

Edis betonte weiter, dass eine Transformation dringend notwendig sei: »Wir wollen in naher Zukunft ohnehin keinen Stahl mehr mit Gas produzieren, sondern mit Wasserstoff. Daher steht die Regierung in der Bringschuld, jetzt zu handeln, damit wir so schnell wie möglich mit der Transformation der Stahlindustrie beginnen können.«

Mike Böhlken, Betriebsratsvorsitzender des Bremer Stahlwerks von Arcelor-Mittal, war eher skeptisch. Im Juni hatte der Stahlkonzern beschlossen, die Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt nun doch nicht auf eine »klimaneutrale« Produktion ohne Kohleverbrennung umzustellen – und das mit der aktuellen Marktsituation und fehlender Wirtschaftlichkeit begründet. Böhlken, der überzeugt ist, dass die Betriebsräte in seinem Werk die besseren Manager seien, bemerkte zudem, Arcelor-Mittal produziere in Ländern wie Brasilien und Kanada äußerst profitabel, aber eben nicht in Deutschland. Man könne nicht mit den Preisen konkurrieren, zu denen China den deutschen Markt mit seinem Stahl »überschwemmt«. Die CO2-Kosten seien eine zusätzliche Wettbewerbsbelastung. Für ihn stand fest: »Wir brauchen mindestens noch fünf Jahre mit ›grauem‹ Stahl, um nachhaltig und ›grün‹ produzieren zu können. Andernfalls kann der Standort nicht gesichert werden.«

Während der Diskussion machte sich Edis wiederum dafür stark, dass Ausschreibungen an inländische Unternehmen vergeben werden sollten. Schon jetzt werde beispielsweise beim Brückenbau Stahl aus China importiert. Eine Vertreterin der Bundesregierung, die SPD-Abgeordnete Dunja Kreiser, entgegnete, es sei nicht möglich, chinesische Produkte vollständig zu verbannen und ausschließlich heimischen Stahl zu verarbeiten.

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