Absturz hausgemacht
Von Jörg Kronauer
					Europäer, kauft europäischen Stahl! Lars Klingbeil schlägt vor dem »Stahlgipfel« an diesem Donnerstag im Kanzleramt neue Töne an. Die Branche steckt in einer tiefen Krise: Absatz und Produktion sinken; die außereuropäische Konkurrenz ist stark, und es werden Klagen laut, deutsche Konzerne seien so langsam ernstlich in ihrem Bestand bedroht. Was tun? Der Bundesfinanzminister greift zunächst, das kostet ja auch nichts, zu einem Appell: Ein wenig »mehr europäischer Patriotismus« bei der Beschaffung von Stahl zum Bau von Autos, von Infrastruktur, das müsse schon sein. Und wenn europäischer, wenn deutscher Stahl teurer ist als der der Konkurrenz? Egal, doziert Klingbeil: Künftig soll, zumindest »bevorzugt«, Stahl gekauft werden, der hierzulande produziert wurde – koste es, was es wolle.
Die Krise, in der die deutsche Stahlbranche steckt, ist zum guten Teil hausgemacht. Da sinkt die Nachfrage, weil die Kfz-Industrie – ein bedeutender Stahlkunde – die Umstellung auf Elektromobilität verschlafen hat und ihrerseits in die Krise gerutscht ist. Gleichzeitig sind die Produktionskosten empfindlich gestiegen, weil die Ampelregierung – getrieben übrigens von der Partei des heutigen Bundeskanzlers – den Kauf billigen russischen Pipelinegases gestoppt und auf teures US-Flüssigerdgas umgesattelt hat, um Russland zu ruinieren. Damit hat sie schon die deutsche Chemieindustrie fast ruiniert, und nun droht es auch noch die Stahlbranche zu erwischen. Die wiederum kommt mit der Umstellung auf »grünen« Stahl nicht klar. Klar: Fehler können passieren. Fehler allerdings, die daraus resultieren, dass man sich für die Krone der Schöpfung hält und sich deshalb allzu selbstsicher fühlt, sind dumm.
Und es kommt noch hinzu, dass die EU-Kommission den Zolldeal mit den USA miserabel ausgehandelt hat. Von wegen 15-Prozent-Zölle auf Lieferungen über den Atlantik: Stahl wird mit 50 Prozent verzollt; die Trump-Regierung aber wendet diese Regel inzwischen eigenmächtig auf immer mehr Maschinen an, die auch nur ein Schräubchen aus Stahl enthalten. Das trifft bereits 40 Prozent aller deutschen Maschinenexporte; ab Ende des Jahres könnten es nach einer befürchteten Ausweitung einschlägiger US-Produktlisten sogar 56 Prozent sein. Schon jetzt bricht die Exportnachfrage ein. Das dürfte den Stahlverbrauch noch weiter senken – und mit dem Maschinenbau auch die nächste tragende Säule der deutschen Industrie noch weiter in die Krise stürzen.
Was tun? Die EU hat deftige Importzölle auf Stahl angekündigt; Klingbeil fordert, die noch verbliebene Einfuhr russischen Stahls vollständig zu stoppen. Deutschland und die EU schotten sich ab. Klassischerweise tun das aufstrebende Staaten, um ihre noch zu schwache Industrie wachsen zu lassen. In Europa hingegen geht es darum, den eigenen Abstieg zu bremsen. Dass der Finanzminister jetzt schon zu unbeholfenen Appellen greifen zu müssen meint, spricht Bände.
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