Asphalt statt Gleisbett
Von Ralf Wurzbacher
Zwischen Müllheim und Schliengen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald beginnt bald ein Stück Schienenzukunft. Oder besser: ein Stückchen. Zum Fahrplanwechsel im Dezember nimmt die Deutsche Bahn (DB) dort einen sechs Kilometer langen Streckenabschnitt auf der Rheintalbahn in Betrieb, auf vier Gleisen und mit moderner Leit- und Sicherungstechnik. Das Projekt geht auf den 2016 aufgelegten Bundesverkehrswegeplan (BVWP) zurück, welchen der frühere Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) damals als »das stärkste Programm für die Infrastruktur, das es je gab« pries. Alles nur Gerede! Der Verband Die Güterbahnen hat das bisher Erreichte überprüft und am Montag publik gemacht. Von den bis 2030 als »vordringlicher Bedarf« geplanten rund 3.100 Kilometern neuer Schienenwege wurden bis dato 540 Kilometer realisiert, die restlichen rund 80 Prozent befänden sich »nicht einmal im Bau«.
Die sogenannten Fortschritte könne man »nur als Stillstand in Zeitlupe« und den BVWP als »Mahnmal für politische Ankündigungsrhetorik« bezeichnen, beklagte Verbandsgeschäftsführer Peter Westenberger in einer Medienmitteilung. Bemerkenswert ist im speziellen, was sich im ausgehenden Jahr (nicht) getan hat. Von Beginn bis Ende 2025 nehmen gemäß der Auswertung kümmerliche 44 neue Streckenkilometer ihren Dienst auf. Zu besagtem in Baden-Württemberg kommen noch drei weitere Passagen: 17 Kilometer zwischen Berlin-Südkreuz und Blankenfelde, zehn Kilometer zwischen Zeithain und Leckwitz in Sachsen sowie elf Kilometer zwischen Eggolsheim und Strullendorf in Bayern. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum ist das Straßennetz nach Verbandsangaben bundesweit um weitere knapp 9.000 Kilometer gewachsen. »Das Missverhältnis ist grotesk«, befand Westenberger. In Jahrzehnten hätten Bundesregierungen immer mehr Beton für Autopisten geliefert, »von Verkehrswende ist nichts zu sehen«.
Ob sich das mit der neuen DB-Chefin ändert? Evelyn Palla will beim Staatskonzern »alles auf links drehen«, wobei sie dabei zunächst auf einen personellen Umbruch setzt. Den vakanten Finanzvorstandsposten soll die frühere Managerin bei der Baumarktkette Hornbach, Karin Dohm, einnehmen. An die Spitze von DB-Regio will sie Harmen van Zijderveld plazieren, der dort bislang das Ressort Schiene betreute. Bei DB Cargo soll Sigrid Nikutta Platz für den ehemaligen Chef der Thyssen-Krupp-Stahlsparte, Bernhard Osburg, machen. Streit mit Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) gibt es nach einem Handelsblatt-Bericht vom Freitag bei der Besetzung des Aufsichtsrats der Netzsparte Infra-Go. Dem will Palla gerne selbst vorsitzen, während das Ministerium eine externe Lösung präferiert, um damit die avisierte »Entflechtung« zwischen Konzernmutter und Infrastrukturtochter voranzutreiben. Was die materielle Erneuerung der Bahn betrifft, zeigen sich Palla wie Schnieder eher halbherzig. Erst bis 2029 streben sie eine Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr von 70 Prozent an.
»Die Zahlen zeigen: Es muss umpriorisiert werden«, bekräftigten Die Güterbahnen. Nötig wären eine »ehrliche Bestandsaufnahme, eine Neuordnung der Investitionsprioritäten und mehr kleinere Ausbauten in den bekannten Engpässen«. Eine echte Mobilitätswende ist mit der Bundesregierung derweil nicht absehbar. Statt dessen wollen Union und SPD das Aus für Verbrennermotoren aufweichen und noch einmal drei Milliarden Euro extra in den Fernstraßenausbau stecken. »Dabei dürfte das Straßennetz überhaupt nicht mehr wachsen, wenn die Koalition ihre Ziele zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene wirklich umsetzen will«, äußerte Carl Waßmuth vom Bündnis »Bahn für Alle« am Montag. Der Verband wirbt für eine »Zukunftsbahn für alle« mit einer erheblichen Erweiterung des Netzes unter Vorgaben des integralen Taktverkehrs. »Hochbelastete Strecken sind dafür vier- beziehungsweise dreigleisig auszubauen«, sagte Waßmuth gleichentags jW. »Und wenn es Schnieder ernst meint mit mehr politischer Kontrolle bei der Bahn, muss er Palla als Chefkontrolleurin bei Infa-Go verhindern.«
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