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Aus: Ausgabe vom 03.11.2025, Seite 10 / Feuilleton
Pop

Nicht von dieser Welt

Die neuseeländische Band Split Enz veröffentlicht eine enzyklopädische Übersicht ihres Schaffens
Von Alexander Kasbohm
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Ein seltsames Phänonen: Split Enz

In Kontinentaleuropa sind die Split Enz auch nach über 50 Jahren noch ein gut gehütetes Geheimnis. In ihrer neuseeländischen Heimat und in Australien füllen Reunionkonzerte regelmäßig Stadien. Und beides ist gleichermaßen seltsam. Sowohl, dass sie hier kaum jemand kennt, als auch, dass sie in der südlichen Hemisphäre derart bekannt sind. Denn sie waren zwar oft grandios, aber auch in ihrer kommerziellsten Phase blieben sie doch so versponnen und sperrig, dass ein derartiger Massenerfolg etwas überrascht. Aber eigentlich war alles an dieser Band seltsam.

Gegründet wurde sie Anfang der 1970er von den beiden Studenten Tim Finn und Phil Judd in Auckland. Die Stücke schwankten zwischen beschwingtem und albtraumhaftem Art-Deco-Vaudeville-Folkpop-Rock. Bis heute fallen mir keine Bands aus irgendeiner Epoche ein, die ähnlich klangen. Eine gewisse Geistesverwandtschaft zu den frühen Roxy Music bestand vielleicht. Aber auch die war eher vage. Judd und Finn, beide Songschreiber und Sänger, hatten eine spürbare Freude am Absurden in Text, Ton und Bild, daran, Dinge aus ihrem Kontext zu isolieren, artfremde Elemente unvermittelt auftauchen und verschwinden zu lassen.

Ihre erste LP »Mental Notes« erschien 1975 in Neuseeland und war unerwartet erfolgreich. Allerdings war die Band mit der Produktion des Albums recht unzufrieden; in Neuseeland gab es kein Aufnahmeteam, das auch nur ansatzweise verstand, was die Enz eigentlich wollten. Wenn man irgendwas erreichen wollte, musste man nach England oder in die USA. Mit dem Roxy-Music-Gitarristen Phil Manzanera fanden sie in London einen Produzenten, der in die gleiche Richtung dachte. Mit ihm nahmen sie einige Stücke des Debüts noch mal auf, ergänzt um eine Handvoll neuer Songs. Dieses anderthalbte Album wurde nun weltweit veröffentlicht. Unter demselben Namen wie das erste, mit demselben Covermotiv, ergänzt um einen roten Rahmen. Um die Verwirrung komplett zu machen, erschien dieses zweite »Mental Notes«-Album in Neuseeland unter dem Namen »Second Thoughts«. Kann mir noch jemand folgen? Auch das ein paar Jahre später erschienene Album »Frenzy« existiert in zwei sehr unterschiedlichen Versionen mit demselben Namen und Cover, ein weiteres Album erschien unter den Titeln »Waiata« (global) und »Corroboree« (Neuseeland), aber mit komplett identischem Inhalt. In Zeiten vor dem Internet Split-Enz-Platten zu sammeln, war ein interessantes Hobby.

Mit der »Enzyclopedia«-Reihe will die Band jetzt offenbar etwas Ordnung ins Chaos bringen. Folge eins enthält »Mental Notes« (Neuseeland) und »Mental Notes« (global), beide remastered, und letztere zusätzlich in einem behutsamen Remix von Keyboarder Eddie Rayner. Das Remastering ist gelungen, also nicht zu Tode komprimiert, wie man es heute gerne macht. Der Remix, der mir zunächst völlig unnötig erschien, ist aber tatsächlich ganz interessant, weil er das Klangbild etwas auffrischt und so den aus der Zeit gefallenen Charakter der Songs betont. Der Schritt zwischen der ersten und der zweiten »Mental Notes«-Version ist beachtlich. Manzaneras Produktion bringt deutlich mehr Farbe und Swing in die Stücke, und die neu hinzugekommenen Tracks zeigen zudem, wie Judd und Finn sich als Songschreiber weiterentwickelt haben. Ergänzt wird die Box mit der Kompilation früher Singles, die früher als »The Beginning of the Enz« erhältlich war (nicht zu verwechseln mit »Beginning of the Enz« einer späteren Kompilation von Albumtracks), Demos und Liveaufnahmen. Die frühen, folkig verspielten Singles und die Manzanera-Version von »Mental Notes« lohnen die Anschaffung allemal.

Nach den hier versammelten Alben stieg Phil Judd aus und wurde von Tims kleinem Bruder Neil ersetzt. Der wiederum gründete später Crowded House (bei deren drittem Album »Woodface« dann Tim Finn für Album und Tour mit einstieg). Aber das sind andere Geschichten. Dazwischen integrierten die Split Enz noch Punk und später New Wave in ihr Konzept. Genug Stoff also für mindestens drei oder vier weitere Folgen der Enzyclopedia.

Split Enz: »Enzyclopedia Pt. 1 & 2« (Chrysalis)

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