»Rätestrukturen sind der einzige demokratische Weg«
Interview: Marc Bebenroth
In einigen Wohngebieten in Frankfurt am Main rumort es. Weshalb schließen sich immer mehr Mieterinnen und Mieter zusammen?
Wenn wir beispielsweise von denen der Nassauischen Heimstätten, kurz NH, sprechen, kommen zwei Themen zusammen: die erhöhten Nebenkostenabrechnungen und vor allem die Aufhebung des 2019 erkämpften Mietpreisstopps.
Fangen wir bei den Nebenkosten an. Wogegen wollen sich die Betroffenen genau wehren?
Zehntausenden wurde versprochen, dass langfristig die Nebenkosten gesenkt werden, sofern energetisch saniert wird. Derzeit finden Umbaumaßnahmen an den Wohnblöcken statt, gegen die sich die Mieter zur Wehr setzen. Sie wurden mit der Ankündigung der Arbeiten konfrontiert, ohne dass ihnen ausreichend Ausweichquartiere angeboten wurden. Die Leute sind sauer, weil sie monatelang mit Krach und Schmutz belästigt werden. Hinzu kommt: Man kann gar nicht feststellen, ob wirklich bei den Nebenkosten eine nachhaltige Senkung erfolgt. So muss man jetzt als Mieter die Umbauarbeiten mitfinanzieren, ohne zu wissen, ob man in der Zukunft tatsächlich weniger Kosten hat.
Werden ausschließlich die Bewohner zur Kasse gebeten?
Die hessische Landesregierung hat als Teileigentümer der NH 400 Millionen Euro für Um-, Neu- und Weiterbau zur Verfügung gestellt. Da fragen sich die Leute, was mit dem Geld passiert. Ihnen gegenüber wird so getan, als ob es gar keine Mittel vom Land geben würde. Nach dem Motto: Alles muss sich rechnen, alles können wir auf die Mieterschaft umlegen, und das Geld vom Land nehmen wir auch gerne.
Was folgte aus der Verärgerung?
Vor allem im Süden der Stadt haben sich die Mieter organisiert. Sie haben Unterschriften gesammelt, Mieterversammlungen durchgeführt und zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einen Mieterrat gegründet.
Was hat es mit dem Mietenstopp auf sich?
In Frankfurt gilt bei den öffentlich-rechtlichen Gesellschaften, vor allem bei der ABG als der größeren, ein Mietpreisstopp. Die Stadt und die Gesellschaft haben den Mieterinnen und Mietern damit zugesagt, dass sie im Durchschnitt maximal ein Prozent mehr pro Jahr mehr zahlen müssen. Dafür haben die Gewerkschaften, die Mieter und ich auch persönlich lange gekämpft. Tausende von Unterschriften sind dafür damals zusammengekommen. Das fiel in eine Zeit, in der der Verkauf der NH auf der Tagesordnung war. Auch hier haben die Mieter erfolgreich gekämpft: Es ist nicht verkauft worden.
Wie ist der Mietenstopp der Nassauischen geregelt?
Der galt bisher nur für Mieter mit einem Jahresgehalt bis zu 84.000 Euro. Da kommt man bei Frankfurter Gehältern schnell an die Grenze. Man hat eine Spaltung der Klasse gehabt, gerade Facharbeiter liegen oft darüber. Dennoch haben die Betroffenen das verteidigt, da es besser als nichts war und der Wohnungsmarkt sich – auf hohem Niveau – beruhigt hatte. Im September hat die NH dann aber vollmundig eine neue »Mietenstrategie bis 2029« angekündigt. Innovativ ist nur die Wortwahl. Im Vergleich zum bisherigen Mietenstopp zahlen die Mieter bei dieser »Strategie« mächtig drauf: Die Mieten sollen bis zu zehn Prozent steigen. Da frage ich mich schon, in welcher Welt die NH-Geschäftsführung lebt. Viele kommen schon jetzt kaum über die Runden.
Sind Sie deshalb aktiv geworden?
Ich habe damals mit den Mietern die Aktion gegen den geplanten Verkauf und Aktionen für diesen Mietpreisstopp organisiert. Ich gucke mir doch nicht an, wie die Leute verarscht werden. Die Mieterinitiative hat eine Koordination, die recht breit zusammengesetzt ist: von der Mietergewerkschaft, vom Mieterbündnis, von der Linkspartei. Einzelpersonen wie ich sind da auch drin. Eine Koordinationsgruppe fasst alles zusammen.
Wie ist man in Frankfurt vorgegangen?
Blockweise, von Tür zu Tür. Und dann Unterschriften sammeln. Danach im Rest der Stadt den übrigen Mietern Mut machen, sich ebenfalls zu organisieren. Rätestrukturen sind aus unserer Sicht der einzige demokratische Weg, wirklich Gegenmacht aufzubauen.
Peter Feldmann war Oberbürgermeister in Frankfurt am Main. Er engagiert sich dort für Mieterinnen und Mietern im Kampf gegen überteuerten Wohnraum
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