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Aus: Ausgabe vom 28.10.2025, Seite 5 / Inland
Gesundheitspolitik

Krank ohne Schein

Thüringen: Immer mehr Menschen nicht versichert. Modellprojekt stellt anonymisiertes Dokument für Arztbesuch aus. Landtagsfraktionen konträr
Von Oliver Rast
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Erkältungssaison: Gang zum Hausarzt empfohlen – nur: Immer mehr Patienten fehlt die »Eintrittskarte«

Böen wirbeln bräunlich-gelbes Laub auf, leichter Nieselregen trübt die Sicht, kaum zehn Grad Celsius in den Straßen Erfurts. Und überall gleichlautende Herbsttöne: unter Passanten auf Gehwegen, unter Fahrgästen in Verkehrsmitteln, unter Beschäftigten in Betrieben – Hüsteln, Niesen, Schnauben. Jahreszeitentypisch. Typisch auch die erhöhte Frequenz von Arztbesuchen. Leichtgemacht dank Versichertenkarte. Aber nicht für alle – nicht für die ohne Krankenversicherung.

Und deren Zahl nimmt zu. Auch im Freistaat Thüringen, wie die Thüringer Allgemeine (TA) am Montag berichtete. Immerhin: Für jene – zumindest für die, die das Angebot kennen – gibt es die Option eines anonymen Krankenscheins, ausgegeben vom Verein »Anonymer Krankenschein Thüringen« (AKST) in Jena. Ein seit 2017 bestehendes und vom Landesgesundheitsministerium gefördertes Modellprojekt mit knapp 40 Ausgabestellen landesweit.

Das Quantum der Personen, die in dem Freistaat einen anonymisierten Behandlungsschein in Anspruch nehmen, weil sie nicht krankenversichert sind, wird in diesem Jahr weiter steigen, wurde AKST-Projektkoordinator Tim Strähnz in der TA zitiert. »Im vergangenen Jahr waren es 246 Patienten, in diesem Jahr rechnen wir mit etwa 270 Menschen.« Unbehandelte Tumore, schwere Infektionen, chronische Erkrankungen – Patienten ohne Krankenversicherung, die oft viel zu spät eine Praxis oder Notaufnahme aufsuchen. Aus Angst, entdeckt oder abgewiesen zu werden. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen – eine verlässliche Statistik gibt es nicht. Herausfordernd ist die stationäre Versorgung: Kliniken brauchen eine Kostenübernahme – und die gibt es oft nicht. In solchen Fällen springt ein Notfallfonds ein, doch der ist begrenzt. Für viele bedeutet das: kein Krankenhausbett, keine Operation, keine Therapie.

In Deutschland besteht Krankenversicherungspflicht. Doch die Realität sieht anders aus: Menschen ohne Papiere, Saisonkräfte aus der EU, Selbständige in prekären Verhältnissen oder ältere ehemals Privatversicherte, die ihre Beiträge nicht mehr zahlen können und in keine gesetzliche Krankenversicherung (GKV) mehr hineinkommen, weil sie älter als 55 Jahre sind– sie alle fallen durchs Raster.

Wie reagieren Landesregierung (CDU, BSW, SPD) und Opposition (AfD, Die Linke) auf die AKST-Prognose? Stefan Wogawa zufolge bestehe beim »anonymen Krankenschein« (AKS) das Problem, »dass er auch bei einer Verschleierung von Identitäten aus kriminellen Gründen oder zur Finanzierung von illegalen Aktivitäten missbraucht werden kann«, so der Sprecher für Gesundheitspolitik und parlamentarische Geschäftsführer der Thüringer BSW-Fraktion am Montag auf jW-Anfrage.

Für die Linke ist in Sachen AKS etwas anderes entscheidend: »Keine Parallelmedizin, sondern Clearing, Beratung und Rückführung in die Regelversicherung«, betonte deren Fraktionssprecherin für Gesundheitspolitik, Lena Saniye Güngör, gleichentags gegenüber jW. Wer krank sei, brauche Hilfe – ohne Angst und ohne Barrieren. »Der AKS ist richtig und notwendig, aber er bleibt ein Notnagel.«

Und die Position von rechtsaußen? Nichtversicherte finanzieren zu müssen sei ungerecht und gehe zu Lasten der GKV-Beitragszahler, meinte Wolfgang Lauerwald, gesundheitspolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, zu jW. Das Solidarsystem würde kollabieren, »wenn der Staat unkontrolliert massenhaft Menschen ins Land holt«, die nie in die GKV eingezahlt hätten, aber Leistungen bezögen. Die Kernfrage aber, wie akut die Lage für Menschen ohne Krankenversicherung in Thüringen ist, konnte der Fachpolitiker nicht beurteilen. Die Landesregierung sei hier gefragt.

Wohl auch. Nur: Das zuständige SPD-geführte Gesundheitsministerium sah sich zum Wochenauftakt außerstande, dem Autor zu antworten. Ein, zwei Werktage hätte man dafür gebraucht. Krankheitswelle im Ressort? Unklar. Klar hingegen dürfte sein: Ministerialbeamte sind krankenversichert – gesetzlich oder privat. Ganz gleich, zu welcher Jahreszeit.

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