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Aus: Ausgabe vom 06.11.2025, Seite 3 / Inland
Gentrifizierung

Welche Ziele verfolgt der Geschäftsführer?

Hessen: Frankfurter Wohnungsgesellschaft ABG treibt mit Sanierung in Gellertsiedlung Mieten hoch, kritisiert Florian Janik
Interview: Gitta Düperthal
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Die Initiative »Stadt für Alle« beklagt Gentrifizierung seitens der städtischen Wohnungsbau- und Immobiliengesellschaft ABG im Fall der im Frankfurter Nordend gelegenen Gellertsiedlung. Der Geschäftsführer Frank Junker betont dagegen, wie sozialverträglich die geplante Modernisierung sei. Dort solle es Raum für junge Familien geben. Was ist dagegen einzuwenden?

Das Nordend ist ein beliebtes Wohnviertel in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt in der Mainmetropole. Dort gibt es nur noch wenige bezahlbare Wohnungen, bislang zum Beispiel in der Gellertsiedlung mit insgesamt 400. Von diesen plant die ABG etwa 64 im ersten Bauabschnitt von 2027 bis 2029 zu modernisieren. Aktuell haben sie durchschnittlich eine Kaltmiete von etwa zehn Euro pro Quadratmeter, danach sollen es ungefähr 15,50 Euro sein. Dass das »sozialverträglich« sein soll, ist zu bezweifeln. Zudem will ABG-Chef Junker bisherige Mieterinnen und Mieter in anderen Wohnungen des Immobilienkonzerns unterbringen. Ob sie zu den gleichen Mietkosten zurückkehren können, ist nicht geklärt. Geplant ist auch, Wohnungen teilweise zusammenzulegen, so dass sie dann 100 Quadratmeter haben. Fragt sich: Welche junge Familie soll sich eine Wohnung für 1.550 Euro Kaltmiete leisten können?

Ihre Initiative war am Donnerstag im für das Frankfurter Nordend zuständigen Ortsbeirat 3. Was haben Mieterinnen und Mieter der Siedlung dort berichtet und wie war die Reaktion darauf?

Die Linke, die SPD und Ökolinks äußerten sich kritisch zu dem Vorhaben. Auch dort war man hörbar kaum überzeugt, dass an diesem Vorhaben irgend etwas sozialverträglich sein soll. Knapp zwei Drittel der Frankfurter Stadtbevölkerung haben aufgrund ihres Einkommens nach Förderweg I und II Anspruch auf eine sozial geförderte Wohnung, mahnte Martina van Holst von der Linkspartei. Junker lehnte ab, dies grundsätzlich zu diskutieren oder überhaupt in Betracht zu ziehen.

Warum lehnen Sie die Orientierung an der ortsüblichen Vergleichsmiete in Frankfurt am Main ab?

In den Mietspiegel fließen neu abgeschlossene Mietverhältnisse sowie auch Mieterhöhungen bei Bestandsmieten im Zeitraum der letzten sechs Jahre ein. Dieser markiert also keinen Durchschnittswert, sondern preist den regelmäßigen Anstieg der Mieten strukturell mit ein – und legitimiert so also wieder erneute Mieterhöhungen. Eine rein energetische Sanierung müssen die Mieterinnen und Mieter dulden. Sie würden sie sogar auch begrüßen, weil so das Klima geschützt wird und Energiekosten sinken.

Junker steht schon länger in der Kritik wegen unsozialer Wohnungspolitik. Welche Ziele verfolgt er?

Er ist dafür bekannt, dass er das Unternehmen neoliberal ausgerichtet hat und kaum auf Profite verzichtet. Genau das sollte aber nicht Aufgabe eines städtischen Unternehmens sein, schon gar nicht das der ABG mit ihren 55.000 Wohnungen. Dazu beizutragen, aktiv die Mietpreise in die Höhe zu treiben, steht einem kommunalen Wohnungsbauunternehmen nicht gut an. Es sollte dem vielmehr aktiv entgegenwirken. Junker nimmt bei der Gellertsiedlung mit 15,50 Euro den geschätzten Quadratmeterpreis im Mietspiegel von 2029 vorweg. Aktuell liegt er noch bei knapp zwölf Euro.

Sie fordern eine warmmietenneutrale Sanierung, bei der die Mieter in die Entscheidungsfindung über Umfang und Ablauf der Baumaßnahmen einbezogen werden. Wie stellen Sie sich das vor und wie wollen Sie es durchsetzen?

Mieterräte sollten schon bei der Planung konkret mitreden und mitbestimmen können, meinen wir. Die Mieterinnen und Mieter der Gellertsiedlung sind jetzt dabei, sich zu organisieren. Wir als Initiative »Stadt für Alle« werden sie unterstützen. Nach unserem Eindruck gibt es auch in der Kommunalpolitik bereits großen Unmut. Es ist nicht davon auszugehen, dass Junkers Vorgehen auf Zustimmung stößt. Weil am 15. März 2026 Kommunalwahlen in Hessen anstehen, müssen sich die politischen Parteien jetzt positionieren, ob und wie sie sich für soziale Wohnungspolitik einsetzen wollen.

Florian Janik ist aktiv in der Initiative »Stadt für Alle« in Frankfurt am Main

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